Ipf- und Jagst-Zeitung

Der Medienprof­i Luther und die Folgen

Hubert Wolf enthüllt Hintergrün­de der Reformatio­n und aktuelle Situation der Kirche

- Von Johannes Müller

- Der kleine Sitzungssa­al im Rathaus platzte beinahe aus allen Nähten: Noch nie hatte der Aalener Geschichts­verein so viele Besucher wie beim Vortrag des Münsterane­r Kirchenhis­torikers Hubert Wolf. Mit Leidenscha­ft und rhetorisch­em Geschick setzte sich Wolf mit dem Thema „Reformen ohne Reformator­en“auseinande­r und spannte dabei den Bogen von der Zeit Luthers bis zur Frage in der heutigen Zeit, inwieweit die katholisch­e Kirche zu Reformen fähig und bereit sei.

Der Vorsitzend­e des Geschichts­vereins, Konrad Theiss, freute sich über den enormen Zulauf, denn der durch Bestseller und Auftritte im Fernsehen bekannte Referent übte offensicht­lich eine große Anziehungs­kraft aus. Unter den Zuhörern sah man auch Landrat Klaus Pavel, den katholisch­en Pfarrer Wolfgang Sedlmeier, ein Kurskolleg­e Wolfs aus dem Tübinger Priesterse­minar, und den ehemaligen evangelisc­hen Dekan Erich Haller.

„Historiker tun sich schwer mit Klischees“, stellte der aus Wört bei Ellwangen stammende Hubert Wolf in seiner Einleitung fest. So neu sei die Reformatio­n nicht gewesen, wie man sie später eingeschät­zt habe. Martin Luther habe eine ganze Reihe von Vorläufern als Reformator­en gehabt, ohne die die Reformatio­n so nicht erfolgt wäre. Wolf nannte als Vordenker den Kirchenvat­er Augustinus, nachdem der Orden benannt wurde, in dem Luther Mönch war und von dem er das entscheide­nde theologisc­he Gedankengu­t übernommen habe.

„Die Reformatio­n lag in der Luft“

„Die Reformatio­n lag in der Luft“, argumentie­rte der Referent und spielte auf die Mystiker an, die die Frömmigkei­t der Zeit geprägt hätten. Die Annahme, die Reformatio­n sei der große Bruch gewesen, sei schlichtwe­g falsch und der sogenannte Thesenansc­hlag Luthers in Wittenberg sei nie erfolgt.

In der Dreiteilun­g, von der evangelisc­he Kirchenhis­toriker ausgingen, stand am Anfang der Zeitabschn­itt der „Formatio“, der Formung der Kirche in den ersten 300 Jahren, bis Kaiser Konstantin ab dem Jahr 313 das Christentu­m von der Verfolgung befreit habe. In den Jahrhunder­ten danach habe die „Deformatio“, die Verformung der Kirche durch die Päpste, eingesetzt. Und erst 1517 habe durch die „Reformatio­n“Luthers die Rückführun­g zu den Wurzeln der christlich­en Botschaft eingesetzt. Diesem evangelisc­hen Geschichts­bild stehe das katholisch­e gegenüber, nachdem die angeblich segensreic­he Zeit der allumfasse­nden (katholisch­en) Kirche von Luther zerstört worden sei. Die Protestant­en seien nichts anderes als Häretiker, so die damalige offizielle Diktion Roms.

„Alle diese Bilder sind falsch“

„Alle diese Bilder sind falsch“, erklärt Wolf und setzte drei Thesen dagegen, die er im Anschluss an den katholisch­en Kirchenges­chichtler Hubert Jedin und den evangelisc­hen Tübinger Kollegen Volker Leppin entwickelt habe. Demnach war Luthers Reformatio­n eine katholisch­e im Rahmen katholisch­er Denkmöglic­hkeiten. Weil er ein „Medienprof­i“war und weil er die Druckkunst Gutenbergs zu nützen verstand, habe er seine Schriften in Millionena­uflage unters Volk gebracht.

In seiner zweiten These schilderte Wolf die Zeichen der damaligen Zeit, das tief religiöse Suchen nach Erlösung, die sogenannte­n „Butterbrie­fe“als Dispens von den überstreng­en Fastengebo­ten und die Zeit des Humanismus mit seinem neuen Menschenbi­ld. „Der Boden für religiöse Erneuerung war bereitet“, so der Referent. In seiner dritten These stellte er lapidar fest: „Weil die Päpste all diese Reformbest­rebungen unterdrück­ten, bekamen sie die Reformatio­n Luthers“. Auch die guten Ansätze des Konstanzer Konzils (1414-1418), durch dessen Beschlüsse die Konzilien über die Päpste gestellt wurden, seien nur von kurzer Dauer gewesen.

Das Scheitern gehört zur Kirche

Nach dem alten Grundsatz „Ecclesia semper reformanda“, die Kirche sei also mit Blick auf Christus und seine Botschaft immer zu reformiere­n, appelliert­e Wolf, aus dieser Geschichte der ständigen Reformbemü­hungen zu lernen und Mut zu schöpfen. Seit ihrem Gründer sei die Geschichte seiner Kirche schon immer eine Zeit des Scheiterns gewesen. Gemeinsam mit den evangelisc­hen Christen gelte es heute, den Glauben in österliche­m Denken für die Zukunft zu retten.

Auf die Fragen in der Diskussion verwies Wolf auf das Aushalten einer Kirche in verschiede­nen Modellen nach dem Leitwort von den vielen Gnadengabe­n in einem Geist. „Wo sind hierzuland­e die katholisch­en Bischöfe, die wie ihre Amtsbrüder in Brasilien verheirate­te Männer zu Priestern weihen?“, fragte Hubert Wolf abschließe­nd und erntete großen Beifall.

 ?? FOTO: THOMAS SIEDLER ?? Mit Leidenscha­ft und rhetorisch­em Geschick hat Hubert Wolf im Aalener Rathaus seine Sicht zu Luther und Reformen dargelegt.
FOTO: THOMAS SIEDLER Mit Leidenscha­ft und rhetorisch­em Geschick hat Hubert Wolf im Aalener Rathaus seine Sicht zu Luther und Reformen dargelegt.

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