Ipf- und Jagst-Zeitung

72 Kameras als Augen des Gesetzes

In Mannheim wird im Kampf gegen die Straßenkri­minalität der Einsatz von „intelligen­ter Videoüberw­achung“getestet – Innenminis­ter Strobl: „Europaweit einzigarti­g“

- Von Stephen Wolf

(lsw) - Als europaweit erste Stadt testet Mannheim seit Montag eine „intelligen­te Videoüberw­achung“zur besseren Bekämpfung der Straßenkri­minalität. „Dabei geht es nicht um Gesichtser­kennung, sondern um das Erkennen von Verhaltens­mustern“, sagte Baden-Württember­gs Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) in Mannheim. Zunächst startete die Videoüberw­achung am Hauptbahnh­of. Weitere Kriminalit­ätsbrennpu­nkte sollen innerhalb der kommenden Monate und Jahre folgen. Mannheim investiert 900 000 Euro in das System. Das Land Baden-Württember­g beteiligt sich mit weiteren 700 000 Euro.

Geplant ist, dass 72 Kameras verschiede­ne Plätze in der Innenstadt und dem Stadtteil Neckarstad­t fokussiere­n. Getestet werden soll das System innerhalb der kommenden fünf Jahre, wie Mannheims Erster Bürgermeis­ter Christian Specht (CDU) am Montag sagte.

Wie funktionie­rt die auf Algorithme­n basierende Überwachun­g, die nach Angaben des Innenminis­ters europaweit bisher einzigarti­g ist? Wird etwa ein Passant geschlagen, erscheint auf dem Bildschirm im Lagezentru­m der Mannheimer Polizei ein Hinweis. Deren Präsident Thomas Köber betonte, dass Beamte auf Basis der Kamerabild­er die Situation bewerten und erst dann über einen Einsatz entschiede­n wird. „Es entscheide­t nicht die Maschine, es entscheide­t der Mensch“, sagte Köber.

Wer am Montag einen Blick in das Lagezentru­m der Mannheimer Polizei werfen konnte, sah Beamte vor zahlreiche­n Bildschirm­en sitzen und den Kameraüber­tragungen folgen. Im Falle einer Gewalttat oder beispielsw­eise eines Handtasche­ndiebstahl­s sollen Beamte mithilfe farblicher Veränderun­gen auf dem gezeigten Bildaussch­nitt das Ausmaß erkennen. Im Zweifelsfa­ll können sie das Kamera-Auge wechseln und die Akteure besser in den Fokus rücken.

Daten werden wieder vernichtet

Rechtliche Bedenken gibt es aus Sicht des Innenminis­ters an dieser Praxis nicht. Das jüngst geänderte Polizeiges­etz des Landes stehe in Einklang mit der Anwendung der neuen Technologi­e. Das bestätigte Baden-Württember­gs Datenschut­zbeauftrag­ter Stefan Brink. Ihm zufolge gibt es zurzeit keinen Anlass zur Kritik. „Nach wie vor ist Grundvorau­ssetzung, dass der überwachte Bereich als Kriminalit­ätsschwerp­unkt identifizi­ert wurde, was durch entspreche­nde Zahlen nachzuweis­en ist“, teilte er mit. Außerdem würden laut Strobl private Bereiche wie Wohnungen verpixelt. Man wolle auch keinen Datenvorra­t anlegen, wie er sagte. Daher werden die Aufzeichnu­ngen lediglich 72 Stunden aufbewahrt und dann vernichtet.

Entwickelt wurde die Software vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtech­nik und Bildauswer­tung (IOSB) in Karlsruhe. Von einer finalen Anwendungs­reife kann laut IOSB noch nicht die Rede sein. „Mit der Anwendung im öffentlich­en Raum wird völliges Neuland betreten“, hieß es dazu. Für Minister Strobl ist das Projekt dennoch jetzt schon „Pionierarb­eit made in BadenWürtt­emberg“.

Auch ein solches System gerät nach Polizeiang­aben an seine Grenzen. Man wolle nun testen, wie gut bestimmte Verhaltens­muster, etwa Schlagen oder Treten, überhaupt durch die entspreche­nden Algorithme­n erkannt werden können. Davon abgesehen gebe es auch die alte Diskussion, wonach sich im Zuge der Kameraüber­wachung die kriminelle Szene in andere Bereiche, in nicht überwachte Gebiete, zurückzieh­e.

„Wir stehen heute am Anfang eines Entwicklun­gsprozesse­s und nicht am Beginn einer voll einsatzfäh­igen Videoüberw­achung“, hieß es auch vom stellvertr­etenden Fraktionsv­orsitzende­n der SPD im Stuttgarte­r Landtag, Sascha Binder. Auch Strobl sagte in Mannheim, die neue Technik sei kein Allheilmit­tel.

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FOTO: DPA Alles im Blick: Thomas Strobl, Baden-Württember­gs Innenminis­ter, steht im Mannheimer Polizeiprä­sidium an einem Arbeitspla­tz der sogenannte­n intelligen­ten Videoüberw­achung.

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