„Frau, gläubig, links“gratuliert der Aalener SPD
Bundesvorsitzende Andrea Nahles ist Hauptrednerin beim Festabend zum 125-jährigen Bestehen des Ortsvereins
- „Aufeinander Acht zu geben, das ist etwas, wofür ich bete, dass es in diesem Land nicht verloren geht, das ist die Voraussetzung für soziale Demokratie.“Mit lang anhaltendem Beifall haben die knapp 300 Gäste in der Mensa des Berufsschulzentrums am Donnerstagabend nach diesem Schlusssatz der SPD-Vorsitzenden Andreas Nahles für ihre Festrede zum 125-jährigen Bestehen des Aalener SPD-Ortsvereins gedankt. Nahles machte sich darin unter anderem für ein soziales Europa, gegen alle rechten und rechtsradikalen Strömungen und gegen einen neuen, digitalen Kapitalismus stark.
„Frau, gläubig, links“, so hatte Aalens Oberbürgermeister Thilo Rentschler in seinem Grußwort Andrea Nahles in Anlehnung an den Titel ihrer Biografie zuvor charakterisiert. Und irgendwie steckte alles davon in ihrer knapp halbstündigen Geburtstagsrede drin. Ausgehend von der Rolle der SPD bei wichtigen Ereignissen in der deutschen Geschichte, deren Jubiläen in diesen Tagen gefeiert werden – November-Revolution, Frauenwahlrecht –, aber auch mit Blick auf Hitlers Machtergreifung 1933 und die damit verbundenen Leiden der Sozialdemokratie zog Nahles ihre Schlüsse für die heutige Politik, für Sozialstaat und Gesellschaft. 100 Jahre nach dem Anstoß für sozialen Wohnungsbau durch die SPD und nach Einführung des Acht-Stunden Tags wohnten sich die Menschen heute wieder arm und müsse sich Wohlstand heute wieder mehr denn je nicht in mehr Geld, sondern in mehr selbst bestimmter, freier Zeit niederschlagen. Und auch die Geschichte von 1933 und der Nazi-Diktatur sei so aktuell wie nie zuvor angesichts einer AfD, die unter anderem dazu auffordere, dass Schüler ihre Lehrer anschwärzen sollen. Für sie völlig unverständlich sei aber auch, so Nahles, wenn die Linke heute noch so tue, als wäre nicht der Kapitalismus, sondern die SPD das Problem.
„Den Sozialstaat ohne die SPD gäbe es gar nicht.“ Andrea Nahles
Neue Allianzen nötig
Die SPD-Bundesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende im Bundestag forderte daher „neue Allianzen im Inland, damit die Feinde der Demokratie nicht stärker werden“. Aber auch ein Europa, in dem die Rechten im Hintergrund ihre Strategien schmiedeten, um es zu zerstören, brauche solche neuen Allianzen. „Europa darf nicht in die Hände der Rechtdsradikalen fallen“, sagte Nahles unter starkem Beifall, sondern müsse von der Wirtschaftsunion zu einem sozialen Europa werden, zu jenem Sehnsuchtsort auch für die Europäer, den sich die Menschen in anderen Teilen der Welt unter diesem Kontinent vorstellten. Weil er geprägt sei von einer „Dreifaltigkeit“aus Demokratie, hoher Wirtschaftskraft und hohen Sozialstandards.
Als einen klaren Auftrag an die Sozialdemokratie und gemeinsame Aufgabe für Europa sah Nahles die Bändigung des aufkeimenden digitalen Kapitalismus, bei dem neue Monopolisten die Macht erlangten, weil sie über eine Masse an Daten verfügten. Gegen die Macht von Facebook, Google und Co. gelte es in Europa wieder das Gemeinwohl in Kraft zu setzen, „sonst gibt es in Zukunft keine soziale Marktwirtschaft mehr“, so Nahles mit dem Zusatz, das müsse man endlich begreifen.
Sozialstaat gehört saniert
Einen Sozialstaat ohne die SPD, so deren Bundesvorsitzende weiter, gäbe es gar nicht. Der aber gehöre richtig reformiert und saniert. Für Nahles gehören dazu unter anderem die Aufnahme von Beamten und selbstständigen in die Rentenversicherung, eine Änderung des Systems der Krankenversicherung und eine neue, bessere Grundsicherung anstatt dem bisherigen Hartz IV. „Kinder haben in der Sozialhilfe nichts verloren“, sagte Nahles unter Beifall, und ein System mit 148 kinderbezogenen und acht ehebezogenen Leistungen, für das der Staat jährlich 200 Milliarden Euro aufbringe, müsse einfacher und wirksamer gehen.
Angesichts all dessen, so bekannte Nahles gegen Ende ihrer Rede, mache sie es sprachlos, wenn sich die aktuellen Diskussionen darum drehten, man wisse nicht, wofür die SPD stehe. „Dafür, immer wieder neu Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu ermöglichen“, und das Prinzip dabei heiße Solidariät.
Ein Leuchtturm in Aalen
In seiner Begrüßung hatte der SPDOrtsvereinsvorsitzende Timo Lorenz festgestellt, die SPD sei in Aalen stets ein Leuchtturm der Sozialdemokratie in einer eher konservativ geprägten Umgebung gewesen. Der so oft beschworene soziale Zusammenhalt sei nicht umsonst in Aalen greifbar.
Nach vorne schauen
Oberbürgermeister Thilo Rentschler verteidigte nachhaltig die Rolle der SPD als Volkspartei. Der Gegenentwurf dazu seien Klientelparteien, eine Volkspartei aber mache Politik für das ganze Volk, so wie es der Aalener SPD-Ortsverein seit 125 Jahren tue. Auch jetzt komme es mehr denn je wieder auf die SPD an, die nicht im Sumpf der Misserfolge steckenbleiben dürfe. „Nach vorne zu schauen, das ist der Schlüssel für gute Politik“, machte Rentschler seiner Partei Mut.
„Kaum ist sie ein halbes Jahr im Amt, ist sie schon da“, begrüßte die SPD-Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Leni Breymaier die Bundeschefin ihrer Partei. Auch Breymaier blickte zurück in die Geschichte und sagte, es gelte heute, das Frauenwahlrecht nicht nur zu feiern, sondern dafür zu sorgen, dass am Ende tatsächlich ein Querschnitt der Bevölkerung in den Parlamenten sitze. Und wenn die Aalener SPD in ihrem Leporello schon auf 200 Jahre Ortsverein im Jahr 2063 verweise, so Breymaier, formuliere sie auch Wünsche für diese Zeit: Die Rechtsradikalen mögen bis dahin überwunden sein, in Deutschland möge es dann keine Prostitution mehr geben. Dass Alice Weidel wegen der Spenden an die AfD zurücktrete, das allerdings müsse sofort geschehen, sagte Breymaier unter Beifall. Und lobte zum Schluss ihre Aalener Genossen: „Ihr macht das wirklich klasse, und das seit 125 Jahren.“
Albrecht Schmid, dem Vorsitzenden des SPD-Stadtverbands Aalen, der mit diesem Abend zugleich sein 40-jähriges Bestehen feierte, oblagen die Dankesworte. Er sei beeindruckt, was Andrea Nahles „an Inhalt, Gehalt und Persönlichkeit“rübergebracht habe, sagte er seiner obersten Parteichefin. Für die flotte musikalische Gestaltung des Festabends sorgte das Saxofon-Quartett der Aalener Musikschule.
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