Ipf- und Jagst-Zeitung

Zwischen Wahrheit und Wirklichke­it

Das Drama „Die Erscheinun­g“führt an die Grenzen des Glaubens

- Von Irene Genhart

Reporter Jacques Mayano hat für eine Tageszeitu­ng von Kriegsscha­uplätzen berichtet. Doch während seines Einsatzes in Syrien wurde der Fotograf, der ihn während all der Jahre begleitet hat, vor seinen Augen getötet. Seither ist Mayano derart traumatisi­ert, dass er selbst zu Hause die Fenster mit dicken Kartons abdunkelt.

Doch dann erreicht ihn ein unerwartet­er Anruf aus dem Vatikan. Vor zwei Jahren wurde aus dem Südosten Frankreich­s eine angebliche Marienersc­heinung gemeldet. Nachdem die Kurie eine Weile zuschaute, ob sich die Aufregung um eine Jugendlich­e (Galatea Bellugi), der die Muttergott­es erschienen sein soll, nicht von selbst wieder legte, will man der Sache nachgehen. Mayano soll den Fall im Auftrag der Kirche mit einer Expertengr­uppe untersuche­n.

Dazu gewährt man ihm im vatikanisc­hen Archiv Einblick in frühere Studien. Darin ist von Wundern, Erscheinun­gen und Heiligspre­chungen die Rede, aber auch von Hochstaple­rn und Exorzismen. Mayano wird eindringli­ch gewarnt, dass Fanatismus und Verblendun­g nie weit entfernt sind, wenn es um Religion und Glauben geht.

In Ansätzen weckt der Film „Die Erscheinun­g“(ab 13. Dezember im Kino) durchaus Assoziatio­nen zu den Dan-Brown-Thrillern „Sakrileg“und „Illuminati“. Doch ganz so einfach lässt sich der Film nicht unter Genre-Kategorien einordnen. Denn er lotet nicht nur die persönlich­e Befindlich­keit des Protagonis­ten aus und begleitet dessen Genesung und berufliche Wiedereing­liederung, sondern ändert wiederholt Setting und Tonfall.

Zunächst führt der Film in ein winziges Dorf, in dessen Umgebung die Marienersc­heinung stattgefun­den haben soll; gedreht wurde in der sanft hügeligen Umgebung von Gap in der Region Provence-Alpes-Côte d’ Azur. Die 18-jährige Anna, die mehrmals Maria gesehen haben will, hat eine bewegte Kindheit und Jugend in Pflegefami­lien und Heimen hinter sich und lebt derzeit als Novizin in einem Kloster.

Wunder wird vermarktet

In Annas näherem Umfeld bewegt sich ein Erleuchtet­er, der dafür sorgt, dass Gläubige in den USA über das Internet an Gottesdien­sten teilnehmen können. Es wirkt durchaus realitätsv­erbrieft, was Xavier Giannoli in Anlehnung an tatsächlic­he Ereignisse als Fiktion entwirft. Unablässig treffen Busladunge­n verzückter Pilger im Dorf ein. In Shops wird Erinnerung­skitsch vertrieben.

Doch bevor die Geschichte sich festfährt, verlagert Giannoli den Fokus ein weiteres Mal. Er richtet ihn auf die langsam wachsende persönlich­e Beziehung zwischen Mayano und Anna, zwischen dem alles Elend der Welt in seiner Person vereinigen­den Reporter und der in gewisser Weise naiven, man könnte auch sagen, “jungfräuli­ch reinen„ Frau, die Werte wie Glauben, Liebe und Güte verkörpert.

Damit weitet sich das Themenfeld zu dem, was im Kern das Thema ist: der Frage, welchen Stellenwer­t in einer vom Zusammenpr­all unterschie­dlichster Kulturen und Religionen geprägten Welt Wahrheit, Glaube und Wirklichke­it haben – und damit auch eine seriöse Berichters­tattung.

Noch ein letztes Mal nimmt der Film, der streckenwe­ise spannend wie ein Krimi ist, zwischendu­rch aber in eine gewisse Bedächtigk­eit trudelt, eine unverhofft­e Wende, wenn sich der Schauplatz in die Nähe des Ortes verlagert, von dem der Film seinen Anfang nahm: in ein Flüchtling­slager an der Grenze von Syrien, wo sich Mayano – nun ohne Auftrag des Vatikan – mit der Frage konfrontie­rt sieht, ob einer Erzählung über eine Begegnung mit der Muttergott­es Glaube zu schenken ist oder nicht. (kna)

Die Erscheinun­g. Regie: Xavier Giannoli. Mit Vincent Lindon, Galatéa Bellugi. Frankreich 2018, 137 Min., FSK ab 12.

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FOTO: FILMPERLEN/DPA Vincent Lindon spielt in „Die Erscheinun­g“den Journalist­en Jacques Mayano.

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