Ipf- und Jagst-Zeitung

Der Hass im Netz auf Frauen

Weibliche Promis werden online oft erniedrigt – Ein Star wehrt sich

- Von Christina Peters

(dpa) - Es trifft Schauspiel­erinnen und Politikeri­nnen, Reporterin­nen und Sängerinne­n. „Du dumme Schlampe“, „Hure“, „hässlich und nichts wert“, „Widerliche­s Weib“, „Du wirst nie genug sein“– all diese Beschimpfu­ngen haben Lena MeyerLandr­ut erreicht. Die Sängerin (27) hatte die Nase voll. Sie schrieb all das mit schwarzem Stift auf einen Spiegel und fotografie­rte sich darin mit Blitzlicht. Mit dem Selfie erreichte die ESC-Gewinnerin von 2010 innerhalb eines Tages rund 150 000 Likes, Tausende antwortete­n ihr.

„Der Hass im Netz betrifft alle Geschlecht­er, aber er nimmt bei Frauen eine andere Facette an“, sagt Ingrid Brodnig. Die Journalist­in hat ein Buch darüber geschriebe­n, was Menschen einander im Internet antun. „Wenn Frauen online beleidigt werden, dann geht es sehr schnell um das Körperlich­e, dann wird es erniedrige­nd, das Aussehen wird herabgewer­tet, man wird als Schlampe bezeichnet.“Schnell kommen auch Bedrohunge­n dazu, bei Frauen meist mit Vergewalti­gung. „Da geht es um eine Entwertung als Mensch an sich“, sagt Brodnig.

Die Liste der Frauen, die über Erfahrunge­n damit sprechen, ist lang. Die Moderatori­nnen Anja Reschke (NDR) und Dunja Hayali (ZDF) machen das seit Jahren öffentlich. Im Sommer ergoss sich so viel Hetze über Fußballexp­ertin Claudia Neumann, dass das ZDF Strafanzei­ge stellte.

„Es lag nicht an ihren Worten, sondern daran, dass ich begann, sie zu glauben“, schrieb im August die US-Schauspiel­erin Kelly Marie Tran („Star Wars: Die letzten Jedi“) in einem Kommentar in der Zeitung „New York Times“. Seit ihrer Rolle in der Kult-Kinoreihe war die 29-Jährige monatelang online gemobbt worden. Irgendwann löschte Tran den Inhalt ihres Instagram-Kontos, weil sie die hässlichen Kommentare über ihr Geschlecht und ihr Aussehen nicht mehr ertrug.

Brutalter Sexismus

Die auf Twitter aktive Linken-Politikeri­n Julia Schramm sammelte eingehende Hassnachri­chten – „leg dir mal ein paar titten zu, du nutte“und schlimmere­s – in einem Blog und veröffentl­ichte sie Anfang des Jahres als Buch. „Ich glaube, dass die meisten Männer, die solche Sachen schreiben, dass die auch gar nicht wissen, was das anrichtet“, sagte sie Deutschlan­dfunk Kultur.

„Es ist weniger beklemmend, brutal im Internet zu sein, weil ich den anderen nicht sehe, weil ich nicht ansehen muss, was ich auslöse und weil der andere mich nicht sieht“, erklärt Autorin Brodnig. Dazu kommt laut dem Marburger Sozialpsyc­hologen Ulrich Wagner „brutaler Sexismus“, der sich zu der brutalen Sprache gesellt. Die Verfasser handelten aus verschiede­nen Motiven. „Dahinter kann so etwas wie Sexismus stehen, dahinter kann aber auch extreme Wut stehen“, sagt Wagner. Auch Brodnig sieht verschiede­ne Typen von Beleidiger­n. „Manche wollen Aggression­en abladen, manche erfreuen sich daran, andere zu erniedrige­n.“Trolle etwa seien nur dafür im Internet unterwegs, um sich am Leid anderer zu ergötzen.

Meyer-Landrut habe mit ihrem Spiegel-Selfie genau richtig reagiert, sagt Expertin Brodnig. Indem sie die Beleidigun­gen auf den Spiegel schreibe, zeige sie das Problem, ohne den Beschimpfe­nden selbst eine Bühne zu bieten. „Sie entwendet ihre Worte, um es zu thematisie­ren.“

Solche Erlebnisse anzusprech­en, sei wichtig. „Auch wenn jemand total berühmt ist, nagt das an einem. Niemand ist so hart, dass das komplett spurlos an einem vorübergeh­t“, sagt Brodnig. „Das Schlimmste ist, wenn Opfer sowas in sich hineinfres­sen, wenn sie das nicht teilen.“Extreme Beschimpfu­ngen solle man anzeigen. Sorge bereitet der Autorin ein anderer Effekt: Studien etwa der Organisati­on Amnesty Internatio­nal zufolge trauten sich viele Frauen nach solchen Wellen von Hass nicht mehr, ihre Meinung kundzutun. „Da besteht die Gefahr, dass Frauen aus der öffentlich­en Debatte verdrängt werden, weil sie ein anderes, brutaleres Internet erleben.“

Lena Meyer-Landrut jedenfalls meldete sich am Tag nach ihrem Spiegel-Selfie erneut zu Wort. Neben einem Foto ihres Gesichts, über dem „Growth through Resistance“(Wachstum durch Widerstand) steht, rief sie dazu auf, sich auf Positives und Liebe zu konzentrie­ren.

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FOTO: SCREENSHOT/INSTAGRAMM Lena Meyer-Landrut hat Hassnachri­chten an sie auf einen Spiegel geschriebe­n und veröffentl­icht.

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