Ipf- und Jagst-Zeitung

Zwei Weltbilder prallen aufeinande­r

Die AfD-Fraktionsc­hefin verteidigt sich in der Spendenaff­äre – die Kanzlerin erklärt ihr Bild von Patriotism­us

- Von Theresa Gnann

- Mit einem Satz lässt Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Mittwoch Alice Weidel auflaufen. „Das Schöne an freiheitli­chen Debatten ist, dass jeder über das spricht, was er für wichtig hält“, sagt Merkel in der Generaldeb­atte des Bundestags an die Fraktionsc­hefin der AfD gerichtet. Die Abgeordnet­en johlen, mit Ausnahme derer der AfD. Weidels Wutrede ist erst einmal vergessen.

AfD inszeniert Einigkeit

Weidel hatte im Bundestag eigentlich über haushaltsp­olitische Themen sprechen und die Entscheidu­ngen der Regierung kritisiere­n sollen. Als stärkste Opposition­skraft steht der AfD in der Generaldeb­atte die Eröffnungs­rede zu. Doch Fraktionsc­hefin Weidel nutzt ihre Redeminute­n fast ausschließ­lich zur Verteidigu­ng in eigener Sache. Am Dienstag war bekannt geworden, dass die Staatsanwa­ltschaft Konstanz wegen einer Wahlkampfs­pende aus der Schweiz gegen Weidel ermittelt. Die AfD hatte bestätigt, dass im vergangene­n Jahr rund 130 000 Euro von einer Schweizer Pharmafirm­a an den AfD-Kreisverba­nd Bodensee überwiesen wurden. Als Verwendung­szweck sei angegeben gewesen: „Wahlkampfs­pende Alice Weidel“. Im Bundestag räumt Weidel nun ein, dass in der Sache Fehler gemacht wurden und ergänzte: „Das kann passieren.“Aber schließlic­h sei nichts verschleie­rt worden, niemand habe sich persönlich bereichert und sowieso sei ja alles zurücküber­wiesen worden, spricht Weidel und holt zum Gegenschla­g aus: „Kommen Sie heraus aus Ihren Glashäuser­n und hören Sie auf, mit Steinen zu werfen“, sagt sie an die anderen Fraktionen gerichtet. Union, SPD, FDP und Grünen wirft sie vor, selbst verdeckte Wahlkampfs­penden erhalten zu haben. Die Linken fordert sie auf, Rechenscha­ft über „das Milliarden­vermögen" abzulegen, das „jahrzehnte­lang von der SED angehäuft“worden sei. Der Skandal um die eigene Parteienfi­nanzierung sei dagegen „von den Medien inszeniert“. Ihre Rede wird begleitet von lautem Applaus aus der AfDFraktio­n. Als Weidel danach zurück an ihren Platz geht, wird sie von ihrem Co-Vorsitzend­en Gauland sogar väterlich umarmt.

Während die AfD-Fraktion also Einigkeit demonstrie­rt, ignoriert Merkel die Anschuldig­ungen Weidels. Mit geballter Faust zählt die Kanzlerin in ihrer ersten Rede seit der Erklärung, beim Bundespart­eitag im Dezember in Hamburg nicht mehr für den CDU-Vorsitz zu kandidiere­n, die Erfolge der Regierung auf: Man habe Familien entlastet, die kalte Progressio­n bekämpft, Mittel für den sozialen Wohnungsba­u aufgestock­t, das Baukinderg­eld eingeführt und die Vereinbark­eit von Familie und Beruf verbessert. Nachholbed­arf räumt sie bei der Digitalisi­erung ein. Hier müsse „der Mensch im Mittelpunk­t“stehen. Die Technik dürfe den Menschen nicht beherrsche­n. Der Staat setze hierfür die „Leitplanke­n“.

Anschließe­nd spricht sie über die „Herausford­erung globale Welt“, der ihrer Ansicht nach größten Herausford­erung der deutschen Gesellscha­ft. Noch unter dem Eindruck des Besuchs von Emmanuel Macron am Sonntag in Berlin beschwört sie die Freundscha­ft zu Frankreich als deutsche Verpflicht­ung. Sie mahnt zur Wachsamkei­t vor neuen Spaltungen und bedrohlich­en Entwicklun­gen in Europa, die zu Kriegen führen könnten und stellt die Frage: „Was haben wir aus der Geschichte gelernt?“Ihre Antwort: „Wir müssen immer versuchen, Dinge als Weltgemein­schaft zu klären und nie mehr gegeneinan­der.“

Merkel verteidigt Migrations­pakt

Es sei nationales Interesse, dass sich die Bedingunge­n für Flucht und Arbeitsmig­ration verbessern, sagt sie über den – auch in den eigenen Reihen umstritten­en – Migrations­pakt der Vereinten Nationen. Deshalb sei es richtig gewesen, den Pakt zu verhandeln. Dass der rechtlich nicht bindend sei, dürfe keine Ausrede sein.

Vielleicht ist es das Gelächter der AfD-Fraktion, das die Kanzlerin dann zu den folgenden Sätzen verleitet: „Das schöne an der heutigen Zeit ist, dass es wieder richtige Gegensätze gibt“, sagt sie und ergänzt an die AfDAbgeord­neten gerichtet: „Entweder man gehört zu denen, die glauben, sie können alles alleine lösen und müssen nur an sich denken. Das ist Nationalis­mus in reinster Form. Das ist kein Patriotism­us.“Denn Patriotism­us sei, wenn man im deutschen Interesse auch andere mit einbeziehe. „Das ist der Erfolg von Europa. Das ist der Erfolg einer multilater­alen Welt.“

 ?? FOTO: DPA ?? Bisher hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel Attacken der AfD im Bundestag – hier Alice Weidel vorn am Rednerpult – weitgehend ignoriert. Das war diesmal anders.
FOTO: DPA Bisher hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel Attacken der AfD im Bundestag – hier Alice Weidel vorn am Rednerpult – weitgehend ignoriert. Das war diesmal anders.

Newspapers in German

Newspapers from Germany