Ein Elefant passt nicht ins Wirtshaus
Die veränderte Feierkultur beschleunigt das Wirtshaussterben – Wie Gastronomen sich auf gesellschaftliche Trends einstellen
– Ein Elefant bei der Trauung. Das ist einer der skurrilsten Wünsche, die ein Brautpaar an die Ulmer Hochzeitsplanerin Mirjam Heubach hatte. „Ich hatte aber auch schon Hochzeiten, da gab es fünf verschiedene Livebands oder einen extra eingeflogenen Sternekoch“, sagt sie.
Elefanten oder ein komplettes Rockkonzert – das sind Extrembeispiele für eine Entwicklung, die den Wirtshäusern auf dem Land an die Substanz geht. Denn die Art und Weise, wie wir feiern, hat sich verändert. Nicht nur Hochzeiten, auch Taufen, Geburtstage und Trauerfeiern waren Anlässe, die sich in Wirtshäusern abgespielt haben.
„Meiner Oma konnte ich gar nicht erklären, was ich beruflich mache“, sagt Mirjam Heubach. „Für sie war es ganz klar: Bei der Hochzeit geht es um das Jawort zwischen Mann und Frau, da geht man im Familienkreis in die Wirtschaft, und das reicht dann auch.“Heute suchen die Brautpaare bei ihr eher nach „Eventlocations“, sagt die Hochzeitsplanerin. „Das Märchenschloss oder das besondere Hofgut beispielsweise.“
Dass die traditionellen Wirtshausfeste weniger werden, das spürt auch Sigrid Deschenhalm. „Von denen, die früher bei uns im Haus gefeiert hätten, bleiben zehn bis zwanzig Prozent weg“, beobachtet die Wirtin des Gasthofs Ochsen in Berghülen bei Blaubeuren. Ein Traditionshaus, das seit der Betriebsübernahme von Sigrid Deschenhalms Sohn in diesem Jahr in der elften Generation bewirtschaftet wird. Was ihr besonders auffällt, sind die runden Geburtstage, die immer häufiger an Orten wie Vereinsheimen gefeiert werden. „Wenn beispielsweise in Hallen gefeiert wird und Vereinsmitglieder bewirten, dann sind wir nicht mehr konkurrenzfähig“, sagt die Wirtin.
Konkurrenz durch Vereine
Das kritisiert auch der baden-württembergische Landesverband des Deutschen Hotel und Gaststättenverbands (Dehoga). „Diese Parallelgastronomie ist ein großes Problem, wenn es um den Erhalt von Dorfgastronomie geht“, sagt Sprecher Daniel Ohl. „Das Feiern ist eine wesentliche Ertragssäule. Egal ob Taufen, Hochzeiten oder Trauerfeiern.“Die Vereine seien am Markt auch deshalb ein harter Konkurrent, weil deren Einnahmen bis 35 000 Euro steuerfrei sind, während Gastwirte voll steuerpflichtig sind.
„In drastischen Fällen müssen Wirtshäuser deswegen schließen“, sagt Ohl. „Zumindest aber tragen diese unfairen Wettbewerbsbedingungen dazu bei, dass sich die Perspektive für Gastwirte im ländlichen Raum verschlechtert.“Den Hauptgrund dafür, dass weniger Feste in Wirtshäusern gefeiert werden, sehen Sigrid Deschenhalm und der Dehoga daher vor allem am Preis.
Was die Kunden von Mirjam Heubach zu anderen Veranstaltungsorten lockt, sei jedoch in den meisten Fällen weniger der Preis als die Exklusivität. „Für viele muss es an diesem einen Tag auch etwas Besonderes sein. Da passt das Wirtshaus, in das man auch an jedem anderen Tag gehen könnte, nicht in das Konzept.“In dieser Hinsicht hätten gerade Hochzeiten einen Eventcharakter angenommen, befeuert nicht zuletzt durch die Vergleichbarkeit in den sozialen Medien wie Facebook oder der Fotoplattform Instagram. „Dadurch gibt es eine gesteigerte Erwartungshaltung, nicht nur vonseiten des Brautpaars, auch vonseiten der Gäste“, sagt Heubach.
