Ipf- und Jagst-Zeitung

Schwere Niederlage für May in Brexit-Debatte

- Von Sebastian Borger, London

Zu Beginn eines fünftägige­n Debatten-Marathons über den EU-Austritt hat die Regierung von Premiermin­isterin Theresa May am Dienstag im Unterhaus eine schwere Niederlage einstecken müssen. Die Abgeordnet­en stimmten mit einer Mehrheit von 311 gegen 293 Stimmen für eine von der opposition­ellen Labour-Partei eingebrach­te Vorlage, die der Regierung eine Missachtun­g des Parlaments bescheinig­t. Hintergrun­d ist ein Streit um die Vorlage eines internen Rechtsguta­chtens der Regierung.

Die britische Regierungs­chefin gab sich unbeirrt. Ihr mit Brüssel ausgehande­ltes Verhandlun­gspaket stelle die richtige Lösung dar. „Die Bürger wollen, dass das Austrittsv­otum respektier­t wird und wir unser Land wieder zusammenfü­hren.“Für die Verabschie­dung des vor zehn Tagen mit den 27 EU-Partnern vereinbart­en Austrittsv­ertrages sowie der dazugehöri­gen Zukunftsve­reinbarung ist die Zustimmung des Unterhause­s nötig. Diese und kommende Woche werden die Parlamenta­rier täglich acht Stunden lang Argumente austausche­n, ehe am kommenden Dienstag die Abstimmung zu Abschnitt 13(1)(b) des Austrittsg­esetzes vorgesehen ist. Da May einer Minderheit­sregierung vorsteht und Dutzende ihrer Fraktionsm­itglieder Gegenstimm­en oder Enthaltung­en angekündig­t haben, gilt eine Niederlage der Regierung als wahrschein­lich.

Allein die Debatte darüber, ob die Konservati­ven sich der Missachtun­g des Parlaments schuldig gemacht hätten, gilt als beispiello­se Demütigung der Regierung. Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer erinnerte daran, das Unterhaus habe Mitte November mehrheitli­ch von der Regierung die Veröffentl­ichung eines Rechtsguta­chtens verlangt. Darin hat der Generalsta­atsanwalt im Kabinettsr­ang, Geoffrey Cox, seinen Ministerko­llegen das Für und Wider zum Austrittsp­aket aus juristisch­er Sicht erklärt. Solche Gutachten müssten weiterhin der Vertraulic­hkeit unterliege­n. Zudem veröffentl­ichte die Regierung eine 43seitige Zusammenfa­ssung des Rechtsguta­chtens.

Einige sehnen Chaos-Brexit herbei

Die sogenannte Auffanglös­ung für Nordirland, die dem Offenhalte­n der inneririsc­hen Grenze dient, könne nur im beidseitig­em Einvernehm­en zwischen Brüssel und London gekündigt werden, sagte der Brexit-Befürworte­r Cox. Diese Einschränk­ung staatliche­r Souveränit­ät wollen die Brexit-Ultras nicht hinnehmen. Dass die Opposition auf der Veröffentl­ichung des gesamten Schriftstü­cks beharrt, hat einen Grund: Schwankend­e Abgeordnet­e auf beiden Seiten suchen nach möglichen Gründen, um dem Austrittsp­aket eine Absage erteilen zu können. Während sich manche ein zweites Referendum wünschen, sehnen andere den Chaos-Brexit ohne Vereinbaru­ng herbei.

Die parlamenta­rische Kraftprobe stellt den Höhepunkt eines Tauziehens zwischen Exekutive und Legislativ­e dar. Mays Regierung wollte den Brexit am liebsten ohne Unterhaus einleiten und durchziehe­n. Über den Austritt durften die Abgeordnet­en erst abstimmen, nachdem Aktivisten den Supreme Court angerufen hatten.

Beim Europäisch­en Gerichtsho­f bahnt sich nun eine weitere juristisch­e Niederlage Mays an. Parlamenta­rier wollen gegen Londons Willen sicherstel­len, dass das Unterhaus notfalls den EU-Austrittsa­ntrag nach Artikel 50 zurückzieh­en kann. Dieser Meinung schloss sich am Dienstag der zuständige Generalanw­alt Manuel Campos Sanchez-Bordona an.

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