„Tanz der Vampire“ist der Dauerbrenner
- Nur 17 Jahre alt wurde Anastasia Nikolajewna Romanowa, Großfürstin von Russland. Oder konnte sie doch den Gewehrläufen der Bolschewiki wie durch ein Wunder entkommen und überlebte als einzige der Zarenfamilie das Massaker 1918 in Jekaterinburg? Das Musical „Anastasia“, das im Stuttgarter Palladium Theater am Donnerstagabend Deutschlandpremiere hatte, greift jedenfalls diese Legende auf und erzählt die Geschichte einer Zarentochter auf der Suche ihrer Vergangenheit, ihrer Großmutter – und ihrem Platz im Leben. Es ist eine Inszenierung, die vor allem von dem Energiebündel Judith Caspari als Anastasia, einem hervorragenden Ensemble und dem prächtigen Bühnenbild in 3-D lebt.
Im 20. Jahrhundert hat das Schicksal Anastasias die Menschen berührt wie kaum ein anderes. Wohl vor allem, weil der Fantasie kaum Grenzen gesetzt sind, will man sich das weitere Leben der Zarentochter ausmalen, die angeblich überlebt hat. Tatsächlich gab es mehrere Frauen, die behaupteten, Anastasia zu sein. Dass nach der Exhumierung der Zarenfamilie im Jahr 1994 zwei Leichen fehlten, heizte die Spekulationen weiter an. 2007 jedoch belegten DNA-Tests und der Fund der fehlenden Leichname endgültig: Auch Anastasia, die Zweitjüngste der fünf Zarenkinder, wurde von den Soldaten erschossen.
Setzt diese grausame Realität den Legenden ein Ende? Nicht zwangsläufig. Die Geschichte, die Stephen Flaherty und Terrence McNally in ihrem Musical um Anastasia spinnen, ist zu schön, um nicht erzählt zu werden. Darin schmieden im Jahr 1927 zwei charmante Gauner, Dimitri und Wlad, den Plan, der im Pariser Exil Während dieser erste Teil des Musicals in St. Petersburg spielt, reist das Trio im zweiten nach Paris, wo Anastasias Großmutter im Exil lebt. Das erste Treffen mit der Enkelin verläuft wenig vielversprechend. Als sie sich dann doch wiedererkennen, kommt dummerweise die Liebe dazwischen. Anastasia wird klar, dass sie inzwischen Mit dem Musical „Miss Saigon“hat beim Stage Theater in Stuttgart 1994 alles angefangen. Diese Show lief bis 1999 und gehört damit zu den beliebtesten Produktionen. In der Zuschauergunst noch weiter vorne dürfte nur noch Roman Polanskis „Tanz der Vampire“liegen. Dieses Musical war gleich dreimal in Stuttgart zu Gast, zuletzt im vergangenen Jahr – absoluter Rekord. Zwei Mal wurde „Mamma Mia!“mit den Hits von Abba gezeigt. Phil Collins „Tarzan“war bei den Zuschauern ebenfalls sehr beliebt und lief drei Jahre von 2013 bis 2016. In den Theatern Stage Apollo und Stage Palladium in Stuttgart laufen parallel zwei Musicals. Jedes Theater bietet Platz für jeweils 1800 Zuschauer. Palladium zeigt ab diesem Wochenende „Anastasia“, im Apollo läuft seit März „Der Glöckner von Notre Dame“, der im Frühjahr 2019 von dem
abgelöst wird. Wie lange ein Musical läuft, hängt vom Zuspruch der Zuschauer ab. So wurde beispielsweise das Musical „Rocky“mangels Nachfrage früher als geplant abgesetzt (Januar 2017) und durch den Dauerbrenner „Tanz der Vampire“ersetzt. (kawa) Die Technik ist das eine, die Darsteller sind das andere. Mit ihren 24 Jahren gelingt Judith Caspari eine erstaunlich reife Darstellung der Anastasia. Daniela Ziegler kennen viele als Grande Dame der TV-Serien, von Rosamunde Pilcher bis zu den „Rosenheim-Cops“. Doch sie hat auch schon in vielen Musicals auf der Bühne gestanden, zuletzt als Mutter Oberin in „Sister Act“. Die manchmal in den Höhen schon brüchige Stimme der 70-Jährigen passt perfekt zu der Rolle der vom Leben gezeichneten Zarenmutter. Milan van Waardenburg als Dimitri, Mathias Edenborn (jüngst noch als Graf beim „Tanz der Vampire“) als Gleb und eine temperamentvolle Jaqueline Braun als Lily komplettieren dieses außerordentlich starke Ensemble.
Etwas, woran allerdings viele neuere Musicals kranken, zeigt sich auch in „Anastasia“: Der Mix aus Operette, Schlager, russischer Volksmusik, Jazz, Pop und Rock klingt an vielen Stellen beliebig und bleibt kaum im Ohr. Sicher, es gibt sie, die zwei, drei Hits aus dem Zeichentrickfilm „Anastasia“, „Im Dezember vor Jahren“zum Beispiel. Dennoch sind die Komponisten mit Sicherheit diejenigen, die sich in diesem gelungenen Gesamtkunstwerk am wenigsten innovativ zeigen.