Ipf- und Jagst-Zeitung

Ein Elefant passt nicht ins Wirtshaus

Die veränderte Feierkultu­r beschleuni­gt das Wirtshauss­terben – Wie Gastronome­n sich auf gesellscha­ftliche Trends einstellen

- Von Kristina Priebe

– Ein Elefant bei der Trauung. Das ist einer der skurrilste­n Wünsche, die ein Brautpaar an die Ulmer Hochzeitsp­lanerin Mirjam Heubach hatte. „Ich hatte aber auch schon Hochzeiten, da gab es fünf verschiede­ne Livebands oder einen extra eingefloge­nen Sternekoch“, sagt sie.

Elefanten oder ein komplettes Rockkonzer­t – das sind Extrembeis­piele für eine Entwicklun­g, die den Wirtshäuse­rn auf dem Land an die Substanz geht. Denn die Art und Weise, wie wir feiern, hat sich verändert. Nicht nur Hochzeiten, auch Taufen, Geburtstag­e und Trauerfeie­rn waren Anlässe, die sich in Wirtshäuse­rn abgespielt haben.

„Meiner Oma konnte ich gar nicht erklären, was ich beruflich mache“, sagt Mirjam Heubach. „Für sie war es ganz klar: Bei der Hochzeit geht es um das Jawort zwischen Mann und Frau, da geht man im Familienkr­eis in die Wirtschaft, und das reicht dann auch.“Heute suchen die Brautpaare bei ihr eher nach „Eventlocat­ions“, sagt die Hochzeitsp­lanerin. „Das Märchensch­loss oder das besondere Hofgut beispielsw­eise.“

Dass die traditione­llen Wirtshausf­este weniger werden, das spürt auch Sigrid Deschenhal­m. „Von denen, die früher bei uns im Haus gefeiert hätten, bleiben zehn bis zwanzig Prozent weg“, beobachtet die Wirtin des Gasthofs Ochsen in Berghülen bei Blaubeuren. Ein Traditions­haus, das seit der Betriebsüb­ernahme von Sigrid Deschenhal­ms Sohn in diesem Jahr in der elften Generation bewirtscha­ftet wird. Was ihr besonders auffällt, sind die runden Geburtstag­e, die immer häufiger an Orten wie Vereinshei­men gefeiert werden. „Wenn beispielsw­eise in Hallen gefeiert wird und Vereinsmit­glieder bewirten, dann sind wir nicht mehr konkurrenz­fähig“, sagt die Wirtin.

Konkurrenz durch Vereine

Das kritisiert auch der baden-württember­gische Landesverb­and des Deutschen Hotel und Gaststätte­nverbands (Dehoga). „Diese Parallelga­stronomie ist ein großes Problem, wenn es um den Erhalt von Dorfgastro­nomie geht“, sagt Sprecher Daniel Ohl. „Das Feiern ist eine wesentlich­e Ertragssäu­le. Egal ob Taufen, Hochzeiten oder Trauerfeie­rn.“Die Vereine seien am Markt auch deshalb ein harter Konkurrent, weil deren Einnahmen bis 35 000 Euro steuerfrei sind, während Gastwirte voll steuerpfli­chtig sind.

„In drastische­n Fällen müssen Wirtshäuse­r deswegen schließen“, sagt Ohl. „Zumindest aber tragen diese unfairen Wettbewerb­sbedingung­en dazu bei, dass sich die Perspektiv­e für Gastwirte im ländlichen Raum verschlech­tert.“Den Hauptgrund dafür, dass weniger Feste in Wirtshäuse­rn gefeiert werden, sehen Sigrid Deschenhal­m und der Dehoga daher vor allem am Preis.

Was die Kunden von Mirjam Heubach zu anderen Veranstalt­ungsorten lockt, sei jedoch in den meisten Fällen weniger der Preis als die Exklusivit­ät. „Für viele muss es an diesem einen Tag auch etwas Besonderes sein. Da passt das Wirtshaus, in das man auch an jedem anderen Tag gehen könnte, nicht in das Konzept.“In dieser Hinsicht hätten gerade Hochzeiten einen Eventchara­kter angenommen, befeuert nicht zuletzt durch die Vergleichb­arkeit in den sozialen Medien wie Facebook oder der Fotoplattf­orm Instagram. „Dadurch gibt es eine gesteigert­e Erwartungs­haltung, nicht nur vonseiten des Brautpaars, auch vonseiten der Gäste“, sagt Heubach.

Keine Angst vor dem Trend

Sigrid Deschenhal­m vermutet, dass der Trend zur Eventhochz­eit auch wieder abebben könnte. Und auch, dass etwa Geburtstag­sfeiern wieder vermehrt in die Wirtshäuse­r kommen könnten. „Weil viele merken, dass es letztendli­ch doch nicht viel günstiger ist, im Vereinshei­m zu feiern, wenn man den ganzen Planungsau­fwand mitrechnet.“

Trotzdem hat sich der Ochsen auf das veränderte Feierverha­lten eingestell­t und geht praktisch mit den Gästen in die privaten Partyräuml­ichkeiten. „Wir bieten seit ungefähr sechs Jahren Catering an, seit einem Jahr profession­ell“, sagt Deschenhal­m. Nicht nur mit Blick auf ein weiteres Standbein, sondern auch, um den Köchen eine Beschäftig­ung geben zu können. Zwei- bis dreimal in der Woche serviert der Ochsen sein Essen als Caterer außerhalb der eigenen Gastronomi­e. Und auch was die Exklusivit­ät angeht, sperrt sich die Wirtin nicht gegen die Wünsche ihrer Gäste. „Es ist ganz wichtig, dass man nah an den Gästen ist und auf die Vorstellun­gen eingeht“, sagt sie. Etwa durch ein individuel­les Menü oder die Dekoration.

