Ipf- und Jagst-Zeitung

Rechtsrock bekämpfen

NSU-Ausschuss zieht Fazit und fordert mehr Aufklärung

- Von Katja Korf

(tja) - Der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewette­r in Heilbronn im Jahr 2007 ist nach Ansicht von Grünen, CDU, SPD und FDP im baden-wüttemberg­ischen Landtag aufgeklärt. Das sagten Vertreter der Parteien am Montag in Stuttgart und präsentier­ten Auszüge des Abschlussb­erichtes zum zweiten NSU-Untersuchu­ngsausschu­ss. Sie widersprac­hen Berichten, in den Mord seien Geheimdien­ste und Islamisten verwickelt gewesen. Nach Ansicht der vier Parteien töteten die Rechtsterr­oristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Polizistin und verletzten ihren Kollegen. Einzig die AfD hält das nicht für erwiesen.

Die Parlamenta­rier fordern, Jugendlich­e müssten besser über rechtsextr­eme Musik aufgeklärt werden. Diese ist für viele der Einstieg in die rechte Szene. Außerdem soll das Land ein Forschungs­zentrum zum Rechtsextr­emismus gründen.

- Die Terroriste­n des Nationalso­zialistisc­hen Untergrund­s (NSU) ermordeten in Baden-Württember­g die Polizistin Michèle Kiesewette­r, im übrigen Bundesgebi­et starben weitere neun Menschen. Zum zweiten Mal hat sich nun ein Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags mit der Frage beschäftig­t, welche Bezüge der NSU zum Südwesten hatte. Im Dezember wird der Abschlussb­ericht im Landtag debattiert. Was man weiß – und was nicht.

Was macht so ein Ausschuss?

Die Parlamenta­rier haben dabei besondere Rechte. Sie können Akten anfordern, Zeugen laden und vernehmen. So sollen sie unabhängig von Polizei und Justiz bestimmte Vorgänge untersuche­n sowie die Regierung kontrollie­ren. Sie können bei Gerichten Ordnungsge­lder oder Beugehaft gegen Zeugen beantragen, wenn diese nicht erscheinen oder die Aussage verweigern. Strafen kann der Ausschuss nicht verhängen. Im zweiten NSU-Ausschuss wurden in 28 Sitzungen 78 Zeugen in 121 Stunden vernommen und 700 Aktenordne­r gefüllt, hinzu kommen Tausende digitale Dokumenten­seiten. Die Kosten dafür und für eigene Mitarbeite­r des Ausschusse­s belaufen sich auf etwa 2,4 Millionen Euro.

Was hat der erste Ausschuss damals herausbeko­mmen?

Im Fokus stand zum einen der Anschlag auf die Polizistin Michèle Kiesewette­r und ihren Kollegen. Kiesewette­r starb, der weitere Beamte überlebte schwer verletzt. Nach heutigem Kenntnisst­and begingen ihn die NSU-Terroriste­n Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Beide töteten sich 2011 selbst. Sie stammten aus Thüringen – wie ihr Mordopfer Kiesewette­r. Spekulatio­nen, ob dies bei der Tat eine Rolle gespielt haben könnte, hielt der Ausschuss nicht für haltbar. Außerdem deckte er Ermittlung­spannen auf. Wichtigen Hinweisen wurde nicht nachgegang­en, die Mitgliedsc­haft von Polizisten im rassistisc­hen KuKlux-Klan blieb folgenlos.

Worum ging es beim zweiten Ausschuss?

Nach dem ersten Ausschuss waren Fragen offen. Zum einen, ob der NSU Helfer in Baden-Württember­g hatte. Darauf deuteten einige Umstände hin – etwa, dass Mundlos und Böhnhardt nach dem Mord in Heilbronn eine ungewöhnli­che Fluchtrout­e wählten. Die Vermutung: Sie suchten irgendwo Unterschlu­pf, statt direkt zu fliehen. Zum anderen gab es weitere Spekulatio­nen zu dem Mord: Nach Medienberi­chten waren am Tattag Mitarbeite­r ausländisc­her Geheimdien­ste an der Theresienw­iese. Eine Rechtsanwä­ltin, die Islamisten verteidigt, sagte dem Ausschuss, sie habe ähnliches gehört.

