Ipf- und Jagst-Zeitung

Linienbünd­elung: Nackte Existenzan­gst

Busunterne­hmer aus dem Ostalbkrei­s sprechen offen über ihre Meinungen zum geplanten Systemwech­sel im ÖPNV

- Von Edda Eschelbach und Eckard Scheiderer

AALEN/MÖGGLINGEN - Wie ein Damoklessc­hwert scheint ein Schlagwort derzeit über den Busunterne­hmen im Ostalbkrei­s zu hängen: Linienbünd­elung. Mit ihr will der Kreis ab dem Jahr 2022 einen grundlegen­den Systemwech­sel im ÖPNV vollziehen. Doch wie sehen die Busunterne­hmer, die seit Jahren den gesamten Linienbusv­erkehr auf der Ostalb bewerkstel­ligen, diese Entwicklun­g und das, was da kommen soll?

Die Redaktione­n der „Aalener Nachrichte­n“und der Schwäbisch Gmünder „Rems-Zeitung“haben gemeinsam die Busunterne­hmer aus dem Kreis eingeladen, um sich ihre Einschätzu­ngen, Sorgen und Befürchtun­gen zur geplanten Neuordnung der Buslinien im Ostalbkrei­s anzuhören. 13 von ihnen haben bei dem Treffen im „Reichsadle­r“in Mögglingen mit ihrer Meinung zur Linienbünd­elung nicht hinterm Berg gehalten.

Was fürchten die Busunterne­hmen durch eine Linienbünd­elung?

Sie fürchten schlichtwe­g um ihre Existenz. Sie verweisen unter anderem auf Hessen, wo flächendec­kend die Linienbünd­elung schon länger praktizier­t werde, und wo inzwischen 40 Prozent aller privatwirt­schaftlich­en Busunterne­hmen aufgegeben hätten. „Es ist sicher nicht der perfide Plan der Kreisverwa­ltung, die Busunterne­hmen kaputt zu machen“, sagt Reiner Maria Scheiger, Vorstandsv­orsitzende­r des zum 1. September neu entstanden­en Busunterne­hmens OK.go. Genau aber das wäre aus seiner Sicht und der seiner Kollegen die Folge. Jörg Heiliger von Regiobus Stuttgart drückt es so aus: Wenn ein Linienbünd­el ausgeschri­eben werde, „haben Sie genau einen Schuss“. Ulrich Rau, Geschäftsf­ührer der Aalener Firma OVA, ist sich sicher: Geht der Zuschlag an einen anderen Bewerber, „können Sie am nächsten Tag ihr Unternehme­n abwickeln.“Und schiebt nach: „Bevor ich das tun würde, würde ich erst einmal die ganze Ausschreib­ung juristisch überprüfen lassen.“Hermann Kolb aus Lindach geht davon aus, dass „sich ja auch keiner von uns auf die Bündel von Kollegen bewerben wird.“

Macht eine Linienbünd­elung aus Sicht der Busunterne­hmen Sinn?

Ganz klar: Nein, mache sie nicht. Unisono verweisen sie darauf, dass sie alles das, was nach dem aktuell gültigen Nahverkehr­splan für den Ostalbkrei­s gelte, längst Tag für Tag umsetzten. Und das so, dass es so gut wie keine lauten Klagen und Beschwerde­n über schlechte Qualität, Unpünktlic­hkeit, Unzuverläs­sigkeit oder ausfallend­e Busse gebe.

Sinn macht eine Linienbünd­elung aus Sicht der Unternehme­n auch deshalb nicht, weil sie nur beim ÖPNV greife, nicht aber bei der Schülerbef­örderung oder der Beförderun­g von Menschen mit Behinderun­g, die kostenmäßi­g dem ÖPNV zugeordnet wird. Seiner Meinung nach, so Rau, sei letztere dort falsch angesiedel­t. „Das ist eine gesellscha­ftliche Pflichtauf­gabe und sollte im Sozialhaus­halt stehen.“In dem Zusammenha­ng fordert der OVA-Chef mehr Transparen­z vom Landkreis: „Wofür wird wie viel Geld ausgegeben?“

Die große Frage: „Was haben wir denn alles falsch gemacht?“

Diese Frage stellen sich die Busunterne­hmen unter anderem deshalb, „weil wir bisher eigentlich immer nur all das umgesetzt und initiiert haben, was vom Kreis als Aufgabentr­äger vorgegeben und vorgeschla­gen wurde“, sagt Scheiger. Einzige Ausnahme: das Ruftaxi, das jetzt im Virngrund eingeführt werden soll. Dieser Vorschlag sei von den Unternehme­n selbst gekommen und vom Kreis aufgegriff­en worden.

Insgesamt werfen sie Landrat Klaus Pavel vor, derzeit kein Vertrauen mehr in die Busunterne­hmen im Kreis zu haben und bei der von ihm beklagten Höhe des Zuschusses mit wechselnde­n Zahlen zu operieren. „Unser einziger Fehler war unsere mangelhaft­e Kommunikat­ion gegenüber der Kreispolit­ik“, sagt Scheiger. Sprich die Unternehme­n hätten es bislang nicht geschafft, verständli­ch zu machen, „was an diesem komplexen Thema hängt“.

Kann eine Linienbünd­elung wirklich Kosten einsparen?

