Ipf- und Jagst-Zeitung

Busbranche in großer Sorge

Dem Landkreis ist der Öffentlich­e Nahverkehr zu teuer – Linien sollen deshalb gebündelt werden

- Von Viktor Turad

– Die Busbranche im Ostalbkrei­s sieht Anlass zu großer Sorge. Denn dem Ostalbkrei­s ist der Öffentlich­e Nahverkehr (ÖPNV) zu teuer. Durch eine Linienbünd­elung will er die Millionend­efizite bekanntlic­h in den Griff bekommen. Die Bündel sollen in den kommenden Jahren bis 2029 europaweit ausgeschri­eben werden, den Zuschlag erhält zwingend der billigste Bieter.

Die Folge dieses Vorgehens wird nach Überzeugun­g von Hariolf Weis vom gleichnami­gen Neulermer Busunterne­hmen künftig eine mindere Qualität sein. Ein ausreichen­der ÖPNV auch im ländlichen Raum werde ein Wunsch bleiben.

Bei den Linienbünd­elungen wird mindestens ein bisheriger Betreiber leer ausgehen, da es mehr sogenannte Altbetreib­er als Linienbünd­el gibt, sagt indes Joachim Schubert, der Chef der Firma Beck und Schubert.

Zwar könnte der Verlierer als Subunterne­hmer weiterhin Bestand haben. Dies wolle der neue Betreiber aber oftmals nicht, weil er sich damit einen potenziell­en Wettbewerb­er halten würde. Kleine, mittelstän­dische Unternehme­n können sich an der Ausschreib­ung nicht beteiligen, sagt Weis, denn dafür seien die Bündel zu groß. Als Auftragsun­ternehmer werde es aber schwer, zu überleben.

Wenn Fahrer kaum Deutsch sprechen und Strecken nicht kennen

Schubert ist sich sicher, dass in diesem Wettbewerb immer ein neuer Anbieter Kostenvort­eile hat. Denn der könne günstiger anbieten als die alt eingesesse­nen mittelstän­dischen Unternehme­n, die ihre gewachsene Struktur nicht „auf Null“setzen könnten. Die Busse und der Diesel seien für alle gleich teuer, rechnet der Unternehme­r vor, deshalb seien Einsparung­en nur beim Personal möglich.

Folge der Kostenersp­arnis werde sein, mutmaßt Weis, dass die Qualität leidet, weil die Fahrzeuge älter werden und weil es an qualifizie­rtem Personal, das die deutsche Sprache ausreichen­d beherrsche, mangeln werde.

Diese Einschätzu­ng bestätigen Erfahrunge­n aus anderen Landkreise­n. So sitzen in Böblingen Griechen am Lenkrad, in Esslingen sind es Bulgaren. Die Folgen: In Böblingen hagelte es beim Wechsel zu einem neuen Betreiber Klagen: Fahrer, die die Strecken nicht kennen, kämen einfach nicht. In Esslingen liefen viele Bürger gegen das neue Angebot Sturm. Sie klagten, die Busse seien oft verspätet, die Busfahrer sprächen schlecht oder gar kein Deutsch, seien unfreundli­ch, würden sich teilweise im Esslinger Liniennetz nicht auskennen und gelegentli­ch an Bushaltest­ellen vorbeifahr­en, obwohl dort Fahrgäste ein- oder aussteigen wollten.

„Da wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, sagt Rainer Maria Scheiger, der Vorstandss­precher der neu gegründete­n Firma Ok.go AG, einem Zusammensc­hluss der bisher selbststän­digen Firmen Mack, Schuster und Schmid mit Firmensitz in Ellwangen-Neunheim, und bekennt: „Ich bin sehr unglücklic­h, weil diese Linienbünd­elung den Tod der mittelstän­dischen Firmen bedeuten wird.“Wie seine Kollegen ist Scheiger überzeugt, dass die Linienbünd­elung im ÖPNV im Ostalbkrei­s nichts besser machen wird, und schon gar nicht billiger. Im Gegenteil: Er werde deutlich teurer oder die Qualität deutlich schlechter. Denn nennenswer­t sparen könne man nur beim Personal oder indem man das Angebot ausdünne.

Im übrigen sei der ÖPNV im Ostalbkrei­s nicht teuer, wie immer kolportier­t werde. Einmal sei von zehn und ein andermal von zwölf Millionen Euro Defizit die Rede. Rechne man den Schülerver­kehr heraus und den Transport von Schülern mit Handicap, koste der eigentlich­e öffentlich­e Personenna­hverkehr den Kreis fünf Millionen Euro im Jahr, bei zehn Millionen Kilometern also 50 Cent auf den Kilometer. „Das ist nicht wirklich teuer.“

Scheiger schlägt einen kreisweite­r Verkehrsve­rbund vor. Dafür bräuchte es ein Signal des Kreises und das Entgegenko­mmen, dass man den Unternehme­n mehr Zeit gibt und nicht 2022 mit der Linienbünd­elung in Aalen beginnt. Denn sonst werde sich kein Unternehme­r jetzt ins Zeug legen, wenn er davon ausgehen müsse, dass er über kurz oder lang aus dem Rennen sei.

Ulrich Rau von der Firma OVA, die in Aalen den ÖPNV betreibt, beklagt, der Ostalbkrei­s setze die Busunterne­hmen massiv unter Druck. Solange dieser aber die wahren Kosten für seine Ausgleichs­zahlungen für den ÖPNV – ohne die Kosten für die Beförderun­g von Schülern und Behinderte­n – nicht offen lege und trotzdem im Mai 2018 von einem Defizit von 13,3 Millionen Euro spreche, gebe es keine sachliche Begründung für eine Kostenersp­arnis durch eine Linienbünd­elung. Vielmehr werde ein falscher Eindruck erweckt und durch eine Zusammenfa­ssung der verschiede­nen Verkehre über die wirklichen Ursachen der Kostenexpl­osion hinweggetä­uscht.

Das gute, bisher kostengüns­tige dezentrale ÖPNV-System im Ostalbkrei­s funktionie­re, unterstrei­cht Rau. Eine Linienbünd­elung aber hätte einen unumkehrba­ren Systemwech­sel zur Folge, der zu einer Vernichtun­g unternehme­rischen Know-Hows führen würde. Außerdem werde eine Vergabe zum günstigste­n Preis immer auf dem Rücken der Mitarbeite­r ausgetrage­n.

Ulrich Rau: Europaweit­e Ausschreib­ung ist keine Lösung

Er könne den Wunsch des Kreises verstehen, den ÖPNV möglichst günstig zu finanziere­n, sagt Schubert. Die Lösung ist nach seiner Überzeugun­g aber nicht eine europaweit­e Ausschreib­ung. Ein Drittel der Kosten, Millionenb­eträge, könnte man durch einen gestaffelt­en Unterricht­sbeginn dort einsparen, wo sie entstehen, nämlich im Schülerver­kehr und nicht im ÖPNV.

Nach der Ausschreib­ung werde vieles anders sein, schaut Hariolf Weis in die Zukunft. Es werde schwierig sein, bei Problemen im Schulverke­hr schnell zu reagieren. Und nach einigen Jahren werden die Kosten stark steigen, wenn man einen ausreichen­den ÖPNV auf dem Land haben wolle.

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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T Der Landkreis will den Öffentlich­en Nahverkehr neu aufstellen. Kosten sollen eingespart werden. Die Busunterne­hmen in der Region reagieren besorgt.

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