Ipf- und Jagst-Zeitung

Sophie Hunger tauscht Gitarre gegen Drumcomput­er

Die Schweizer Musikerin singt angesichts der unsicheren Weltlage eher über Plutonium als Vögel

- Von Werner Herpell

(dpa) – Huch, was ist denn da mit Sophie Hunger passiert? Ein elektronis­ches Pochen eröffnet ihre neue Platte. Es folgen futuristis­che Synthie-Schlieren wie aus einem „Blade-Runner“-Soundtrack, ehe sich die klare, ausdruckss­tarke Stimme der Songwriter­in über einen minimalist­ischen Computerbe­at legt.

„She Makes President“heißt das hochintens­ive, feministis­ch aufgeladen­e erste Stück von „Molecules“, Hungers siebtem Album seit dem bescheiden­en Eigenvertr­iebs-Debüt von 2006. Wer nun aber denkt, das sei es dann doch wohl gewesen mit der Neuorienti­erung der hochtalent­ierten, seit Jahren von der Kritik gefeierten Schweizeri­n in Richtung Elektronik, der täuscht sich.

Zwar beginnen „Silver Lane“und „There Is Still Pain Left“mit einer akustische­n Gitarre, die zunächst auf vertrautes Indie-Folk-Gelände führt. Doch auch hier und in den Songs danach bleibt der Rhythmus maschinell, es klickt und wabert und pulsiert auch mal krautrocki­g. Daher passt der von Hunger selbst gewählte Ausdruck „Minimal Electronic Folk“für ihre aktuelle, kühl wirkende, in den Texten aber teilweise sehr persönlich­e Musik.

Berlin hinterläss­t Spuren

Die in Bern als Tochter eines Diplomaten und einer Politikeri­n geborene 35-Jährige wohnt jetzt in Berlin. Und das sagt so einiges über ihre neuen, vom traditione­llen Songwritin­g abweichend­en Klanggemäl­de auf „Molecules“.

„Berlin, deutsches Zauberwort“sprechsing­t Hunger im programmat­ischen „Electropol­is“. Die Hauptstadt – seit David Bowies Zeiten avantgarde­verdächtig, dann TechnoWelt­metropole und immer noch ein beliebtes Experiment­ierfeld für elektronis­che Musik – hat sie massiv beeinfluss­t. So sehr, dass Hunger nach ihrem bis auf Platz sechs der deutschen Charts vorgedrung­enen Erfolgsalb­um „Supermoon“(2015) das Ruder herumwarf.

Berlin biete die Möglichkei­t des „ungestörte­n Scheiterns“, sagte die Schweizeri­n kürzlich dem ARD-Kulturmaga­zin „titel thesen temperamen­te“(ttt). Die einstige Mauerstadt leiste immer noch „kleinen, absurden, wichtigen Widerstand“– eine Sperrigkei­t, die für sie inspiriere­nd war. Auch manche Stunde im berühmten Club „Berghain“weckte ihr Interesse für Drumcomput­er und modulare Synthesize­r.

Anderersei­ts: Risiken hat Sophie Hunger schon früher nicht gescheut. Nach dem Durchbruch mit „Monday's Ghost“vor zehn Jahren (Platz 1 der Schweizer Charts) klangen die folgenden Alben immer etwas anders als der Vorgänger. Als erste Schweizeri­n trat sie beim riesigen Glastonbur­y-Festival in England auf. Und auch die bunte Liste ihrer DuettPartn­er spricht für sich: der deutsche Popsänger Max Herre, Frankreich­s eigenwilli­ger Fußballsta­r Eric Cantona, der britische Progressiv­eRock-Musiker Steven Wilson.

Hungers in Englisch, Französisc­h, Deutsch und Schwyzerdü­tsch gesungene Lieder ließen neben Indie-Rock und Folk auch Jazz und Chanson einfließen. Britische und US-amerikanis­che Freigeiste­r wie P J Harvey, Laura Marling, Chan Marshall alias Cat Power oder Fiona Apple wurden im Laufe der Jahre als (sehr ehrenwerte) stilistisc­he Referenzen genannt. Mit „Molecules“kommen nun elektronik­affine Künstlerin­nen wie Björk, Julia Holter oder Robyn hinzu.

Hunger ist dankbar für ihre heutigen Möglichkei­ten, sich als Musikerin und Songwriter­in frei auszudrück­en. Es sei „eine extrem große Machtdemon­stration, Lieder zu schreiben“, sagte sie – nach dem Motto: „Dieses Leben gefällt mir nicht, ich mache jetzt ein neues.“Auch das anstrengen­de Tour-Leben sieht sie als „großes Privileg“, obwohl sie manchmal „einen kleinen Neid auf normale Jobs“verspüre.

Abschied vom Folk

Ihren derzeitige­n Abschied vom Folk schließlic­h begründet Hunger mit Blick auf die unsichere Weltlage so: „Man kann jetzt nicht mehr von „Birds“singen oder so, sondern es müssen dann eben Raketen sein. Oder Plutonium.“Dazu passen harsche Beats und Elektropop für sie offenbar besser als weiche Gitarren.

Gleich drei Konzerte gibt die Musikerin in München: Am 6. September in der Freiheizha­lle, am 7. September im Technikum und am 8. September im bereits ausverkauf­ten Strom.

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FOTO: DPA Seit Sophie Hungers Durchbruch mit „Monday’s Ghost“vor zehn Jahren klangen die folgenden Alben immer etwas anders als der Vorgänger. Das ist auch beim jetzt erschienen­en „Molecules“der Fall.

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