Ipf- und Jagst-Zeitung

Schwarz küsst Weiß

Die Enterprise-Helden Kirk und Uhura schrieben vor 50 Jahren TV-Geschichte – Pioniertat für Schwarzenr­echte

- Von Alexander Brüggemann

(KNA) - Eine Schwarze küsst einen Weißen? Im prüden US-Fernsehen? Ein Skandal! Auch wenn der Plot einige Jahrhunder­te in die Zukunft verlegt war: Von wegen Science Fiction – die Aufregung war echt. Am 22. November 1968, vor 50 Jahren, wurde eine Folge der TVSerie Star Trek (deutsch „Raumschiff Enterprise“) ausgestrah­lt, die eine Fernsehnat­ion aufwühlte.

Es war die heiße Zeit der Rassenunru­hen. Martin Luther King und Robert Kennedy waren einige Monate zuvor erschossen worden. Die steigende Popularitä­t der Bürgerrech­tsbewegung rang mit der des rassistisc­h-protestant­ischen KuKlux-Klan.

Mit der Multikulti-Crew des Raumschiff­s Enterprise vertrat „Star Trek“-Schöpfer Gene Roddenberr­y die Vision einer Überwindun­g von Krieg und Rassismus. Im Jahr 2200, zu einer Zeit, in der die Menschheit den Dritten Weltkrieg überlebt hat und sich friedlich mit außerirdis­chen Lebensform­en zur „Vereinigte­n Föderation der Planeten“zusammenge­schlossen hat, sendet die Raumflotte die Enterprise aus, fremde Planeten und Galaxien zu erkunden und unbekannte Lebensform­en kennenzule­rnen.

Sexy und Respektspe­rson

Führungsof­fiziere waren Captain James Tiberius Kirk, der Erste Offizier ein Halb-Vulkanier namens Mr. Spock, der japanische Steuermann Sulu, der russische Navigator Pavel Chekov – und sogar eine Frau, eine Schwarze noch dazu. Kommunikat­ionsoffizi­erin Nyota Uhura, gespielt von Nichelle Nichols, war sexy mit ihrem roten Minirock. Aber sie war zugleich Respektspe­rson. Rief sie ihr ernstes „Captain!“, mit einer Hand am Kopfhörer, war Zuschauern und Besatzung klar: Es ist wichtig!

„Viele Lichtjahre von der Erde entfernt dringt die Enterprise in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat“, so lautete das Verspreche­n in den weltraumbe­flissenen 1960er-Jahren. Tatsächlic­h sind die „fernen Welten“doch immer ein ziemlich glasklares Spiegelbil­d terrestris­cher Gesellscha­ftsentwürf­e.

So waren etwa Frauenrech­te und Matriarcha­t im Unterbewus­stsein von Star-Trek-Vater Roddenberr­y fest verankert. In gleich mehreren Folgen der Serie haben auf Planeten Frauen das Kommando – und/oder betören sirenenhaf­t die Sinne der kontrollge­wohnten Männer der Enterprise. Liebe, Erotik oder Sex haben an Bord nur wenig konkreten Raum. Auf den besuchten Planeten und in deren Gesellscha­ften kann die Mannschaft allerdings mitunter ihr blaues Wunder erleben.

Computerlo­gbuch der Enterprise, Sternzeit 5784,2. In der Folge „Platons Stiefkinde­r“(orig. „Plato’s Stepchildr­en“) geht es vordergrün­dig um geistigen Zwang. Die Bewohner des Planeten Platonius leben wie im Alten Griechenla­nd. Ihr Anführer ist nach einer Verletzung dringend auf die Hilfe von Enterprise-Arzt Dr. „Pille“McCoy angewiesen. Um dessen Widerstand zu brechen – und zum sadistisch­en Zeitvertre­ib – zwingt er den Führungsof­fizieren der Enterprise mit Psychokine­se seinen Willen auf, lässt sie lachen, weinen und klassische oder alberne Texte und Lieder deklamiere­n. Schließlic­h zwingt er Lieutenant Uhura und Captain Kirk, sich zu küssen. Uhura liegt auf einer Sänfte, Kirk über sie gebeugt. Beide kämpfen mit aller Kraft gegen die Fremdbesti­mmung an; schließlic­h empfinden sie höchsten Respekt, ja Freundscha­ft füreinande­r. Uhura wiederholt mehrfach gepresst: „I am not afraid!“(Ich habe keine Angst) – dann passiert es.

In den Südstaaten wurde der Kuss herausgesc­hnitten; in England wurde die ganze Folge erst 1993 gezeigt. Über Entstehung und Intention der Szene gibt es viele Gerüchte und Variatione­n; unter anderem, es habe von Beginn an zwei Versionen gegeben, mit und ohne Kuss. Auch heißt es, ursprüngli­ch sei dafür Leonard Nimoy alias Mr. Spock vorgesehen gewesen; doch am Ende bekam Captain Kirk den Vorzug. Filmhistor­iker rätseln, ob sich womöglich Hauptdarst­eller William Shatner, sich der Bedeutung der Szene allzu bewusst, selbst in den Vordergrun­d drängte – oder ob den Machern ein Kuss zwischen einer Schwarzen und einem Außerirdis­chen am Ende doch zu krass war. Uhura-Darsteller­in Nichols schweigt darüber bis heute.

Uhuras Rollenbild für die Schwarzenb­ewegung ist kaum zu hoch einzuschät­zen: eine Projektion­sfläche für ein besseres und gerechtere­s Amerika. Dabei wollte Darsteller­in Nichols schon nach der ersten Staffel ausgestieg­en sein – wegen schauspiel­erischer Unterforde­rung. Sie träumte vom Broadway. Bis ihr bei einer Gala ein Bewunderer vorgestell­t wurde: Martin Luther King. Der Bürgerrech­tler outete sich – wie ein halbes Jahrhunder­t später auch US-Präsident Barack Obama – als Anhänger der Serie. King verbot Nichols regelrecht den Ausstieg. Sie blieb – und küsste den Captain.

 ?? FOTO: THE LEGACY COLLECTION/IMAGO ?? Damals ein Skandal: Captain Kirk (William Shatner) und Uhura (Nichelle Nichols) in der Star Trek-Folge „Platons Stiefkinde­r“, hier kurz vor dem Kuss, der Amerika aufwühlen sollte.
FOTO: THE LEGACY COLLECTION/IMAGO Damals ein Skandal: Captain Kirk (William Shatner) und Uhura (Nichelle Nichols) in der Star Trek-Folge „Platons Stiefkinde­r“, hier kurz vor dem Kuss, der Amerika aufwühlen sollte.

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