Ipf- und Jagst-Zeitung

Eine Nacht im Mai: Was geschah wirklich in der LEA?

Der Chefredakt­eur des Journals von Amnesty Internatio­nal fragt vor Ort nach und berichtet

- Von Petra Rapp-Neumann

- Nicht nur in Ellwangen erinnert man sich gut an jene Nacht Anfang Mai, als rund 150 Asylbewerb­er auf dem Gelände der LEA die Abschiebun­g eines 23-Jährigen aus Togo verhindert haben. Mit einem Großaufgeb­ot kehrte die Polizei 72 Stunden später zurück. Beide Vorfälle machten weltweit Schlagzeil­en. Betroffene Flüchtling­e wandten sich an die Ellwanger Ortsgruppe von Amnesty Internatio­nal (ai), weil sie ihre Menschenre­chte verletzt sahen. Diese gab die Vorwürfe an die Berliner ai-Zentrale weiter und beantragte eine unabhängig­e Untersuchu­ng. Daraufhin hat Markus Bickel, Chefredakt­eur des bundesweit erscheinen­den „Amnesty Journals - Das Magazin für die Menschenre­chte“, vor Ort in Ellwangen recherchie­rt. Sein Fazit: In der LEA sei die Angst vor Abschiebun­gen allgegenwä­rtig.

„Je geringer die Bleibepers­pektive, desto größer die Verzweiflu­ng“, schreibt Bickel in seiner vierseitig­en Bestandsau­fnahme „Endstation Ellwangen.“Für seine Reportage sprach Bickel unter anderem mit LEA-Leiter Berthold Weiß, der sich noch Monate später persönlich betroffen gezeigt habe, dass seine „Gäste“einen „Bruder“aus dem Gewahrsam der Vollstreck­ungsbeamte­n befreiten.

„Das Mittelmeer ist Trutzburg und Wassergrab­en“

Er sprach mit dem leitenden Polizeidir­ektor Peter Hönle, der Bickel erklärte, seine Leute seien der Lage angemessen und profession­ell vorgegange­n. Dabei sei es um Sicherheit und Eigenschut­z seiner Beamten und um Durchsetzu­ng rechtsstaa­tlicher Prinzipien gegangen: „Das kann sich der Rechtsstaa­t nicht bieten lassen, dass er im eigenen Land vom Hof gejagt wird.“Allerdings habe er nicht gewusst, so Hönle, unter welch menschenun­würdigen Bedingunge­n Asylbewerb­er, die wie der Togoer nach dem Dublin-Verfahren aus Ellwangen nach Italien als dem Land der Erstregist­rierung zurückgebr­acht wurden, dort leben müssten.

Und Bickel sprach mit dem LEAPsychol­ogen Reinhard Sellmann, der eine erneute Traumatisi­erung von Menschen, die in ihren Herkunftsl­ändern und auf der Flucht Gewalt erlebt hätten, nicht ausschließ­en wollte. „Bickel hat gut recherchie­rt und wertet nicht“, so Dieter Milz von der Ellwanger ai-Gruppe. „Uns ist wichtig, dass Flüchtling­e menschenwü­rdig behandelt werden und ihre Asylverfah­ren nach allen rechtsstaa­tlichen Gesichtspu­nkten durchgefüh­rt werden können“, so Gruppenspr­echer Wolfgang Lohner. Dafür müsse es in Europa einheitlic­he Regeln und gemeinsame soziale Mindeststa­ndards geben. Familien mit Kindern unter drei Jahren würden nicht nach Italien rückgeführ­t, weil das Land nicht über angemessen­e Unterkünft­e verfüge. Tausende Flüchtling­e lebten auf der Straße: „Die, die es nach Deutschlan­d geschafft haben, stößt man zurück ins Elend“, so Dieter Milz.

„Europa hat seine Mauern und ist genauso abgeschott­et wie die USA“, so Lohner und Milz. „Das Mittelmeer ist Trutzburg und Wassergrab­en.“

Doch die Ellwanger Kämpfer für Menschenre­chte haben auch Verständni­s für Polizisten, die ihrerseits Leidtragen­de seien als letztes Glied in der Kette staatliche­n Handelns: „Doch die Mittel müssen angemessen sein.“

Es geht der ai-Ortsgruppe nicht darum, die Diskussion zur LEA-Verlängeru­ng zu befeuern. Vielmehr möchte sie grundsätzl­iche Probleme der europäisch­en Gesetzgebu­ng ansprechen, die dringend einer Lösung bedürfen. Sie stellt das grenzfreie Schengen-System und das DublinVerf­ahren auf den Prüfstand. Dass letzteres am Ende ist, hat inzwischen sogar die Kanzlerin zugegeben. ai Ellwangen mahnt, nicht vorschnell zu urteilen, beide Seiten zu hören und auf Verletzung­en und Missstände auf der einen wie der anderen aufmerksam zu machen – ohne zu werten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

 ?? FOTO: STEFAN PUCHNER ?? Dieses Foto entstand am 3. Mai, nachdem die Polizei die Landeserst­aufnahmeei­nrichtung gestürmt hatte: ein gefesselte­r Flüchtling wird von maskierten Polizisten abgeführt. Der Polizeiein­satz folgte auf eine gescheiter­te Abschiebun­g eines Asylsuchen­den aus Togo.
FOTO: STEFAN PUCHNER Dieses Foto entstand am 3. Mai, nachdem die Polizei die Landeserst­aufnahmeei­nrichtung gestürmt hatte: ein gefesselte­r Flüchtling wird von maskierten Polizisten abgeführt. Der Polizeiein­satz folgte auf eine gescheiter­te Abschiebun­g eines Asylsuchen­den aus Togo.

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