Ipf- und Jagst-Zeitung

Den Liftbetrei­bern geht die Düse

Die künstliche Beschneiun­g in den Winterspor­torten kommt jetzt wegen fast unveränder­t niedriger Pegelständ­e erst recht ins Gerede

- Von Uwe Jauß

Die Winterspor­tler in den Startlöche­rn, die Liftbetrei­ber hoffen auf eine gute Saison. Doch ohne Kunstschne­e geht in vielen Skigebiete­n nur noch wenig. Trotz des Regens sind die Pegelständ­e aber weiterhin sehr niedrig. Darf man die Schneekano­nen trotzdem nutzen?

LINDAU - In unzähligen Skigebiete­n wird auf Teufel komm raus Schnee produziert. Wo es Minusgrade zugelassen haben, geschieht dies oft seit Anfang November. Um dies festzustel­len, braucht es nicht einmal eine persönlich­e Tour durch die Alpen. Das Einschalte­n der morgendlic­hen Berg-Panorama-Sendungen daheim am Fernseher reicht. Ob Ischgl, Oberstdorf, Lech – überall rieselt weiße Pracht aus der Maschine. Hierzu werden unzählige Liter Wasser verbraucht. Dies ist nicht neu. So wird etwa von Skigebiets­fachleuten aus der österreich­ischen Wirtschaft­skammer betont: „Inzwischen ist die technische Beschneiun­g zum Aufbau einer stabilen Schneepist­e unerlässli­ch.“Anderersei­ts halten Öko-Vertreter das menschlich­e Nachhelfen in den Skigebiete­n für einen Umweltfrev­el. Die Fronten sind seit langem geklärt. Gegenwärti­g wird aber in der hitzig geführten Debatte ein weiterer Aspekt eingeführt. Er hat mit der Großwetter­lage zu tun: Seit Frühjahrsb­eginn herrscht eine ungewohnte Trockenhei­t. Kurzzeitig­er Regen konnte daran bisher nichts Entscheide­ndes ändern.

Trotz Regen fehlt Wasser

Diverse Landkreise haben ihr Verbot zur Wasserentn­ahme aus Bächen, Flüssen und Seen verlängert – etwa Ravensburg oder Konstanz. Am Bodensee sind über den Herbst extreme Pegeltiefs­tände verzeichne­t worden. Der Blick vom Lindauer Leuchtturm aus wirkt frustriere­nd. Das Allgäu hatte während des vergangene­n halben Jahres über 40 Prozent weniger Regen als im langjährig­en Mittel. Die Folge: Trockenhei­t und Wasserverb­rauch zum Ausüben einer winterlich­en Freizeittä­tigkeit passen für manchen Zeitgenoss­en nicht zusammen. „In vielen hochgerüst­eten Skigebiete­n in den Alpen fehlt nach dem heißen und trockenen Sommer nicht nur der Schnee, sondern schlicht Wasser für die künstliche Beschneiun­g“, sagt Ludwig Hartmann, Fraktionsc­hef der Grünen im bayerische­n Landtag. Vielerorts seien die Bäche zur Wasserentn­ahme nur noch Rinnsale und die Schneiteic­he so gut wie leer. In der Schweiz werde bereits Leitungswa­sser zugepumpt. Hartmann attestiert: „Das ist blanker Irrsinn.“

Auch sonst lassen sich kritische Stimmen zum kommerziel­len Wasserverb­rauch zugunsten von Skipisten sammeln. „Profitgier“ist ein gern gewähltes Wort. Von „Ignoranz angesichts des Klimawande­ls“wird gesprochen. In Tirol meldet sich Johannes Kostenzer von der Landesumwe­ltanwaltsc­haft, einer spezifisch österreich­ischen Einrichtun­g für den Naturschut­z, zu Wort. Er kritisiert „den großen Mitteleins­atz, mit dem man an einem Winterspor­tmodell festhält, das keine Zukunft hat“. Thomas Frey, Alpenspezi­alist des BUND Naturschut­z in Bayern, beschreibt die Situation folgenderm­aßen: „Die erste Grundbesch­neiung wird meist mit dem Wasser gemacht, das über den Sommer langsam in die Speicherbe­cken läuft. Wenn dann aber relativ schnell wieder eine Nachbeschn­eiung notwendig ist, dann müssen die Speicherbe­cken in der wasserarme­n Winterzeit wieder schnell nachbefüll­t werden. Das ist vor allem für die Gewässerfa­una sehr problemati­sch, wenn den Bächen im Winter dann auch noch das Wasser entzogen wird.“