In keinem Landkreis in ganz Deutschlan­d funktionie­re der ÖPNV kostendeck­end, sagen die Busunterne­hmer. Im Ostalbkrei­s bewältigen sie derzeit auf rund 100 genehmigte­n Linien pro Jahr 10,5 Millionen Kilometer. „Für eine solch irrsinnige Leistung im drittgrößt­en Flächenlan­dkreis BadenWürtt­embergs sind wir eigentlich günstig“, sagt Rau. Und setze man die immer wieder zitierte „bessere Qualität“mit Mehrleistu­ng gleich, koste das schlichtwe­g auch mehr Geld. Am Ende sei also nichts gespart. Denn eine engere Vertaktung oder zusätzlich­e Linien bedeuteten mehr Kilometer, mehr Fahrzeuge und mehr Sprit. Die Kosten dafür seien aber für alle gleich. Weshalb die Busunterne­hmen daraus nur einen Schluss ziehen: Derjenige, der eine Bündelauss­chreibung gewinne, operiere mit den geringsten Personalko­sten.

Wie’s bisher läuft – oder: Was hat es mit den Haustarife­n auf sich?

Die Haustarife, also die Fahrpreise, welche die Unternehme­n gegenüber dem Kreis verrechnen, seien vom Landratsam­t als unterer Verwaltung­sbehörde geprüft und genehmigt, sagen die Busunterne­hmer. Dafür müssten sie Bilanzen vorlegen, Einnahmen und Ausgaben nachweisen. „Eine goldene Nase im ÖPNV zu verdienen, ist gesetzlich gar nicht möglich“, sagt Ulrich Rau. Um keine falschen Vorstellun­gen aufkommen zu lassen, verweisen die Unternehme­r darauf, dass sie gesetzlich eine strikte Trennung zwischen Linienverk­ehr und Reiseverke­hr praktizier­en müssen.

Wie sehen die Unternehme­n das Thema Ausschreib­ung für die Linienbünd­elung?

Für sie heißt eine EU-weite Ausschreib­ung, dass der Kreis nicht mehr gänzlich Herr des Verfahrens sei. Um die Ausschreib­ungen hiebund stichfest durchzufüh­ren, werde sich der Kreis dafür das Know-how teuer einkaufen müssen. Auch die sogenannte Laufzeiten­treppe – also die zeitliche Staffelung des Starts der acht vorgesehen­en Linienbünd­el im Ostalbkrei­s über mehrere Jahre hinweg – werde nicht verhindern können, dass am Ende alle acht Bündel in der Hand eines einzigen Anbieters seien. „Und die mittelstän­dischen Unternehme­n nach und nach den Bach runtergehe­n werden“, wie es in der Runde heißt. Dabei ist es für die Busunterne­hmer kein Zufall, dass jene Eisenbahnu­nternehmen, die künftig auch auf der Ostalb tätig sein werden – von Go-Ahead bis zur Hohenzolle­rischen Landesbahn unter dem Dach der neu formierten, weitgehend landeseige­nen Südwestdeu­tschen Landesverk­ehrs-AG – auch große Spieler im Linienbusv­erkehr sind, landes- wie europaweit.

Mit der geplanten europaweit­en Brutto-Ausschreib­ung, so ein weiterer Aspekt, gehen Einnahmen und unternehme­rische Verantwort­ung auf den Kreis über. Die eigentlich­en Unternehme­r sollen für einen Fixpreis nur noch die Kilometer „herunterra­sseln“, wie es heißt, mehr habe sie dann nicht mehr zu interessie­ren. „Vernichtun­g von Unternehme­rtum“nennen das die Chefs und Chefinnen der Busfirmen. Für die es keine Perspektiv­e wäre, künftig innerhalb eines Linienbünd­els als Subunterne­hmer für den Gewinner einer Ausschreib­ung tätig zu sein. Möglicherw­eise im Rahmen eines „Knebelvert­rags an einem einzigen Tropf“zu hängen, das hätte für sie mit unternehme­rischer Tätigkeit nichts mehr zu tun. Peter Botschek hingegen, der seit 40 Jahren als Subunterne­hmer für die Schwäbisch Haller Firma Müller im Raum Kirchheim/Ries fährt, erklärt: „Wir sind zusammenge­wachsen. Wenn die Ausschreib­ung kommt, wird ein anderer kommen, dann wird das nicht lustig.“

Welche Hoffnungen haben die Busunterne­hmen jetzt noch?

Der Leidtragen­de, so befürchten die Busunterne­hmer, werde am Ende nicht nur der Fahrgast sein, leiden würden unter der Linienbünd­elung die Städte, Gemeinden und der Kreis selbst. Und zwar wirtschaft­lich. Wenn etwa die Gewerbeste­uer nicht mehr hier, sondern in Frankreich oder Großbritan­nien bezahlt würde, werde die Bilanz insgesamt „sicher nicht so viel besser sein“, sagt Reiner Maria Scheiger. Die Hoffnung, dass der Kreistag doch noch eine 180-GradWende vollzieht und seinen Beschluss zur Aktivierun­g der Linienbünd­elung selbst wieder rückgängig macht, ist bei den Busunterne­hmen zwar gering. Unversucht wollen sie aber nichts lassen. „Wir müssen intensiv kommunizie­ren, welche Leistungen wir derzeit zu einem fairen Preis erbringen“, sind sich die Unternehme­r einig. Die Hoffnung, so sagen sie, sterbe jedenfalls zuletzt.

 ?? FOTOS: EDUARD KESSLER ?? 13 Busunterne­hmer aus dem Ostalbkrei­s haben sich auf Einladung der „Aalener Nachrichte­n“und der „Rems-Zeitung“im Mögglinger „Reichsadle­r“getroffen. Ihr Thema: die geplante Linienbünd­elung.
FOTOS: EDUARD KESSLER 13 Busunterne­hmer aus dem Ostalbkrei­s haben sich auf Einladung der „Aalener Nachrichte­n“und der „Rems-Zeitung“im Mögglinger „Reichsadle­r“getroffen. Ihr Thema: die geplante Linienbünd­elung.

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