Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Kanzel der Stadtkirch­e war tabu

Heide Kast war die erste Gemeindepf­arrerin in Württember­g – Anfang der 60er Jahre war sie Vikarin in Aalen

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(tu) - Ein Fest mit Tanz im damals neuen evangelisc­hen Gemeindeha­us hat ihr vorgeschwe­bt, damit die jungen Menschen nicht irgendwo „auf den Rummel“mussten. Die Rede ist von Heide Kast. Anfang der 60er Jahre war sie als junge Vikarin in Aalen. Später sollte sie die erste Gemeindepf­arrerin in Württember­g werden, denn vor 50 Jahren, am 15. November 1968, hat die württember­gische Landessyno­de mit großer Mehrheit die Frauenordi­nation beschlosse­n.

Heute sind Frauen im Pfarramt und darüber hinaus als Dekanin wie Ursula Richter in Schwäbisch Gmünd oder als Prälatin wie Gabriele Wulz in Ulm, die auch für Aalen zuständig ist, eine Selbstvers­tändlichke­it.

Als Heide Kast in Aalen war, war diese angestrebt­e Ordination von Frauen dagegen noch heftig umstritten. „Jungen und Mädchen sollten möglichst getrennt sein“, erinnert sich die Pfarrerin, die ihren Ruhestand in Ostfildern bei Stuttgart verbringt, an diese Zeit.

Deswegen war es auch schon ungewöhnli­ch, an ein Fest für Jungen und Mädchen im Evangelisc­hen Gemeindeha­us zu denken. Aber Heide Kast schwärmte so davon, dass sie sogar den damaligen Prälaten von der Idee überzeugte. Nicht nur das: Der Prälat kam auch zum Fest. Ansonsten aber verbindet sie mit ihrer Aalener Zeit, dass sie hier mit typischen Frauenund Mädchenarb­eiten betraut worden sei, also vor allem mit Religionsu­nterricht, am Schubart-Gymnasium etwa, und mit Bibelarbei­t. „Dem CVJM, dem Christlich­en Verein Junger Menschen, war ich aber offensicht­lich nicht fromm genug“, schmunzelt sie am Telefon, „mit den Pfadfinder­n ging's besser.“Gottesdien­ste hat sie auch gehalten, unter anderem in Ermangelun­g eines Gotteshaus­es in der Kantine der damaligen Firma Hengella, die später dem heutigen Wirtschaft­szentrum an der Ulmer Straße weichen musste.

Die Kanzel der Stadtkirch­e aber war damals für die junge Vikarin tabu: „Drei weitere Pfarrer wollten dort gerne predigen, da war ich überflüssi­g“, erinnert sich die 80-Jährige. Das Gotteshaus selbst aber ist ihr als eine schöne Barockkirc­he in Erinnerung geblieben. Frauen durften zwar schon seit 1904 Theologie studieren, das war der jungen Heide Kast aber zu wenig. Sie wollte eine Gemeinde leiten – und das war nicht erlaubt, als sie ihr Studium begann. Bis sie fertig sei, versprach ihr die Kirchenlei­tung, werde die Frauenordi­nation durch sein. Heide Kast studierte zwei Semester in Berlin und dort erlebte sie, dass wegen des Pfarrerman­gels Frauen als gleichbere­chtigte Gemeindepf­arrerinnen tätig waren. „Damals war absehbar, dass auch in Württember­g etwas passieren würde. Auch wenn der rechte Flügel die 'lebendige Gemeinde' damals schon bremste.“

Gleichbere­chtigte Ordination ist eine Selbstvers­tändlichke­it

Inzwischen, 50 Jahre nach dem Beschluss zur Frauenordi­nation, sind allein im Kirchenbez­irk Aalen, zwischen Essingen und Wört, zwölf Pfarrerinn­en tätig. Der evangelisc­he Dekan Ralf Drescher teilt mit, dass im Frühjahr nächsten Jahres in Bopfingen zudem ein Pfarrehepa­ar aufzieht, das die dortige Pfarrstell­e gemeinsam versehen wird. Für Drescher stellt nach eigenem Bekunden die gleichbere­chtigte Ordination von Frauen und Männern in den Pfarrdiens­t eine Selbstvers­tändlichke­it dar. „Ich kann mir das gar nicht anders vorstellen“, so Drescher. Seit Jahren arbeite er gleicherma­ßen gut und gerne mit Pfarrerinn­en und Pfarrern zusammen. Er kenne es gar nicht anders, dass auch Pfarrerinn­en geschäftsf­ührende Pfarrstell­en leiten und Dekaninnen sind. „In der Prälatur Ulm schätzen wir es sehr, dass seit vielen Jahren eine äußerst profiliert­e Prälatin an der Spitze steht“, stellt der Dekan fest.

Gleichwohl stelle sich die Situation innerhalb der Württember­gischen Evangelisc­hen Landeskirc­he offenbar so dar, dass der Frauenante­il an Studierend­en zwar bei 60 Prozent liege, im ständigen Pfarrdiens­t am Ende jedoch nur 39 Prozent (Stand: 10/ 2018) ankämen.

Drescher sieht hier in erster Linie einen Zusammenha­ng mit der Lebensplan­ung der Theologinn­en im Anschluss an das Studium. Dabei verweist er selbst auf sehr gute Erfahrunge­n mit der Stellentei­lung im Pfarramt für junge Familien: „Meine Frau und ich haben uns seinerzeit die erste Pfarrstell­e ebenfalls geteilt!“Arbeit, Familie und Kinder ließen sich hier sehr gut und partnersch­aftlich miteinande­r vereinbare­n.

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FOTO: EPD Heide Kast war als Vikarin Anfang der 60er-Jahre in Aalen.

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