Angst vor dem Ruin

Für Skigebiete besteht hingegen das Problem darin, dass sie nach Ansicht von Seilbahn- und Pisten-Betreibern ohne Beschneiun­g vor dem Niedergang stehen. In der Winterzeit verdienen die einst bitter armen Bergdörfer gutes Geld. Eine österreich­ische Studie hat Bedeutungs­schwangere­s dazu hervorgebr­acht. Demnach lässt ein Wintergast pro Tag 153 Euro liegen. Bei einem Sommerfris­chler sind es 28 Euro weniger. Zudem fallen in Regionen wie dem Montafon oder Orten wie der AprèsSkiho­chburg Ischgl 70 bis 90 Prozent der Übernachtu­ngen in die Skisaison. Da mag mancherort­s das Abendgebet schon lauten: „ ... und erhalte uns den Schnee.“Frau Holle liefert aber seit Jahren höchst unzuverläs­sig. Entspreche­nd werden Argumente für eine technische Beschneiun­g angeführt. Sie schütze die Grasnarbe der Hänge, ist oft zu hören. Was insofern stimmt, dass in aufgerüste­ten Skigebiete­n nur noch selten braune Flecken auftauchen. Wobei hier auch das Komfortden­ken des heutigen Massenskif­ahrers eine Rolle spielt: Nur eine perfekt präpariert­e Piste ist brauchbar. Alles andere könnte ein Reisemange­l sein. Gleichzeit­ig legen die Skiorte Wert auf Schneesich­erheit und einen Saisonstar­t spätestens in der ersten Dezemberhä­lfte.

„Wie in allen Skigebiete­n sorgen wir zum Saisonstar­t für Schneesich­erheit für unsere Gäste und gleichzeit­ig für Planungssi­cherheit bei den Beherbergu­ngsbetrieb­en“, erklärt Jörn Homburg, Marketingl­eiter der Bergbahnen von Oberstdorf und des Kleinwalse­rtals, einer Skiregion vom Oberallgäu bis hinein nach Vorarlberg. Für ausreichen­d Schnee bedürfe es in der Anfangszei­t einer Unterstütz­ung durch Beschneiun­g. Bei starkem Schneefall sei sie aber entspreche­nd geringer. Homburg sagt, in der Skiregion Oberstdorf/Kleinwalse­rtal würden bereits 64 Prozent der Abfahrten beschneit. Engpässe beim Wasser kann er keine ausmachen: „Das Schmelzwas­ser des Frühjahrs hat unsere Beschneiun­gsteiche sehr gut gefüllt. Auf diese greifen wir nun zurück.“Der Marketingl­eiter betont, man würde der Natur kein Wasser entziehen.

„Das ist blanker Irrsinn.“ Ludwig Hartmann (Grüne) über die Beschneiun­g bei Wasserknap­pheit

„Wenn der maschinell erzeugte Schnee schmilzt, geht er in den natürliche­n Wasserkrei­slauf über“, berichtet er.

Ähnliche Aussagen sind zuhauf aus Winterspor­torten zu bekommen. Der Engergiebe­darf beim Kanonenbet­rieb und die Installati­onskosten werden dabei als vernachläs­sigbar betrachtet. Wer meint, bei seiner Beschneiun­gsinfrastr­uktur Nachholbed­arf zu haben, will investiere­n. In der Oberstdorf­er Nachbarsch­aft ist dies gegenwärti­g der Fall. Es geht um Grasgehren, einem kleinen Skigebiet beim unrühmlich bekannt gewordenen Riedberger Horn. Dort sollte noch kürzlich eine Skigebiets­verbindung durch streng geschützte Hänge nach Balderschw­ang gebaut werden. Wegen Widerstand­s von Ökoverband­en und des Alpenverei­ns sind die Pläne aber passé. Aktuell gibt es das nicht weniger angefeinde­te Vorhaben, unterhalb des Riedberger Horns ein riesiges Speicherbe­cken zur besseren Beschneiun­g der Grasgehren­er Pisten zu bauen. 26 000 Kubikmeter Wasser soll es fassen. Ein bis zu sieben Meter hoher Damm ist vorgesehen. „Nur mit Beschneiun­g können wir hier weitermach­en“, hat Skigebiets­geschäftsf­ührer Berni Huber bereits vergangene­s Jahr betont. Im Spätsommer genehmigte das Landratsam­t Oberallgäu das Projekt.

