Duell um den mächtigsten Posten der EU
Die zwei Spitzenkandidaten um den Vorsitz der nächsten EU-Kommission im Porträt Manfred Weber: Bedächtiger CSU-Politiker Frans Timmermans: Wortgewaltiger Sozialdemokrat
Sachlich, bedächtig, gescheit – es sind diese Attribute, die den Spitzenkandidaten der EVP-Fraktion, Manfred Weber, auszeichnen. Mit den Stimmen von 80 Prozent der Delegierten ist er in Helsinki an die Spitze und damit zum Kandidaten für den EU-Kommissionspräsidenten gewählt worden. Er genießt den Rückhalt von acht Staats- und Regierungschefs, nicht zuletzt den von Angela Merkel.
Trotzdem ist der CSU-Politiker Manfred Weber, von Haus aus Ingenieur der Physikalischen Technik, noch weithin ein Unbekannter. Und das, obwohl er seit 2014 an der Spitze der EVP-Fraktion im Europaparlament steht, stellvertretender CSUVorsitzender ist und sogar als CSUParteichef im Gespräch war. Doch der Niederbayer ist kein derber Bierzelt-Sprücheklopfer, sondern verkörpert den hohen CSU-Anspruch, für Bayern, für Deutschland und für Europa Politik zu machen. „Die Bedrohungen für Europa sind so groß wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht“, warnt Weber. Und doch, oder gerade deshalb, will er mehr Optimismus für Europa ausstrahlen. „Wir müssen aus dem wirtschaftlichen Giganten auch einen politischen Giganten machen,“fordert Weber.
Die Grünen werfen ihm vor, nicht klar auszuschließen, dass er vom rechten Rand des Europaparlaments mitgewählt würde. Er selbst stellt auf einer Pressekonferenz in Berlin klar: Der Hauptgegner seien für ihn Nationalisten. „Die Parteien, die Partnerschaft in Europa ablehnen, sind meine Feinde, ich werde mich nicht von denen wählen lassen.“
Der 46-jährige katholische CSUPolitiker startete seinen Wahlkampf in dieser Woche mit einer Zuhörtour in Polen, er besuchte Auschwitz, als Zeichen, dass er sich der Verantwortung Deutschlands bewusst ist.
Weber will für Europa werben. Man habe die Finanzkrise überstanden. Jetzt träumt er von anderen Projekten wie einem europaweiten Masterplan gegen Krebs, um die Welt zu einem besseren Platz zu machen. Was die Menschen wünschen, so Manfred Weber auf seiner Webseite, das habe er schon als Gitarrist gespürt, als er 20 Jahre lang in seiner Heimat mit seiner Band „den Peanuts“auftrat – bei Tanzveranstaltungen, Festen und Faschingsbällen. „Die Menschen in Europa sehnen sich nach Positiv-Botschaften“, sagt Manfred Weber
heute. Wer Frans Timmermans auf einer internationalen Konferenz sprechen hört, bemerkt schnell zweierlei: Erstens, dass er ein beachtliches Sprachentalent hat: Timmermans spricht fehlerlos und quasi akzentfrei Deutsch und außerdem fließend Englisch, Französisch, Italienisch und Russisch – neben seiner Muttersprache Niederländisch. Und zweitens, dass ihm einiges daran liegt, seine Zuhörer nicht zu langweilen.
Zu beobachten waren beide Eigenschaften Timmermans’ in der vergangenen Woche in Bregenz, bei einer EUKonferenz zur Subsidiarität. Der 57Jährige sprach dort in der Doppelfunktion, die ihn in den kommenden Monaten begleiten wird: Zum einen ist er Spitzenkandidat der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) für den Posten als Chef der nächsten EU-Kommission. Zum anderen ist er seit 2014 Vizepräsident der aktuellen Kommission unter Jean-Claude Juncker.
Timmermans wechselte in Bregenz also laufend zwischen Englisch und Deutsch – einmal sogar mitten in einem englischen Satz, in den er das deutsche Wort „Europaverdrossenheit“einschmuggelte. Die will Timmermans, wie sein Konkurrent Weber, bekämpfen.
Und Subsidiarität, dieses Wort steht quasi beispielhaft für einen entscheidenden Grund für Europaverdrossenheit: Dass viele Bürger die Europäische Union als bürokratisches Ungetüm wahrnehmen, aus dem vor allem klobige Beamtensprache nach außen dringt – die EU aber gleichzeitig enorm wichtig ist für den Alltag ihrer 500 Millionen Einwohner von Nordfinnland bis Südportugal. Denn der lateinischstämmige Zungenbrecher Subsidiarität beschreibt einen Grundpfeiler der EU: Die Institutionen in Brüssel sollen nur das regeln, was sinnvoll ist – alles andere wird in Nationalstaaten, Ländern, Kommunen entschieden.
Timmermans weiß, dass das ein sehr heikles Thema ist, weil viele Europäer Angst davor haben, nationale Souveränität abzugeben. Er ist dafür, mehr entscheidende Politikbereiche zentral zu regeln: die Außenpolitik vor allem, aber auch in der Sozialpolitik will er mehr gemeinsame Standards – damit es gerechter zugeht, und der Wohlstandsgraben zwischen Ländern wie Rumänien und Luxemburg nicht so abgrundtief bleibt. Und Timmermans wählt drastidiese sche Worte, um für Vorstellung zu werben: „Ein Mann, allein in der Wüste, ist souverän. Er ist tot – aber auch souverän.“