Der Medienprofi Luther und die Folgen
Hubert Wolf enthüllt Hintergründe der Reformation und aktuelle Situation der Kirche
- Der kleine Sitzungssaal im Rathaus platzte beinahe aus allen Nähten: Noch nie hatte der Aalener Geschichtsverein so viele Besucher wie beim Vortrag des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf. Mit Leidenschaft und rhetorischem Geschick setzte sich Wolf mit dem Thema „Reformen ohne Reformatoren“auseinander und spannte dabei den Bogen von der Zeit Luthers bis zur Frage in der heutigen Zeit, inwieweit die katholische Kirche zu Reformen fähig und bereit sei.
Der Vorsitzende des Geschichtsvereins, Konrad Theiss, freute sich über den enormen Zulauf, denn der durch Bestseller und Auftritte im Fernsehen bekannte Referent übte offensichtlich eine große Anziehungskraft aus. Unter den Zuhörern sah man auch Landrat Klaus Pavel, den katholischen Pfarrer Wolfgang Sedlmeier, ein Kurskollege Wolfs aus dem Tübinger Priesterseminar, und den ehemaligen evangelischen Dekan Erich Haller.
„Historiker tun sich schwer mit Klischees“, stellte der aus Wört bei Ellwangen stammende Hubert Wolf in seiner Einleitung fest. So neu sei die Reformation nicht gewesen, wie man sie später eingeschätzt habe. Martin Luther habe eine ganze Reihe von Vorläufern als Reformatoren gehabt, ohne die die Reformation so nicht erfolgt wäre. Wolf nannte als Vordenker den Kirchenvater Augustinus, nachdem der Orden benannt wurde, in dem Luther Mönch war und von dem er das entscheidende theologische Gedankengut übernommen habe.
„Die Reformation lag in der Luft“
„Die Reformation lag in der Luft“, argumentierte der Referent und spielte auf die Mystiker an, die die Frömmigkeit der Zeit geprägt hätten. Die Annahme, die Reformation sei der große Bruch gewesen, sei schlichtweg falsch und der sogenannte Thesenanschlag Luthers in Wittenberg sei nie erfolgt.
In der Dreiteilung, von der evangelische Kirchenhistoriker ausgingen, stand am Anfang der Zeitabschnitt der „Formatio“, der Formung der Kirche in den ersten 300 Jahren, bis Kaiser Konstantin ab dem Jahr 313 das Christentum von der Verfolgung befreit habe. In den Jahrhunderten danach habe die „Deformatio“, die Verformung der Kirche durch die Päpste, eingesetzt. Und erst 1517 habe durch die „Reformation“Luthers die Rückführung zu den Wurzeln der christlichen Botschaft eingesetzt. Diesem evangelischen Geschichtsbild stehe das katholische gegenüber, nachdem die angeblich segensreiche Zeit der allumfassenden (katholischen) Kirche von Luther zerstört worden sei. Die Protestanten seien nichts anderes als Häretiker, so die damalige offizielle Diktion Roms.
„Alle diese Bilder sind falsch“
„Alle diese Bilder sind falsch“, erklärt Wolf und setzte drei Thesen dagegen, die er im Anschluss an den katholischen Kirchengeschichtler Hubert Jedin und den evangelischen Tübinger Kollegen Volker Leppin entwickelt habe. Demnach war Luthers Reformation eine katholische im Rahmen katholischer Denkmöglichkeiten. Weil er ein „Medienprofi“war und weil er die Druckkunst Gutenbergs zu nützen verstand, habe er seine Schriften in Millionenauflage unters Volk gebracht.
In seiner zweiten These schilderte Wolf die Zeichen der damaligen Zeit, das tief religiöse Suchen nach Erlösung, die sogenannten „Butterbriefe“als Dispens von den überstrengen Fastengeboten und die Zeit des Humanismus mit seinem neuen Menschenbild. „Der Boden für religiöse Erneuerung war bereitet“, so der Referent. In seiner dritten These stellte er lapidar fest: „Weil die Päpste all diese Reformbestrebungen unterdrückten, bekamen sie die Reformation Luthers“. Auch die guten Ansätze des Konstanzer Konzils (1414-1418), durch dessen Beschlüsse die Konzilien über die Päpste gestellt wurden, seien nur von kurzer Dauer gewesen.
Das Scheitern gehört zur Kirche
Nach dem alten Grundsatz „Ecclesia semper reformanda“, die Kirche sei also mit Blick auf Christus und seine Botschaft immer zu reformieren, appellierte Wolf, aus dieser Geschichte der ständigen Reformbemühungen zu lernen und Mut zu schöpfen. Seit ihrem Gründer sei die Geschichte seiner Kirche schon immer eine Zeit des Scheiterns gewesen. Gemeinsam mit den evangelischen Christen gelte es heute, den Glauben in österlichem Denken für die Zukunft zu retten.
Auf die Fragen in der Diskussion verwies Wolf auf das Aushalten einer Kirche in verschiedenen Modellen nach dem Leitwort von den vielen Gnadengaben in einem Geist. „Wo sind hierzulande die katholischen Bischöfe, die wie ihre Amtsbrüder in Brasilien verheiratete Männer zu Priestern weihen?“, fragte Hubert Wolf abschließend und erntete großen Beifall.