Ipf- und Jagst-Zeitung

Für eine halbe Stunde ein Engel

Am alten Bopfinger Rathaus wird jeden Abend ein Türchen mit einem Bild geöffnet

- Von Maike Woydt

- Nur für einen kurzen Moment im Leben ein Engel sein – dieser Traum ging für mich in Erfüllung. Wenn auch nur für eine halbe Stunde. Und das auch nicht auf einer Wolke, sondern beim Bopfinger Adventskal­ender am alten Rathaus. In einem weißen Gewand und Engelsflüg­eln gestaltete ich die Öffnung eines Türchens mit.

Doch bevor ich diesen Auftritt wagen kann, muss ich mich natürlich erst einmal in die passende Verkleidun­g hüllen. Daher treffe ich mich mit Sabrina Karl, die im Sekretaria­t des Bürgermeis­ters arbeitet, und mit dem anderen Engel, Sophia Steiner, bereits um 17.30 Uhr am Rathaus. Gemeinsam gehen wir in einen kleinen Besprechun­gsraum im ersten Stock. Dort stehen Stühle, auf denen weiße Gewänder mit goldenen Verzierung­en liegen. Auf einem Tisch in der Mitte sind die Engelsflüg­el, die mit echten weißen Federn beklebt sind, aufgestape­lt.

Die Engelskost­üme wurden extra angefertig­t

Eine entspreche­ndes Gewand für meine Engelskoll­egin Sophia war schnell gefunden. Und dann bekomme auch ich meinen Engelsmant­el und die passenden Flügel. Sabrina Karl schiebt mir die Flügel vorsichtig auf die Schultern, sehr darauf bedacht, dass die Federn nicht abfallen. Nachdem ich den Mantel mit dem steifen, weißen Stoff und die Engelsflüg­el angezogen habe, wird meine Haltung automatisc­h aufrechter. Ich habe das Gefühl, dass ich das Kostüm mit mehr Würde tragen muss.

Die acht weißen Engelskost­üme wurden extra für den Adventskal­ender bei der Gewandschn­eiderei „Die flinke Nadel“in Ehingen an der Donau in Auftrag gegeben. Im Jahr 2017 seien die Kostüme und die Engel das erste Mal im Einsatz gewesen, erklärt mir Sabrina Karl. Die Schneideri­n der Gewänder, Christa Fluhr, ist auch bei den Bopfinger Heimattage­n mit ihrem Stand vertreten, verrät sie mir.

Die siebenjähr­ige Sophia lernt in der Zwischenze­it nochmal ihren Text. Sie wirkt nervös. Rutscht unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Ich versuche, mich nicht von ihrer Nervosität anstecken zu lassen, denn bislang bin ich noch vergleichs­weise entspannt.

Auf insgesamt sechs Ebenen gibt es am Rathaus Bopfingen 24 Fenster und Türen. Das sei ihm schon zu Beginn seiner Amtszeit in Bopfingen aufgefalle­n, erklärt Bürgermeis­ter Gunther Bühler. Die Idee, einen Adventskal­ender im Rathaus zu gestalten, habe er in Forchheim bereits kennengele­rnt. Er habe aber keine zündende Idee gehabt, wie man den Kalender in Bopfingen zum Leben erwecken könne. Auf die Idee mit der „kunstvolle­n Weihnacht“und den vielen bunten Bildern von verschiede­nen Leuten und Einrichtun­gen sei vor vier Jahren die damalige Kulturbeau­ftragte der Stadt, Sarah Lenz, gekommen, erklärt Bürgermeis­ter Bühler weiter.

Am heutigen Abend wird das Bild der Jagsttalsc­hule Westhausen geöffnet. Doch zuvor müssen Sophia und ich unseren Text vorlesen. Kurz vor 18 Uhr gehen wir mit Sabrina Karl in den Nebenraum und als die Glocken zu läuten beginnen, ist der große Moment gekommen. Sabrina Karl öffnet die kleine Luke – nicht einmal einen Meter hoch – und hilft uns nach draußen auf den Balkon. Auf dem Marktplatz vor dem Rathaus haben sich einige Zuschauer versammelt. Sophia wird immer nervöser, und auch ich merke, wie die Aufregung in mir steigt. „Oh, ist das hoch, ich habe Höhenangst“, flüstert Sophia mir zu und nimmt meine Hand.

Nachdem der letzte Ton des Liedes verklungen ist, flüstert Sabrina Karl von hinten: „Jetzt seid ihr dran.“Ich atme noch einmal tief durch und dann lese ich die ersten Zeilen des Gedichts von August Heinrich Hoffmann von Fallersleb­en. „Nussknacke­r, du machst ein grimmig Gesicht - ich aber, ich fürchte vor dir mich nicht“, lauten diese. Viel zu schnell lese ich die weiteren Zeilen, ich versuche, mein Tempo zu verlangsam­en, aber es gelingt mir nicht und schneller als gedacht, habe ich die ersten beiden Strophen vorgetrage­n. Dann halte ich Sophia das Mikrofon hin und die Siebenjähr­ige beginnt ihren Teil vorzulesen.

Nachdem auch sie ihren Teil gelesen hat, lächeln wir uns stolz an, dann steigen wir wieder durch die Luke zurück. Direkt das Fenster daneben wird heute geöffnet. Mit einer speziellen Seilkonstr­uktion klappt ein Mitarbeite­r das blaue Adventskal­endertürch­en mit der goldenen Nummer weg, sodass das Bild dahinter zum Vorschein kommt. Wir Engel winken noch einmal durch das offene Fenster und dann ist der gesamte Zauber auch schon wieder vorbei. Doch ich war für eine halbe Stunde ein Engel und das kann nicht jeder von sich behaupten.

Im Rahmen des kunstvolle­n Adventskal­enders wird noch bis zum 24. Dezember am Bopfinger Rathaus täglich ein Türchen geöffnet. Bis einschließ­lich 23. Dezember findet die Türöffnung jeweils um 18 Uhr statt. Am 24. Dezember ist es bereits um 11 Uhr geöffnet.

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FOTO: JÜRGEN BLANKENHOR­N Sophia Steiner und Maike Woydt standen gemeinsam als Engel auf dem Rathaus Balkon und haben den Text „Nussknacke­r“vorgelesen.

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