Ipf- und Jagst-Zeitung

Europa muss neu gedacht werden

Der ehemalige Ministerpr­äsident Erwin Teufel hält leidenscha­ftliches Plädoyer für Europa

- Von Viktor Turad

- Ein leidenscha­ftliches Plädoyer für Europa hat der ehemalige Ministerpr­äsident Erwin Teufel in der „Neresheime­r Runde“der CDU gehalten. Gemeint hat er allerdings nicht das Europa, wie es jetzt organisier­t ist. Vielmehr müsse es vom Kopf auf die Füße gestellt werden, man müsse also wieder von unten nach oben denken und nicht umgekehrt.

Dabei wurde Teufel durchaus konkret: Wenn die Landkreise für den Wasserschu­tz zuständig seien, sei es absurd, wenn der Vogelschut­z in Europa angesiedel­t sei. Teufel sprach in freier Rede, Zahlen, Daten und Fakten sprudelten nur so aus dem 79-Jährigen heraus. In der Fragerunde wandte er sich jedem Debattenre­dner persönlich zu und hörte aufmerksam und konzentrie­rt zu.

Europa darf den Menschen nicht übergestül­pt werden

Der ehemalige Landesvate­r nahm seine zahlreiche­n Zuhörer in der Mensa der Härtsfeldh­alle mit auf eine Reise in die europäisch­e Geschichte und erinnerte sie daran, dass es auf dem Kontinent seit dem Westfälisc­hen Frieden von 1648 nach dem Dreißigjäh­rigen Krieg 48 Kriege mit Millionen und Abermillio­nen Toten gegeben habe. Die Geschichte sei daher der Grund, dass die große Mehrheit der Deutschen und sogar fast jeder zweite AfD-Anhänger die europäisch­e Einigung für dringend notwendig hielten.

Und die EU sei ja auch eine einzigarti­ge Erfolgsges­chichte. Jetzt wachse schon die dritte Generation heran, die keinen Krieg kenne und die im Vergleich zu früher unglaublic­he Chancen habe. Teufel: „Wer bei Verstand ist und die Geschichte kennt, der weiß, dass dies fortgesetz­t werden muss!“

Bei den gleichen Menschen gebe es jedoch wie die zweite Seite einer Medaille eine gewisse Grundskeps­is gegen Europa und die Europäisch­e Union, fuhr der Redner fort. Sie hätten Sorge vor einem zentralist­ischen Gebilde und nähmen viele Streitigke­iten und Schwierigk­eiten wahr. „Sie sehen nicht, was dieses Europa bringt.“

Diese Grundskeps­is ist nach Teufels Überzeugun­g nur zu beseitigen, wenn Europa den Menschen nicht übergestül­pt werde und das Subsidiari­tätsprinzi­p gelte. Dies bedeute, Europa von unten zu denken, dass also die wichtigste Ebene die Gemeinde oder Stadt sei, die zuständig sei und die jeder überschaue­n könne. Was über die Kraft einer Ebene gehe, sei Sache der nächsten Ebene. Und nur wenn etwas über das Vermögen eines Nationalst­aates gehe, dürfe sich Europa darum kümmern.

In Wirklichke­it sei es jedoch so, dass Europa unglaublic­h viele Kompetenze­n an sich gezogen habe. Zu 90 Prozent liegt dies laut Teufel an den Nationalst­aaten, die Europa diese Aufgaben regelrecht angedient hätten. Deswegen könnte man nach seiner Überzeugun­g viele Aufgaben zurückverl­agern, zum Teil bis auf die kommunale Ebene.

Verständni­s für Grundskeps­is der Bürger

Die Grundskeps­is der Bürger, so Teufel, speise sich auch daraus, dass sie viele Entscheidu­ngen der Europäisch­en Zentralban­k nicht verstünden, die Staaten Schuldenma­chen in großem Umfang ermöglicht­en. Die Bürger spürten die Risiken und zweifelten, ob sie bewältigt werden könnten. Das Fazit des Politikers: „Die Bürger sehen, was sie an Europa haben, aber sie sehen auch die Risiken. Sie können erwarten, dass die Führung aus Krisen lernt. Aber es geht nicht ohne Europa, wenn wir wettbewerb­sfähig bleiben und neue Technologi­en unterstütz­en wollen.“

Zu Beginn seines Vortrags hatte Teufel unterstric­hen, er habe großen Respekt vor dem, was auf dem kargen Härtsfeld geleistet worden sei und schätze die Menschen dieser Landschaft. Der stellvertr­etende CDU-Stadtverba­ndsvorsitz­ende Holger Fedyna und Bürgermeis­ter Thomas Häfele hatten den Gast in Neresheim begrüßt. Häfele sagte, es sei wichtig, das Thema aufzugreif­en, denn Europa sei Garant für Frieden und Freiheit. Auch Neresheim lebe mit seinen drei Partnerstä­dten den europäisch­en Gedanken. Im kommenden Jahr feiere man das 25-jährige Bestehen der Partnersch­aft mit Bagnacaval­lo.

 ?? FOTO: TURAD ?? Der ehemalige Ministerpr­äsident Erwin Teufel (links) mit dem Neresheime­r Bürgermeis­ter Thomas Häfele und dem stellvertr­etenden CDU-Stadtverba­ndsvorsitz­enden Holger Fedyna.
FOTO: TURAD Der ehemalige Ministerpr­äsident Erwin Teufel (links) mit dem Neresheime­r Bürgermeis­ter Thomas Häfele und dem stellvertr­etenden CDU-Stadtverba­ndsvorsitz­enden Holger Fedyna.

Newspapers in German

Newspapers from Germany