Zwischen Gangster und Gutmensch
Mexikos politische Elite zittert vor den Aussagen „El Chapos“, den Teile des Volkes verehren
- Jedes Mal, wenn Joaquín Guzmán und seine Anwälte den Verhandlungssaal des Bundesgerichts von Brooklyn betreten, zittert einige Tausend Kilometer südwestlich eine ganze Heerschar mexikanischer Politiker. Guzmán, den alle nur „El Chapo“, den Kleinen nennen, kennt wir keiner die Bestechlichkeit von Mexikos Machthabern auf allen Ebenen. Und wenn er Details ausplaudert und Anschuldigungen erhebt, drohen im südlichen Nachbarland politische Krisen.
Mehr als ein Jahrzehnt hat Guzmán Bürgermeister, Gouverneure, Staatsanwälte, Polizeichefs, Sicherheitsminister und nach Aussagen seines Verteidigers Jeffrey Lichtman sogar zwei Staatschefs auf seiner Gehaltsliste geführt. Ob er wirklich den scheidenden Präsidenten Enrique Peña Nieto persönlich mit Millionen geschmiert und auch dessen Vorgänger Felipe Calderón bestochen hat, wie sein Verteidiger behauptet, bleibt wohl unbewiesen. Denn die Zahlungen, falls sie dann erfolgten, liefen immer nur über Mittelsmänner. Aber klar ist, dass der kleine Drogenboss nur deshalb ein ganz Großer im Business wurde, weil mexikanische Behörden und Politiker ihn gewähren ließen und unterstützten. Dabei ist auch klar, dass Guzmán lange beste Beziehungen bis ganz oben in den Präsidentenpalast Los Pinos hatte.
Es ist dieses typisch mexikanische Biotop, das Karrieren wie die von Guzmán erst möglich macht – den Aufstieg vom armen Jungen aus dem Hochland von Sinaloa zum glohen, balen Gangster. „Korruption und Straflosigkeit“, sagt Francisco Jiménez Reynoso, Experte von der Universität Guadalajara, sei die Formel, die ihm erlaubt habe, so lange ungestört seinen Geschäften nachzugehen. Chapo und sein noch immer frei herumlaufender Kompagnon Ismael „El Mayo“Zambada hätten sich mit Millionenzahlungen die Freiheit erkauft, kolumbianisches Kokain über Mexiko in die USA zu transportieren und zunehmend auch in Mexiko produziertes Heroin, Marihuana und synthetische Drogen in das Nachbarland zu liefern.
Aber es kommt noch ein wichtiger Aspekt hinzu: der Mythos vom „guten Narco“. Menschen wie „El Chapo“und „El Mayo“werden anders als die kalten Schlächter konkurrierender Banden nicht nur als Verbrecher und Wahnwitzige gese- sondern vor allem als Wohltäter, die in der Folge den Schutz der Bevölkerung genießen.
Millionen an Schmiergeldern
Jahrelang trafen also die Schläge der Militärs, der Drogenfahnder und Sonderkommandos fast immer nur die anderen Kartelle. Zwischen 2006 und 2012, so heißt es, habe Guzmán einen direkten Draht zu Sicherheitsminister Genaro García Luna gehabt, dem er Gegner und in Ungnade gefallene Kooperanten ans Messer lieferte und angeblich 56 Millionen Dollar an Schmiergeldern zahlte.
Guzmán verlor seine Protektion erst, als den Kartellboss die Hybris ereilte, er Absprachen mit der Regierung brach und sich in Nachahmung des kolumbianischen Drogenbosses Pablo Escobar sogar in politische Angelegenheiten einmischen wollte. Im Februar 2014 wurde Chapo dann gefasst, düpierte die Regierung aber erneut mit einer spektakulären Flucht im Juli 2015. Nach seiner abermaligen Festnahme im Januar 2016 war klar: Chapo muss ausgeliefert werden.
Heute wird Guzmán in Sinaloa und großen Teilen Mexikos nicht als Drogenboss und Krimineller wahrgenommen, sondern als Arbeit- und Almosengeber. „Wer sich in den abgelegenen Dörfern der Sierra Sinaloas über ausgebesserte Straßen, restaurierte Kirchen und gestrichene Schulen wundert, dem sagen die Menschen offen, dass es der ,Chapo’ war“, erzählt der Schriftsteller Elmer Mendoza.
Diese Mischung aus Gangster und Gutmensch war es auch, die Schauspielerin Kate del Castillo dazu brachte, einen Appell in die virtuelle Welt zu senden: „Ich glaube heute mehr an Chapo Guzmán als an die Regierungen, die nichts tun und Wahrheiten vorenthalten“, schrieb sie auf Twitter. Diese 127 Zeichen lösten heftige Reaktionen aus. Damals, Anfang 2012, war El Chapo mal wieder auf der Flucht, hörte in seinem Versteck von diesem Tweet, fühlte sich geschmeichelt, sandte Blumen und seine Emissäre zu der Darstellerin.
Diese platonische Romanze wurde Guzmán am Ende zum Verhängnis. Als sich die Mimin und der Mafioso gemeinsam mit dem US-Schauspieler Sean Penn letztlich trafen, bekamen das 2500 Geheimdienstler, Computer- und Telekommunikationsfahnder, Polizisten und Militärs aus zwei Ländern mit. Guzmán wäre ohne dieses Treffen vielleicht noch heute ein freier Mann.