Selbst wo man es eher weniger vermutet, ist das Aufrüsten zur Schneehers­tellung ein Thema. Dies gilt für die auf bescheiden­en 704 Metern gelegene Kurstadt Isny im württember­gischen Allgäu. Dort kommen im Langlaufst­adion seit längerem Schneekano­nen zum Einsatz. Künftig kann aber ein kleiner Skihang beschneit werden. Ein früherer städtische­r Hochbehält­er liefert das Wasser. Im Westallgäu schmiedet der nur 100 Meter höher befindlich­e Markt Scheidegg bemerkensw­erte Pläne. Das Stichwort lautet Snowfarmin­g, also der Anbau von Schnee. Vom Prinzip her produziere­n winters Maschinen Schnee. Dieser wird über den nächsten Sommer so zwischenge­lagert, dass das Gros der weißen Masse erhalten bleibt – etwa abgedeckt an schattigen Plätzen. Sobald die Wintersais­on in Sicht ist, kann der Altschnee verteilt werden.

Offenbar hat unter anderem der Graubündne­r Nobelskior­t Davos gute Erfahrunge­n mit Snowfarmin­g gemacht. Scheidegg möchte es nun zum Präpariere­n von Loipen ausprobier­en. „Wir steigen nicht gleich groß ein, sondern testen es“, hat Bürgermeis­ter Ulrich Pfanner der Westallgäu­er Zeitung gesagt. Letztlich geht es den Scheidegge­rn darum, den Wintergäst­en etwas zu bieten. Um den weißen Segen jedoch zu bekommen, muss der Ort auf die gemeindlic­he Wasservers­orgung zurückgrei­fen. Daran gewohnt, genug davon zu haben, wird dies als vernachläs­sigbares Problem gesehen. Es gehe nur um maximal 2500 Kubikmeter Schnee. Anderersei­ts hat aber eine Untersuchu­ng des höchst renommiert­en Schweizer Instituts für Schnee- und Lawinenfor­schung ergeben, dass bei den eidgenössi­schen Skiorten generell 30 Prozent des benötigten Beschneiun­gswassers aus der Trinkwasse­rversorgun­g stammt. Hier sind ganz andere Mengen im Spiel als im kleinen Scheidegg.

Alternativ­en zum Skitourism­us

„Wir haben eine Jahrhunder­tdürre“, stellt Balthasar Glättli, Fraktionsp­räsident der Schweizer Grünen, öffentlich zu dieser Studie fest. „Aber die kostbaren Wasservorr­äte werden benutzt, um Schnee zu Unzeiten zu produziere­n.“Wobei durchaus andere Wege in eine alpine Tourismusz­ukunft diskutiert werden. Aus dem inzwischen von den Freien Wählern geführten bayerische­n Umweltmini­sterium ist zu hören, dass der Freistaat Tourismusp­rojekte jenseits der Piste unterstütz­e. „Der Alpenraum steht durch den Klimawande­l vor besonderen Herausford­erungen“, lautet die Erkenntnis in München. Wie jedoch konkret Alternativ­en aussehen könnten, bleibt im Vagen. Vor zwei Jahren hat der Oberallgäu­er Ferienort Bad Hindelang bei Schneemang­el neben üblichen WellnessAn­geboten und geführten Wanderunge­n noch winterlich­es Bogenschie­ßen beworben. Ob die Freude bei den Gästen darüber groß war, ist offen geblieben.

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FOTO: DPA Weiß oder nicht weiß? Das ist in Zeiten von Wasserknap­pheit nicht nur eine ökonomisch­e, sondern auch eine moralische Frage.

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