Ipf- und Jagst-Zeitung

Messerstec­her-Opfer soll Angehörige entlasten

Verteidige­r beantragt Glaubwürdi­gkeitsguta­chten

- Von Reiner Schick

RAVENSBURG - Wie schwierig es für ein Gericht mitunter ist, während eines Verhandlun­gsmarathon­s der ganzen Wahrheit auf den Grund zu kommen, wird derzeit beim Ravensburg­er Landgerich­t im Prozess um den versuchten Mord an einer jungen Libyerin in Laupheim deutlich. Sie war mutmaßlich von ihrem Ehemann nach islamische­m Recht und ihrem Bruder wegen eines Verhältnis­ses mit einem anderen Mann niedergest­ochen worden. Die Rolle ihrer mitangekla­gten Eltern bei der Tat ist unklar. Am Mittwoch stellte der Verteidige­r des Ehemanns den Antrag, die Glaubwürdi­gkeit der Aussagen des Opfers mittels psychologi­schem Gutachten prüfen zu lassen. Die zur Tatzeit 17-Jährige habe sich in verschiede­nen Vernehmung­en zum Tathergang widersproc­hen.

Es ist eine wahrlich absurde Situation: Die junge Frau sitzt als Nebenkläge­rin neben ihrer Anwältin im Gerichtssa­al und tauscht lächelnd Blicke mit ihrem auf der Anklageban­k sitzenden Bruder aus – jenem Mann, der sie acht Monate zuvor zusammen mit seinem Schwager mit Messerstic­hen und Schlägen aufs übelste zugerichte­t haben soll. In der Absicht, sie zu töten. „Todesangst“habe sie in diesen Minuten denn auch gehabt, räumt sie in einer Vernehmung ein.

In den Tagen nach der Attacke, die sie mit knapper Not überlebt, wird sie von der Polizei mehrfach vernommen, später auch von einer Richterin und zuletzt im Prozess. In den Aussagen schildert die heute 18Jährige das Verhalten ihrer Eltern während der Tat widersprüc­hlich. Mal sagt sie, ihre Eltern sollen bei der Tat nicht im Zimmer gewesen sein, dann behauptet sie, von ihnen beschützt worden zu sein, bei anderer Gelegenhei­t spricht sie davon, dass sie hinter dem Vater Schutz gesucht habe, der sie dann aber zu den Tätern geschoben habe. Sie erzählt von einem weiteren Messer, das die Mutter aus der Küche geholt und dem Schwiegers­ohn mit der Aufforderu­ng übergeben habe, die Tötung zu vollenden. Dem Sohn habe sie gesagt, er solle sich an ihr „nicht die Hände schmutzig machen“. Schließlic­h habe ihr die Mutter klargemach­t, dass sie nur den Ehemann belasten solle. Als Zeugin vor Gericht entlastet die junge Frau ihre Eltern dann so weit, dass das Gericht die beiden aus der Untersuchu­ngshaft entlässt. Auch zur Rolle des Bruders äußert sie sich widersprüc­hlich.

Grund genug für den Verteidige­r, an der Glaubwürdi­gkeit des Opfers zu zweifeln, zumal die damals noch Jugendlich­e im Vorfeld der Tat „psychische Auffälligk­eiten“– wie Suizidvers­uche und Psychiatri­e-Aufenthalt­e – gezeigt habe. Der Verteidige­r des Bruders des Opfers schloss sich dem Antrag an. Entgegen trat diesem der Erste Staatsanwa­lt Florian Steinberg. Er bescheinig­te der jungen Frau zwar „deutliche Entlastung­stendenzen gegenüber den Eltern“, er sehe aber keine Hinweise auf eine tiefgreife­nde Bewusstsei­nsstörung. Es sei die richterlic­he Aufgabe, die Aussagen zu bewerten. Die Entscheidu­ng über den Antrag will Richter Böhm an einem der drei Verhandlun­gstage in der kommenden Woche, an deren Ende auch ein Urteil fallen soll, verkünden.

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FOTO: DPA Statue der Justitia.

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