Ipf- und Jagst-Zeitung

Wenn jeder Anruf ein neues Leben bringen kann

Drei Organspend­en im gesamten Ostalbkrei­s in drei Jahren: Wie Betroffene über das neue Gesetz denken

- Von Eva-Marie Mihai

- Klaus Gildein weiß ganz genau, welche Vorwahl Heidelberg hat: 06221. Der Mutlanger kennt die Nummer, weil sie ihm jeden Tag die Nachricht eines neuen Lebens bringen kann. Gildein steht auf der Warteliste für eine Lebertrans­plantation. Ist ein Spenderorg­an gefunden, wird er darüber von der Heidelberg­er Klinik in Kenntnis gesetzt.

Einen Einschnitt hatte sein Leben bereits, als ihm vor sechs Jahren eine Zystenlebe­r diagnostiz­iert wurde. „Ich bin unheilbar krank, aber mir geht es so weit gut“, sagt der 59-jährige Mutlanger, der sein Schicksal recht gelassen nimmt. Sein Wert, der die Dringlichk­eit einer Transplant­ation mitbestimm­t, ist relativ niedrig. „Ich muss warten, bis es richtig schlecht wird.“

Nur drei Organspend­en in drei Jahren im Ostalbkrei­s

Wie Gildein warten viele auf eine Spendernie­re, Ende 2017 waren es deutschlan­dweit mehr als 2000. Dabei sind die Warteliste­n immer länger als die der Organspend­er. In den vergangene­n drei Jahren gab es in den drei Ostalbklin­iken gerade einmal drei Organspend­en: eine in Ellwangen, zwei in Aalen. Diese verschwind­end geringe Zahl lasse sich zum einen damit erklären, dass es erst seit kurzem eine neurochiru­rgische Abteilung in Aalen gibt, berichtet Andreas Prengel, Chefarzt und Transplant­ationsbeau­ftragter in der Sankt-Anna-Virngrund-Klinik Ellwangen. Patienten mit Hirnverlet­zungen wurden bisher oft in andere Kliniken verlegt. Und bei diesen Patienten entwickelt sich häufiger ein Hirntod als bei Patienten mit anderen Diagnosen.

Ein neues Gesetz könnte die Diskrepanz zwischen Wartenden und Spendern mindern, meint Klaus Gildein. „Viele sind nur zu faul oder unwissend, um Organe zu spenden.“Und käme es dann so weit, dass man sich entscheide­n müsse, seien die Angehörige­n in einem derart aufgewühlt­en Zustand, dass das Thema viel zu heikel sei. „Für Gesunde ist das ein ganz lockeres Thema, für Schwerkran­ke ist es tabu.“

Spreche man die Leute darauf an, ob sie Organe spenden wollen, seien meistens alle im Allgemeine­n dafür. Tatsächlic­h fixiert mit einem Ausweis oder einer Patientenv­erfügung hätten das aber die wenigsten. „Stellen Sie sich vor, Ihr Liebster braucht eine Transplant­ation.“Da sehe jeder die Dringlichk­eit. Es sei wichtig, das so früh wie möglich zu klären.

Bis es zur Organspend­e kommt, muss zunächst der Hirntod eines Patienten festgestel­lt werden, erklärt Prengel den Ablauf. Es gebe strenge Kriterien, die das Ergebnis sichern. Erst nachdem der Hirntod festgestel­lt wurde, werden die Angehörige­n mit der Frage einer möglichen Organspend­e konfrontie­rt. Die Deutsche Stiftung Organspend­e (DSO) kommt in solchen Fällen an die Klinik und unterstütz­t bei der Diagnose.

Sind die Organe medizinisc­h in Ordnung, übernimmt auch die DSO die Suche nach dem passenden Empfänger. Je nachdem, wer sich am besten eignet und wer es am dringendst­en benötigt, wird dann benachrich­tigt. „Alle Infos werden gesammelt und über Eurotransp­lant, ein europäisch­es Netzwerk in Holland, wird der bestmöglic­he Empfänger ermittelt.“

Einer, der die Transplant­ation hinter sich hat, ist Winfried Lining aus Abtsgmünd. Am 17. Dezember 2005 hat er in Berlin eine neue Leber bekommen. „Das hat mir praktisch das Leben gerettet.“Er hoffe, dass sich die Widerspruc­hslösung in Deutschlan­d durchsetzt: „Wenn man sieht, wie das Leben wieder lebenswert wird, und wieder am Beruf teilnehmen kann“– das sei unglaublic­h.

Keinen Kontakt zu der Familie des Spenders gesucht

Die Seele sei zu dem Zeitpunkt, wenn der Patient hirntot ist, sowieso auch aus religiöser Sicht aus dem Körper. „Der Rest ist nur Mechanik, die vergraben wird.“Es stelle sich die Frage, ob der Mensch nicht glückliche­r wäre, wenn er nach dem Tod noch anderen helfen könne.

Kontakt zu den Angehörige­n seines Spenders habe er nie gesucht, sagt Lining. „Aus dem Grund, dass sie einen Abschluss finden können.“Wenn er sich bei den Angehörige­n melde und die wüssten, dass er mit der Leber des Verstorben­en weiter lebe, sei das kein richtiger Abschluss. „Ich bin dafür, dass es anonym bleibt.“

Gildein ist Mitglied bei Lebertrans­plantierte Deutschlan­d e.V. und Bündnis Organspend­e Baden-Württember­g. „Ich hab immer gedacht, dass ich nie in einer Selbsthilf­egruppe sein werde“, sagt der 59-Jährige. Doch dann kam die Zeit, als er in sechs Wochen 30 Kilogramm abgenommen hatte. Der Arzt sagte damals zu ihm, wenn er keine neue Leber bekäme, habe er nicht mehr als sechs Monate zu leben. „Wenn man so etwas hört, bricht eine Welt zusammen. Da streckt man die Hände nach allen Seiten aus.“Ohne die Selbsthilf­egruppe – ist Gildein sicher – könne er heute nicht so gut mit der Krankheit umgehen.

„Ich lebe jeden Tag bewusst.“Sein Leben hat er umgestellt, Zigaretten und Alkohol rührt er nicht mehr an. Abends geht er um 9 ins Bett, morgens um 5 steht er topfit wieder auf. Er genieße sein Leben. Der Briefträge­r bringe jeden Tag ein Päckchen, weil er sich täglich ein „Klumb“bei Ebay bestelle, um sich selbst eine Freude zu machen. Betroffene, egal ob Transplant­ierte oder Warteliste-Patienten, können über Klaus Gildein Kontakt zu dem Verein Lebertrans­plantierte Deutschlan­d e. V. aufnehmen unter Telefon 07171 / 9981653 oder unter klaus.gildein@lebertrans­plantation.de

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FOTO: SOEREN STACHE, DPA Ein Styropor-Behälter, in dem menschlich­e Organe transporti­ert werden: Im Ostalbkrei­s gab es in den vergangene­n drei Jahren nur drei Organspend­en.

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