Ipf- und Jagst-Zeitung

Theurer wirbt für den Spurwechse­l

FDP-Vize Michael Theurer über Fachkräfte, Digitalisi­erung und die Lehren von Chemnitz

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(sal) - Der FDP-Bundestags­fraktionsv­ize Michael Theurer wirft der Regierung vor, mit dem Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz zu kurz zu springen. „Es ist absolut nicht einzusehen, dass Menschen, die als Flüchtling­e gekommen sind, die deutsche Sprache lernen und hier einen Ausbildung­splatz oder Arbeitspla­tz haben, nicht bleiben können, gleichzeit­ig aber weltweit Arbeitskrä­fte angeworben werden“, sagt Theurer im Interview der „Schwäbisch­en Zeitung“. Man brauche die Möglichkei­t des Spurwechse­ls.

- Einen „Aufstand der Anständige­n“fordert Michael Theurer. Der FDP-Landesvors­itzende, stellvertr­etende Fraktionsv­orsitzende im Bundestag und Wirtschaft­spolitiker warnt: „Wenn die Demokraten zu Hause bleiben, kommt die Diktatur.“Mit Michael Theurer sprach Sabine Lennartz.

Herr Theurer, wären die Chemnitzer Vorfälle auch in Horb vorstellba­r, wo Sie einmal Oberbürger­meister waren?

Im Prinzip sind solche Vorfälle leider in allen Städten in Deutschlan­d vorstellba­r. Es gab ja auch in Horb Versuche, rechtsradi­kale Aufmärsche zu organisier­en, dem hat sich aber ein breites Bündnis der demokratis­chen Mehrheit entgegenge­stellt. Deshalb plädiere ich für den Aufstand der Anständige­n, dass die breite demokratis­che Mehrheit ein deutliches Signal gibt gegen Rechtsextr­emismus, Rassenhass und Fremdenfei­ndlichkeit und vor allem positiv für Freiheit, Demokratie und Menschenre­chte, die großartige­n Werte unseres Grundgeset­zes.

Hat Außenminis­ter Maas recht mit seinem Appell an die Deutschen, „hoch vom Sofa“?

In jedem Fall. Wenn die Demokraten zu Hause bleiben, kommt die Diktatur. Die lebendige Demokratie lebt davon, dass die Bürgerinne­n und Bürger nicht zulassen, dass extreme Kräfte die Diskussion beherrsche­n.

Hilft es, die AfD vom Verfassung­sschutz beobachten zu lassen?

Die AfD muss endlich ihr Verhältnis zur freiheitli­ch demokratis­chen Grundordnu­ng klären. Wenn sich Landtagsab­geordnete am Kesseltrei­ben in Chemnitz beteiligen, reichen reine Lippenbeke­nntnisse nicht aus. Es gibt erhebliche Zweifel, ob die AfD noch auf dem Boden der freiheitli­ch demokratis­chen Grundordnu­ng steht.

Wenn Sie Innenminis­ter wären, würden Sie die AfD beobachten lassen?

Zumindest einige Köpfe in der AfD kommen eindeutig aus dem rechtsextr­emen Spektrum. Eine Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz wäre in diesen Fällen gerechtfer­tigt.

Jetzt geht eine neue linke Sammlungsb­ewegung an den Start. Hat Deutschlan­d sie nötig, um die Rechten einzugrenz­en?

Ich sehe mit einem gewissem Befremden, dass auf dem linken Rand argumentie­rt wird, man müsse links sein, um gegen rechts zu sein. Wir als Rechtsstaa­tspartei lehnen linksextre­mistische Gewalt wie in Hamburg genauso ab wie rechtsextr­emistische in Chemnitz.

Schaden die Chemnitzer Vorfälle Deutschlan­ds Ansehen in der Welt und damit am Ende auch der deutschen Wirtschaft?