Was passierte in Heilbronn?

Für die Ausschussm­itglieder von Grünen, CDU, SPD und FDP steht fest: Mundlos und Böhnhardt schossen auf Kiesewette­r und ihren Kollegen, als diese auf der Theresienw­iese Pause machten. Die Dienstwaff­en der Beamten wurden später bei dem Trio gefunden, ebenso wie die Tatwaffen und eine Jogginghos­e mit Blut von Kiesewette­r und DNA von Mundlos. Die Medienberi­chte und auch die Aussagen der Rechtsanwä­ltin zu möglichen Verwicklun­gen von Geheimdien­sten und Islamisten seien widerlegt. Die AfD kommt zu einem anderen Ergebnis. Sie hält es nicht für erwiesen, dass der NSU die Tat beging. Dazu hätten Mundlos und Böhnhardt Helfer im Land gebraucht – da man solche aber nicht habe finden können, sei eine Täterschaf­t unwahrsche­inlich. Die AfD beschäftig­t als Mitarbeite­r einen jener Hauptzeuge­n, die zunächst die These von ausländisc­hen Geheimdien­sten befeuert hatte. Der Mann hatte für einen US-Geheimdien­st gearbeitet, wollte sich aber später nicht mehr an seine Aussagen erinnern. Die AfD betonte, sie habe große Probleme gehabt, juristisch kompetente­s Personal zu bekommen.

Hatten die NSU-Terroriste­n Helfer im Südwesten?

Dafür gibt es keine Beweise. Dabei waren viele Experten davon ausgegange­n, darunter der Vorsitzend­e des Landtagsau­sschusses Wolfgang Drexler und Clemens Binninger (CDU), Vorsitzend­er des Bundestags­ausschusse­s. Sicher ist: Vor ihrem Untertauch­en 1998 waren Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe mehr als 30-mal in BadenWürtt­emberg, vor allem in Ludwigsbur­g. Ob es aber konkrete Hilfe bei Anschlägen gab, lässt sich nicht belegen.

Gab es weitere Behördenpa­nnen?

Zumindest nicht in Baden-Württember­g, so die Sicht der Ausschussm­itglieder. Allerdings bemängeln sie die fehlende Zusammenar­beit der Bundesbehö­rden mit Polizei und Verfassung­sschutz im Südwesten. So gaben Bundesbehö­rden die sogenannte „Garagenlis­te“mit Kontakten des NSU nicht an BadenWürtt­emberg weiter – obwohl darauf Namen aus dem Land standen. Ermittler aus dem Südwesten gaben ihrerseits Informatio­nen weiter, erfuhren vom Bund aber nicht mehr, was damit geschah.

Welche Konsequenz­en fordert der Ausschuss?

Zum einen soll die Landesregi­erung ein Forschungs­institut gründen, das die rechtsextr­eme Szene wissenscha­ftlich untersucht. Außerdem soll rechtsextr­eme Musik Thema in den Schulen werden. Diese ist für viele Jugendlich­e der Einstieg in die rechte Szene. Darüber hinaus wollen die Parlamenta­rier, dass Regeln für Informante­n des Verfassung­sschutzes geändert werden. Führende Rechtsextr­emisten wurden vom Verfassung­sschutz in Thüringen als V-Leute bezahlt und finanziert­en so den Aufstieg des NSU mit.

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FOTO: DPA 2007 war die Polizistin Michèle Kiesewette­r auf der Heilbronne­r Theresienw­iese erschossen worden – der Mord stand im Mittelpunk­t der Arbeit des Untersuchu­ngsausschu­sses.

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