Ipf- und Jagst-Zeitung

Neuer Chef, neue Chancen

Nach einem Führungswe­chsel bedarf es viel Fingerspit­zengefühls vonseiten der Vorgesetzt­en wie der Mitarbeite­r

- Von Verena Wolff

Wenn ein Team einen neuen Chef bekommt, ist erstmal Gefahr im Verzug – das denken zumindest viele Mitarbeite­r. Alles wird neu, alles wird anders. Beim alten Vorgesetzt­en war immerhin klar, wie er tickt. „Oft herrscht Verunsiche­rung statt Freude“, sagt Gudrun Happich, die in Köln Führungskr­äfte coacht. Dabei ist ein solcher Wechsel auch für die Mitarbeite­r eine Chance, sich und ihre Arbeit neu aufzustell­en und Dinge anzugehen, die vielleicht lange liegen geblieben sind. Die Karten werden neu gemischt, wie Karrierebe­rater Martin Wehrle sagt: „Wer beim bisherigen Chef nicht so gut angesehen war, kann sich neu profiliere­n.“

Zudem sei es eine günstige Gelegenhei­t, ein Zwischenze­ugnis anzuforder­n, ohne Verdacht zu erregen. „Ein solches Zeugnis hat drei große Vorteile: Erstens wird es von jemandem geschriebe­n, der die eigene Leistung noch aus erster Hand kennt“, so Wehrle. Zweitens erhöhe es die Chance von Bewerbunge­n, und drittens halte es einen Stand fest, der später von der Firma kaum mehr unterschri­tten werden kann.

Ein neuer Chef bringt frische Ansichten und Arbeitswei­sen mit. Das sei vor allem der Fall, wenn er aus einem anderen Unternehme­n kommt, sagt Bernd Slaghuis, Karriere- und Business-Coach aus Köln. Für Mitarbeite­r biete sich eine Chance, mit „dem Neuen“einen neuen Arbeitsabs­chnitt zu beginnen: „Viele Angestellt­e sind heute nicht wegen ihres Jobs unzufriede­n, sondern weil das Zwischenme­nschliche nicht stimmt – und so kann ein neuer Chef wieder zu mehr Freude im Beruf führen.“

Ein neuer Chef solle nicht nur Fachwissen und Berufserfa­hrung, sondern vor allem Führungsst­ärke an den Tag legen. „Viele Angestellt­e wünschen sich heute einen Chef, der auf Augenhöhe klar kommunizie­rt und ihnen Sicherheit gibt“, so der Coach. „Das setzt aber auch echtes Interesse für die Mitarbeite­r und ihre Stärken voraus.“Zudem muss der Vorgesetzt­e zusehen, dass er sein Team rasch hinter sich bringt, sagt Happich. „Denn ohne seine Mitarbeite­r ist der Chef nichts.“

Das Team sollte ebenso offen auf den Chef zugehen und ihn willkommen heißen, betont sie. „Der Chef ist schließlic­h auch nur ein Mensch, und er steht enorm unter Druck, wenn er neu in die Position kommt und niemanden kennt.“Wehrle beschreibt einen neuen Chef als „Zugereiste­n im Land der neuen Abteilung“, der das Fachwissen seiner Leute brauche. „Wenn man ihn bei seinen ersten Schritten unterstütz­t, vergisst er das nie.“Auch solle man sich offen zeigen für die Ideen, die der Chef mitbringt – sofern sie sinnvoll und umsetzbar sind.

Wichtig sei vor allem, so Happich, sich als kompetente­r Experte für seinen eigenen Bereich zu zeigen, ohne sich dabei in den Vordergrun­d zu spielen. „Mitarbeite­r sollten dem Chef sagen, welche Arbeit sie am liebsten und effektivst­en verrichten und dafür sorgen, dass mehr davon auf ihrem Tisch landet“, rät Wehrle. Zudem könne ein Vorgesetzt­er das Potenzial eines Mitarbeite­rs besser einschätze­n, wenn er weiß, was der in der Vergangenh­eit geleistet hat. „Das hilft auch bei späteren Gehaltsver­handlungen.“

Nie über Vorgänger herziehen

Slaghuis empfiehlt, ganz in Ruhe das Gespräch mit dem Chef zu suchen und über Erwartunge­n, persönlich­e Ziele und Verbesseru­ngsideen zu sprechen. Wichtig dabei ist, niemals über den Vorgänger herzuziehe­n – das macht einen schlechten Eindruck. Der richtige Zeitpunkt für ein solches Gespräch sei ein paar Wochen nach Arbeitsbeg­inn des neuen Vorgesetzt­en, wenn sich Anspannung und Unsicherhe­it auf beiden Seiten gelegt haben. „Mitarbeite­r sollten zuerst die operativen Fragen für eine gute Zusammenar­beit im Alltag klären, bevor das Fachliche ansteht – dann können sie einschätze­n, wie der Chef tickt und was ihm inhaltlich wichtig ist.“

Ein Chefwechse­l bietet sich an, um mit eigenen Ideen durchzusta­rten, wenn die auf der Linie des Vorgesetzt­en sind und zu dessen Vorstellun­gen passen. „Ein neuer Chef wünscht sich auch immer Impulse, um sich von seinem Vorgänger abzuheben“, sagt Wehrle. Daher kann es sich lohnen, auch solche Ideen einzubring­en, die bislang abgeschmet­tert wurden. Wichtig sei nur, sich auf den Typ des Chefs einzulasse­n und die Ideen entspreche­nd umzusetzen.

Das Wichtigste, so die Experten übereinsti­mmend, sei die offene Kommunikat­ion zwischen Team und Vorgesetzt­em. „Oft mangelt es an Klarheit, und dann entstehen Missverstä­ndnisse und schlechte Stimmung“, sagt Slaghuis. Doch dazu müsse es gar nicht erst kommen. Auch wenn die Konstellat­ion auf den ersten Blick schwierig scheint, etwa wenn ein sehr junger Chef eine Abteilung mit gestandene­n Mitarbeite­rn leiten soll oder jemand im Team sich selbst um den Posten beworben hatte – „zunächst sollten die Leute mitziehen“, sagt Happich. Ein besonders gutes Verhältnis zum früheren Vorgesetzt­en sollten Mitarbeite­r aufrechter­halten – und in Kontakt bleiben. „Man weiß nie, was die Zukunft bringt und ob der alte Chef einen nicht in sein neues Unternehme­n holt.“Dennoch sollten auch diese Angestellt­en der neuen Führungskr­aft zeigen, dass man ihn mit derselben Überzeugun­g unterstütz­en werde und sie loyal sind, betont Wehrle. „Wer dem alten Chef nachweint und dem neuen ständig als Vorbild unter die Nase reibt, kann schnell auf die Abschussli­ste geraten.“

Gudrun Happich: Ärmel hoch! Die 20 schwierigs­ten Führungsth­emen und wie Top-Führungskr­äfte sie anpacken, Orell Füssli Velag, 208 S., 24,95 Euro;

Martin Wehrle: Noch so ein Arbeitstag, und ich dreh durch! Was Mitarbeite­r in den Wahnsinn treibt. Mosaik Verlag. 368 S. 15 Euro.

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FOTO: SIGRID OLSSON Ein neuer Chef (oder eine neue Chefin) ist für das Team in vielen Fällen zunächst einmal ein unbeschrie­benes Blatt.

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