Sie ist so frei
Noch ist Angela Merkel Parteichefin, doch so befreit wie jetzt ist sie selten im Bundestag aufgetreten. Strahlend nimmt sie das Lob der SPD entgegen, schlagfertig kontert sie Alice Weidel. Und sie hält eine Rede, in der sie auf die größten Herausforderungen konkret eingeht, auf die Digitalisierung und auch auf die Bedeutung von Europa für die deutsche Zukunft. Noch mehr: Sie erklärt sogar, warum das Thema Flucht nur noch international zu lösen ist, warum die Vereinten Nationen einst gegründet wurden und warum der Migrationspakt richtig und wichtig ist.
Der nächste Redner Christian Lindner erklärt den Grund für die neue Merkel. Er spricht von einer Zäsur für die Bundesregierung. Merkel und Seehofer gehen von Bord. Dabei übersieht er, dass eine große Zäsur bereits stattgefunden hat: der Übergang an der Fraktionsspitze von Volker Kauder zu Ralph Brinkhaus.
Hinter allem Wechsel steht die Reaktion auf Wähler, die sich in dieser Regierung immer weniger wiederfinden. So will Merkel künftig „vom Bürger her“und Ralph Brinkhaus „die Gesellschaft von der Mitte her“denken.
Doch die Mitte ist gespalten wie die Parteien im Bundestag. Es gibt jene, die sich gut aufgehoben und sicher fühlen in Deutschland. Und es gibt andere, die immer mehr Angst vor wirtschaftlichen Verlusten, vor Kriminalität und vor Einwanderung haben. Letztere werden von der AfD pausenlos aufgestachelt, mit Fakten, aber eben auch mit Unwahrheiten und Hetze.
Das alles nicht auf sich wirken zu lassen, den freien Blick zu behalten und unbeirrt für eine bessere Welt zu arbeiten, diesen Wunsch haben sich viele, auch Angela Merkel, bewahrt. Ihre Rede mit der Verteidigung des Migrationspaktes zielte deshalb genauso viel, vielleicht sogar mehr auf ihre eigenen Reihen als auf die Bevölkerung. Man kann mit guten Argumenten für oder gegen den Migrationspakt sein, wer ihn aber als Öffnung für weitere Scharen von Flüchtlingen sieht, spielt mit den Ängsten der Menschen, indem er falsch informiert.