Keine Angst vor dem Trend
Sigrid Deschenhalm vermutet, dass der Trend zur Eventhochzeit auch wieder abebben könnte. Und auch, dass etwa Geburtstagsfeiern wieder vermehrt in die Wirtshäuser kommen könnten. „Weil viele merken, dass es letztendlich doch nicht viel günstiger ist, im Vereinsheim zu feiern, wenn man den ganzen Planungsaufwand mitrechnet.“
Trotzdem hat sich der Ochsen auf das veränderte Feierverhalten eingestellt und geht praktisch mit den Gästen in die privaten Partyräumlichkeiten. „Wir bieten seit ungefähr sechs Jahren Catering an, seit einem Jahr professionell“, sagt Deschenhalm. Nicht nur mit Blick auf ein weiteres Standbein, sondern auch, um den Köchen eine Beschäftigung geben zu können. Zwei- bis dreimal in der Woche serviert der Ochsen sein Essen als Caterer außerhalb der eigenen Gastronomie. Und auch was die Exklusivität angeht, sperrt sich die Wirtin nicht gegen die Wünsche ihrer Gäste. „Es ist ganz wichtig, dass man nah an den Gästen ist und auf die Vorstellungen eingeht“, sagt sie. Etwa durch ein individuelles Menü oder die Dekoration.
Zukunftsängste hat Sigrid Deschenhalm wegen der veränderten Feierkultur nicht. Neben Catering und Gastronomie hat die Familie noch einen Hotelbetrieb mit 50 Zimmern im Angebot, wodurch der Gesamtbetrieb auf soliden Beinen stehe. Gemessen an den Empfehlungen des Dehoga ist das ein Paradebeispiel.
„Es ist nicht so, dass das Gastgewerbe im ländlichen Raum eine Elendsbranche sein muss“, sagt Daniel Ohl. Eine erfolgreiche Dorfgaststätte zeichne sich dadurch aus, dass sie ihren Einzugsbereich erweitern kann. „Das Dorf allein ernährt den Wirt nicht mehr. Das Wirtshaus muss zum Ziel werden.“Das geschehe in der Regel über Alleinstellungsmerkmale, wie etwa eine besondere Küchenqualität. Oder aber auch über Gästezimmer, in denen beispielsweise Hochzeitsgäste am Veranstaltungsort übernachten können. „Wenn das gegeben ist, haben die Betriebe zum Teil erstaunlichen Erfolg.“
Dennoch zeigt die Statistik, dass die ländlichen Gastbetriebe ein Problem haben. Die aktuellsten Zahlen reichen bis ins Jahr 2016. Laut Dehoga haben zwischen 2008 und 2016 allein im Alb-Donau-Kreis – der Stadtkreis Ulm nicht mitgerechnet – 98 Betriebe geschlossen. Ihre Zahl ist dadurch von 511 auf 413 gesunken – ein Schwund von 19,2 Prozent. Zum Vergleich: Im Landesdurchschnitt sind es acht Prozent.
Alles im Fluss
„Wenn Betriebe scheitern, dann oft auch am Generationenwechsel“, sagt Ohl. Aber auch die Betriebsübergabe habe im Ochsen in Berghülen gut funktioniert, sagt Sigrid Deschenhalm. Und dass gerade ein Wechsel stattfinde, das merke man nicht nur daran, dass die Zimmer auch online buchbar seien, sondern dass neben Nierenbraten auch Hamburger auf der Speisekarte stünden. Was wiederum auch den Ansprüchen moderner Hochzeitsgesellschaften entsprechen könnte. „Wir merken schon, dass es anspruchsvoller wird. Manche sind aber auch ganz bescheiden und bodenständig“, sagt die Wirtin.
Auch Mirjam Heubach hat nicht nur Kunden, deren Hochzeiten die pure Extravaganz sein müssen. „Die, die pompös feiern wollten, die gab es schon immer. Aber das lässt sich nicht pauschalisieren. Es gibt auch Paare, die im ganz kleinen Rahmen mit 20 Personen heiraten“, sagt sie. Heubach sieht auch das Wirtshaus als Ort für besondere Anlässe keineswegs als abgeschlagen an. Sie beobachtet, dass sich viele Paare wieder auf traditionelle Werte beziehen. „Das zeigt sich auch durch die steigende Zahl der Eheschließungen. Die Familie rückt wieder mehr ins Zentrum.“
Auch der Stadel ist begehrt
Das äußere sich teilweise auch an den Orten, an denen gefeiert werde. „Im Bayerischen zum Beispiel entdecken viele den Stadel als Location. Die wollen dann doch wieder das Traditionelle und Rustikale.“Manche Wirte lassen dafür extra solche Stadel anbauen, sagt die Hochzeitsplanerin.
In so einen Stadel hätte womöglich sogar der Elefant gepasst. Den hat Mirjam Heubach für das Brautpaar mit dem tierischen Sonderwunsch tatsächlich organisieren können. Allerdings musste sich der Dickhäuter weder in ein Wirtshaus noch in ein Vereinsheim quetschen. „Wenn der Elefant nicht zum Brautpaar kommt, dann muss das Brautpaar halt zum Elefanten“, sagt Heubach und lacht. Und zwar in die Wilhelma.