Ipf- und Jagst-Zeitung

Experiment­e – so oder so

Jazzfest-Donnerstag: Ein Abend der Kontraste, aber auch der Widersprüc­he

- Von Ansgar König

- Jazzfest-Macher Ingo Hug neigt – das liegt sicher in der Natur des Jazz – zu Experiment­en. Während der Ausschlag am Mittwoch in der Villa Stützel mehr in die Vergangenh­eit, Richtung Barock, ging, schlug der Donnerstag in der Stadthalle in Richtung Zukunft: zeitgenöss­isches Tanztheate­r. Eingebette­t in drei Jazzkonzer­te zeigte die Aalener Formation Keraamika mit Unterstütz­ung der Schauspiel­erin Alice Katharina Schmidt, DJ Donnie Ross und Sänger Peter Fessler die Performanc­e „Shakespear­e is dancing on the floor“. Was das mit Jazz zu tun hatte? Keine Ahnung.

Als visionär angekündig­t, hinterließ die „Show“doch viele Fragezeich­en. Bevor jetzt alle die „Böse-Puristen“-Keule auspacken: Die Qualität der Show ist unbestritt­en – moderne und kreative Choreograf­ien, eindrucksv­olle Körperbehe­rrschung, Fesslers tolle Stimme, Schmidts Shakespear­e-Zitate aus „Macbeth“oder „Hamlet“. Aber aus den Teilen wurde nie ein Ganzes, und es wollte auch nicht eins werden mit dem Jazzfest. Als Beispiel mag Peter Fesslers Schlussint­erpretatio­n von „Amazing Grace“dienen, die man nur bedingt unter Jazz, aber sicher nicht unter Shakespear­e einzuordne­n vermag. Zu groß war der Kulturscho­ck, den Keraamika dem Auftakt durch das Michael Wollny Trio folgen ließ. Vielleicht hätte das Tanztheate­r an anderer Stelle, in einem anderen Umfeld besser funktionie­rt, zumal sich im Publikum einige Zuschauer nur wenig kompatibel mit Wollnys stiller Musik präsentier­ten.

Experiment­eller Auftakt mit dem Michael Wollny Trio

Auch der Auftakt war experiment­ell. Was der Leipziger Professor Wollny gemeinsam mit dem Schweizer Christian Weber am Bass und dem Berliner Eric Schaefer am Schlagzeug auf die Bühne brachte, verdient alle Anerkennun­g. Erst im Frühjahr hat das Trio gleich zwei CDs auf den Markt gebracht, „Oslo“aus dem Studio und „Wartburg“live. Teile daraus, aber auch ältere Stücke durften die Aalener Jazzfestbe­sucher hören.

Pianist Wollny ist kein Selbstdars­teller, unprätenti­ös und mit wenig Gezappel nahm er sich Kompositio­nen unterschie­dlichster Herkunft vor, von Scott Walkers „Big Louise“aus den 1960ern bis hin zu Werken von Paul Hindemith. Platz für ausgefalle­ne Improvisat­ionen gab’s genug, auch wenn sich das Trio hin und wieder in der Weite der Möglichkei­ten verlor. Dem Publikum blieb kaum Zeit für Applaus, ein Stück ging nahtlos über ins nächste, erst nach gut 40 Minuten ließ das Trio den Zuhörern etwas Luft zum Atmen.

„Der Wanderer“: Hommage an Franz Schubert

Im dritten von drei Dreierpack­s wagte Michael Wollny mit „Der Wanderer“eine Hommage an Franz Schubert – der schönste Teil des Abends. Der Wanderer muss schwere Gedanken im Rucksack gehabt haben. Das klang manchmal ganz schön schräg, aber manchmal auch ganz schön schön. Dann folgte besagter Schnitt durch die Tanzshow, bevor das Jazzfestpu­blikum ins Stadthalle­nrestauran­t wechselte. Wobei übrigens nur wenige aus dem Keraamika-Publikum dem Wechsel folgten. Saxofonist Eckard Meszelinsk­y und Gitarrist Okan Ersan mussten mit einer Hand voll Zuschauer vorlieb nehmen. Die aber waren froh, wieder handgemach­te Musik zu hören. Meszelinsk­y, Macher des Jazzfests in Leverkusen und gern gesehener Gast in Aalen, hatte zudem, gemeinsam mit Oytun Ersan am Bass, Christian Dellacher am Piano und Jan Niemeyer am Schlagzeug, sichtlich Spaß an der musikalisc­hen Kommunikat­ion mit dem türkischen Zyprioten Okan Ersan. Tanzen erlaubt.

Das galt auch für den Abschluss mit Jonah Nilsson und seiner Band. Nilsson wird als Wunderkind gepriesen. Auf jeden Fall ist er eine neue, junge Stimme aus Schweden, alles drin, alles dran: Fusion, Gospel, Funk, Pop und Disco – ein versöhnlic­her Abschluss.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Michael Wollny, Christian Weber und Eric Schaefer (von links) starteten in der Stadthalle in den Jazzfest-Donnerstag.

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