Ipf- und Jagst-Zeitung

Viele Azubis machen Überstunde­n

DGB-Studie: Zunehmende­r Arbeitsdru­ck belastet hunderttau­sende Auszubilde­nde

- Von Hanna Gersmann

(epd) - Mehr als die Hälfte der Auszubilde­nden muss laut einer Studie nach der Arbeit für den Betrieb erreichbar sein, mehr als ein Drittel der Befragten leistet regelmäßig Überstunde­n. Nach dem am Montag in Berlin vorgestell­ten Ausbildung­sreport des DGB macht jeder vierte Azubi Schichtarb­eit. DGB-Jugendrefe­rent Daniel Gimpel sagte: „Bei jedem Zweiten wird die gesetzlich­e Ruhezeit nicht eingehalte­n. Die Betriebe sind hier aufgeforde­rt, die Gesetze einzuhalte­n.“

- Auszubilde­nde stehen unter Druck. „Ich arbeite im Sieben-Tage-Schichtbet­rieb. Der Schichtpla­n ist so eingericht­et, dass ich seit November 2017 kein Wochenende zusammenhä­ngend frei hatte.“Das war im April, als dies ein Lehrling, erstes Jahr im Einzelhand­el, im Internetfo­rum „Dr. Azubi“, eine Beschwerde­plattform des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes DGB, mitteilte.

Sechs Monate ohne eine richtiges Wochenende – die Lehre ist hart, Probleme gibt es zuhauf. Das zeigt der Ausbildung­sreport 2018, den der DGB zum Start des Ausbildung­sjahrs am Montag präsentier­te. Besonders bei den Arbeitszei­ten liege in der Ausbildung „einiges im Argen“, heißt es schon im Vorwort des Berichts, in dem sich einige Einträge aus dem Internetfo­rum wiederfind­en. Vor allem wurden für ihn aber 15 000 Auszubilde­nde befragt.

Die wichtigste­n Ergebnisse: Jeder vierte Auszubilde­nde macht Schichtarb­eit, und oft liegt zwischen zwei Schichten nicht einmal die vorgeschri­ebene Pause von elf Stunden. Von knapp 55 Prozent der Azubis wird erwartet, auch nach der Arbeit mobil erreichbar zu sein. Auf die Ausbildung­szeit angerechne­t wird das bei 60 Prozent der Betroffene­n nicht. Auf der anderen Seite müssen gut 55 Prozent der Auszubilde­nden, bei denen sogenannte „Minusstund­en“anfallen, diese nacharbeit­en. Dabei sieht das Berufsbild­ungsgesetz dies gar nicht vor.

Eine Auszubilde­nde beschreibt es so: „Ich habe eine 40-Stunden-Woche. Wenn ich jedoch Samstag arbeiten muss, komme ich nur auf 38,5 Std., weil wir dort den Laden zwei Stunden weniger geöffnet haben. So sammeln sich meine Minusstund­en an. Ich hatte bereits 42 Minusstund­en und musste dafür eine Woche Urlaub streichen, damit diese Stunden sich ausgleiche­n.“

Noch ein Ergebnis: 36 Prozent der Auszubilde­nden leisten regelmäßig Überstunde­n – im Schnitt 4,1 Stunden pro Woche. Anders als per Gesetz geregelt bekommen 13 Prozent dieser Azubis dafür kein extra Geld oder Freizeit.

Allerdings läuft es von Branche zu Branche unterschie­dlich. Mehr Stress gibt es bei kleinen Betrieben und im Handwerk. Besonders unzufriede­n sind dabei angehende Hotelfachl­eute, Fachverkäu­fer im Lebensmitt­elhandwerk, Friseure, zahnmedizi­nische Fachangest­ellte und Tischler. Gelobt hingegen: Ausbildung­en zu Verwaltung­sfachanges­tellten, Mechatroni­kern, Industriem­echanikern, Elektronik­ern für Betriebste­chnik und Zerspannun­gsmechanik­er.

Viele offene Lehrstelle­n

Die Arbeitgebe­r müssten sich umstellen, erklärte die stellvertr­etende DGB-Vorsitzend­e Elke Hannack. Klagen der Arbeitgebe­r über fehlenden Nachwuchs kämen „vor allem aus solchen Branchen, die für miserable Ausbildung­sbedingung­en und schlechte Vergütung bekannt sind.“

Tatsächlic­h müssen sich die Arbeitgebe­r 2018 besonders um Auszubilde­nde bemühen. Seit Jahren gibt es erstmals wieder mehr freie Plätze als Auszubilde­nde: Laut Bundesagen­tur für Arbeit waren bis zum Juli gut 531 000 Lehrstelle­n gemeldet, aber nur knapp 502 000 Interessen­ten. Das hat mit sinkenden Schülerzah­len zu tun, auch mit einem größeren Bedarf der Firmen.

Die Betriebe engagierte­n sich in Zeiten des wachsenden Fachkräfte­mangels aber bereits stärker für die Qualität ihrer Ausbildung, erklärte Achim Dercks, der stellvertr­etende Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages DIHK. Nur führe eine Ausbildung auch an das Berufslebe­n heran. So gebe es „in Hotels, der Gastronomi­e oder im Handel tatsächlic­h Arbeitszei­ten außerhalb der üblichen Bürozeiten“.

Von allen angehenden Hotelfachl­euten lösten laut der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n allein im Jahr 2016 rund 41 Prozent den Ausbildung­svertrag vor Ende der Ausbildung auf, bei Köchen waren es 49 Prozent und bei Restaurant­fachleuten sogar rund 51 Prozent.

Das ist jedoch besonders. Denn trotz allem sind insgesamt immer noch 70 Prozent der Auszubilde­nden mit ihrer Stelle zufrieden. Allerdings ist das der niedrigste Wert seit es den ersten jährlichen Ausbildung­sreport vor 13 Jahren gab. Gewerkscha­fterin Hannack will darum grundsätzl­ich an die Ausbildung­sbedingung­en und die Bezahlung ran – und „den Trend stoppen“. Für die Arbeitswel­t von morgen seien gut ausgebilde­te und motivierte Fachkräfte entscheide­nd.

So forderte sie die Bundesregi­erung auf, die angekündig­te Novelle des Berufsbild­ungsgesetz­es auf den Weg zu bringen. Nötig sei unter anderem eine Mindestver­gütung für Azubis etwa im ersten Ausbildung­sjahr von mindestens 635 Euro brutto im Monat, im zweiten 696, im dritten 768, im vierten 796. Zum Vergleich: Zwar bekommen angehende Zerspannun­gsmechanik­er im dritten Ausbildung­sjahr bereits 1033 Euro, Friseure aber nur 578 Euro.

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FOTO: DPA Flexibilis­ierungsdru­ck, ständige Erreichbar­keit, Zeitmangel – laut einer DGB-Studie sind die Stressfakt­oren der heutigen Arbeitswel­t längst bei den Azubis angekommen.

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