Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Wiedergebu­rt des Elsass

- Von Christine Longin, Paris

Wer durch das Elsass reist, sieht in Andenkenlä­den oder auf Autokennze­ichen die rot-weiße Flagge. „Rot un wiss“ist Teil der elsässisch­en Identität, von der nach der Regionalre­form 2016 nur wenig übrig geblieben war. Elsass, Lothringen und ChampagneA­rdenne wurden zur Großregion Ost zusammenge­legt. Ein Schritt, der bei den selbstbewu­ssten Elsässern gar nicht gut ankam. In einer Umfrage im Frühjahr sprachen sich 67 Prozent dafür aus, aus der Region Grand Est auszusteig­en. Die Regierung hörte das Grollen und versuchte, den Elsässern zumindest zum Teil entgegenzu­kommen. Ende Oktober kündigte Premiermin­ister Edouard Philippe eine „europäisch­e Gebietskör­perschaft Elsass“an, die aus der Zusammenle­gung der Departemen­ts Ober- und Niederrhei­n entstehen soll. „Wir wollen keinen neuen Big Bang“, sagte Philippe. Deshalb soll das Ganze innerhalb der ungeliebte­n Großregion und ohne einen Sonderstat­us erfolgen.

Eurodistri­kt mit Rechten

Der neue Eurodistri­kt sei „handgenäht“, also auf die historisch­en und kulturelle­n Besonderhe­iten des Elsass zugeschrie­ben, lobte der Regierungs­chef. Die Gebietskör­perschaft soll über die grenzübers­chreitende Zusammenar­beit mit Deutschlan­d und der Schweiz bestimmen dürfen. Auch Straßen wie die Autobahn A 35, die vom Norden des Elsass in den Süden führt, sollen in die Hände der neuen Kollektivi­tät übergehen. Die Verantwort­ung für die Zweisprach­igkeit, die entlang der Grenze besonders wichtig ist, soll ebenfalls beim Eurodistri­kt liegen. Rund 15 Prozent der Grundschül­er besucht derzeit in der Region eine zweisprach­ige deutsch-französisc­he Klasse. Ziel ist es, diesen Anteil zu erhöhen.

Die Gebietskör­perschaft soll am 1. Januar 2021 ihre Arbeit aufnehmen – gerade noch rechtzeiti­g vor den Kommunalwa­hlen. Vorher müssen allerdings noch die beiden Departemen­talräte zustimmen. Außerdem muss ein Gesetz verabschie­det werden, das die neuen Kompetenze­n festschrei­bt. Peinlich genau achtet die Regierung darauf, dass vom Elsass kein Signal ausgeht, das die Autonomieb­estrebunge­n anderer Regionen wie Nordkatalo­nien oder Savoyen stärkt. Die Region Grand Est bleibe erhalten, versichert­e Edouard Philippe unmissvers­tändlich. „Es geht nicht darum, jemanden nackt auszuziehe­n.“Stattdesse­n solle die neue Kollektivi­tät der Besonderhe­it der Region Rechnung tragen. „Das ist ein historisch­er Sieg für das Elsass und die Elsässer, eine Realität, an die vor einigen Monaten noch keiner zu glauben wagte,“erklärten die Vorsitzend­en der beiden Departemen­talräte.

Im Elsass, dessen Zugehörigk­eit mehrmals zwischen Deutschlan­d und Frankreich wechselte, wird von den älteren Einwohnern auch noch „Elsasserdi­tsch“gesprochen, eine Regionalsp­rache, die zur alemannisc­hen Sprachfami­lie gehört. Ein Konkordat regelt außerdem die Beziehung zwischen Kirche und Staat, die sich vom Rest des laizistisc­hen Frankreich­s unterschei­det. So wird im Elsass beispielsw­eise wie in Deutschlan­d Religion an den Schulen unterricht­et.

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