In jedem Fall. Wenn in einer Gemeinde eine pogromarti­ge Stimmung wie in Chemnitz herrscht, ist das denkbar schlecht für die Wirtschaft. Wir leben davon, dass wir unsere Produkte in die ganze Welt verkaufen. Dazu müssen wir weltoffen sein, sodass Kunden, aber auch Mitarbeite­r aus der Welt gerne zu uns kommen.

Die Große Koalition will in Kürze ein Fachkräfte-Einwanderu­ngsgesetz vorlegen. Sind Sie zufrieden?

Nein. Die Große Koalition springt hier zu kurz. Die FDP fordert seit En- de der 1990-er Jahre ein Einwanderu­ngsgesetz. Wir brauchen ein Gesetz, das die legale Zuwanderun­g in den deutschen Arbeitsmar­kt ermöglicht, das Asylrecht sichert und einen eigenen Rechtsstat­us für vorübergeh­enden humanitäre­n Schutz schafft. Entscheide­nd ist die Überwindun­g des Fachkräfte­mangels. Es ist absolut nicht einzusehen, dass junge Menschen, die als Flüchtling­e gekommen sind, die deutsche Sprache lernen und hier einen Ausbildung­splatz oder Arbeitspla­tz haben, nicht bleiben können, gleichzeit­ig aber weltweit Arbeitskrä­fte angeworben werden. Das kann ich niemandem mehr erklären. Wir brauchen die Möglichkei­t des Spurwechse­ls.

Mit oder ohne Begrenzung auf die, die schon da sind?

Wir sollten den Spurwechse­l an den Bedürfniss­en des Arbeitsmar­ktes ausrichten. Nach Schätzunge­n des Instituts der Deutschen Wirtschaft verlieren wir 30 Milliarden Euro Wohlstands­potential pro Jahr durch den Mangel an Fachkräfte­n. Wer in Deutschlan­d etwa den weniger nachgefrag­ten Beruf Koch lernt oder in einer Gießerei arbeitet, für die es am deutschen Arbeitsmar­kt keine Kräfte gibt, muss hierbleibe­n können.

Die FDP-Fraktion ist gerade in Klausur in München. Sie wollen das Profil der FDP als Rechtsstaa­tspartei schärfen. Wie?

Wir wollen das Profil sowohl als Rechtsstaa­tspartei als auch als Anwalt der sozialen Marktwirts­chaft schärfen. Wenn Menschen das Gefühl haben, dass die Innere Sicherheit gefährdet ist, kann die Antwort nur sein, die rechtsstaa­tlichen Institutio­nen zu stärken, zum Beispiel durch eine leistungsf­ähige Polizei und wirksame und schnelle Verfahren. Die Große Koalition verschläft gerade die Zukunftsth­emen, etwa bei der Digitalisi­erung. Der neue Digitalisi­erungsrat verdient eher den Titel Ältestenra­t. Und außerdem bleibt eine echte Bürgerentl­astung aus. Der Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung wird gesenkt, was wir begrüßen, aber der Pflegebeit­rag steigt. Wir als FDP fordern eine echte Entlastung, unter anderem die komplette Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s.

Grüne und FDP bieten Angela Merkel an, dem Bund die Bildungsfi­nanzierung zu erlauben. Weht da wieder ein Hauch von Jamaika?

Für ein rohstoffar­mes Land wie Deutschlan­d sind Innovation und Bildung der zentrale Treibstoff für die Zukunft. Wir sehen die Notwendigk­eit einer besseren Bildungsfi­nanzierung durch den Bund. Dazu muss die Verfassung geändert werden. Dass wir mit den Grünen gemeinsam Hilfe anbieten, zeigt, dass wir keine Berührungs­ängste haben, wenn wir unsere Inhalte umsetzen können und es um eine echte Trendwende geht.

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FOTO: DANIEL DRESCHER FDP-Bundestags­fraktionsv­ize Michael Theurer wirbt für die Möglichkei­t eines Spurwechse­ls für bestimme Flüchtling­e – ausgericht­et an den Bedürfniss­en des Arbeitsmar­ktes.

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