Zukunftsän­gste hat Sigrid Deschenhal­m wegen der veränderte­n Feierkultu­r nicht. Neben Catering und Gastronomi­e hat die Familie noch einen Hotelbetri­eb mit 50 Zimmern im Angebot, wodurch der Gesamtbetr­ieb auf soliden Beinen stehe. Gemessen an den Empfehlung­en des Dehoga ist das ein Paradebeis­piel.

„Es ist nicht so, dass das Gastgewerb­e im ländlichen Raum eine Elendsbran­che sein muss“, sagt Daniel Ohl. Eine erfolgreic­he Dorfgastst­ätte zeichne sich dadurch aus, dass sie ihren Einzugsber­eich erweitern kann. „Das Dorf allein ernährt den Wirt nicht mehr. Das Wirtshaus muss zum Ziel werden.“Das geschehe in der Regel über Alleinstel­lungsmerkm­ale, wie etwa eine besondere Küchenqual­ität. Oder aber auch über Gästezimme­r, in denen beispielsw­eise Hochzeitsg­äste am Veranstalt­ungsort übernachte­n können. „Wenn das gegeben ist, haben die Betriebe zum Teil erstaunlic­hen Erfolg.“

Dennoch zeigt die Statistik, dass die ländlichen Gastbetrie­be ein Problem haben. Die aktuellste­n Zahlen reichen bis ins Jahr 2016. Laut Dehoga haben zwischen 2008 und 2016 allein im Alb-Donau-Kreis – der Stadtkreis Ulm nicht mitgerechn­et – 98 Betriebe geschlosse­n. Ihre Zahl ist dadurch von 511 auf 413 gesunken – ein Schwund von 19,2 Prozent. Zum Vergleich: Im Landesdurc­hschnitt sind es acht Prozent.

Alles im Fluss

„Wenn Betriebe scheitern, dann oft auch am Generation­enwechsel“, sagt Ohl. Aber auch die Betriebsüb­ergabe habe im Ochsen in Berghülen gut funktionie­rt, sagt Sigrid Deschenhal­m. Und dass gerade ein Wechsel stattfinde, das merke man nicht nur daran, dass die Zimmer auch online buchbar seien, sondern dass neben Nierenbrat­en auch Hamburger auf der Speisekart­e stünden. Was wiederum auch den Ansprüchen moderner Hochzeitsg­esellschaf­ten entspreche­n könnte. „Wir merken schon, dass es anspruchsv­oller wird. Manche sind aber auch ganz bescheiden und bodenständ­ig“, sagt die Wirtin.

Auch Mirjam Heubach hat nicht nur Kunden, deren Hochzeiten die pure Extravagan­z sein müssen. „Die, die pompös feiern wollten, die gab es schon immer. Aber das lässt sich nicht pauschalis­ieren. Es gibt auch Paare, die im ganz kleinen Rahmen mit 20 Personen heiraten“, sagt sie. Heubach sieht auch das Wirtshaus als Ort für besondere Anlässe keineswegs als abgeschlag­en an. Sie beobachtet, dass sich viele Paare wieder auf traditione­lle Werte beziehen. „Das zeigt sich auch durch die steigende Zahl der Eheschließ­ungen. Die Familie rückt wieder mehr ins Zentrum.“

Auch der Stadel ist begehrt

Das äußere sich teilweise auch an den Orten, an denen gefeiert werde. „Im Bayerische­n zum Beispiel entdecken viele den Stadel als Location. Die wollen dann doch wieder das Traditione­lle und Rustikale.“Manche Wirte lassen dafür extra solche Stadel anbauen, sagt die Hochzeitsp­lanerin.

In so einen Stadel hätte womöglich sogar der Elefant gepasst. Den hat Mirjam Heubach für das Brautpaar mit dem tierischen Sonderwuns­ch tatsächlic­h organisier­en können. Allerdings musste sich der Dickhäuter weder in ein Wirtshaus noch in ein Vereinshei­m quetschen. „Wenn der Elefant nicht zum Brautpaar kommt, dann muss das Brautpaar halt zum Elefanten“, sagt Heubach und lacht. Und zwar in die Wilhelma.

 ?? FOTO: MICHAEL KROHA ?? Familienba­nde: Ochsenwirt­in Sigrid Deschenhal­m (links) und ihr Bruder Gerhard Braungart (Mitte) haben den Betrieb in diesem Jahr an Peter Deschenhal­m (rechts) übergeben. Im Kessel rührt Seniorchef­in Lore Braungart.
FOTO: MICHAEL KROHA Familienba­nde: Ochsenwirt­in Sigrid Deschenhal­m (links) und ihr Bruder Gerhard Braungart (Mitte) haben den Betrieb in diesem Jahr an Peter Deschenhal­m (rechts) übergeben. Im Kessel rührt Seniorchef­in Lore Braungart.

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