Das Kreuz auf den Trümmern des Kalifats
Fast die Hälfte der vom IS vertriebenen Christen des Irak ist zurück in ihrem Stammland bei Mossul – Doch die Zukunft ist ungewiss
- Der Christ Mohanad Hanna Yousif aus Karakosch kauft seine Ware am liebsten dort, wo das IS-Kalifat seine Vertreibung plante. Rund 30 Kilometer von seiner christlichen Heimatstadt entfernt im Osten Mossuls steigt er in ein Auto. „Guten Tag, wie geht es Ihnen?“, sagt er auf Deutsch. Dann fährt er aus der Stadt heraus in Richtung Karakosch. Mossul war vor dem Krieg die Hauptstadt der irakischen Provinz Ninive. Dort liegt das Stammland der Christen im Irak. Der IS hatte es von Mossul nicht weit, um es 2014 fast vollständig zu entvölkern. Ganze Parks von Räumfahrzeugen stehen drei Jahre später in der zerstörten ISHauptstadt am Straßenrand und rotten vor sich hin. Ihre Schilde schoben vor einem Dreivierteljahr in der westlichen Altstadt Leichen der Dschihad-Kämpfer in die Bombenkrater und füllten sie mit Schutt. Die Wiederaufbauteams haben später Teer auf die Trümmer und die Toten gekippt, damit der Verkehr wieder rollen kann. Yousif fährt auf dem Weg vom Einkaufen auf Straßen herum, unter denen die Knochen seiner Peiniger liegen.
Der Iraker ist guter Laune. Er hat heute in Mossul gute Geschäfte gemacht. Das wird er seiner Frau am Telefon erzählen. Sie ist mit dem Sohn in Deutschland geblieben und würde auch am liebsten dort bleiben. Der irakische Christ und Familienvater hat vor einigen Monaten etwas getan, für das ihn nicht nur seine Frau, sondern auch die Asylbehörde im bayerischen Landkreis GarmischPartenkirchen für verrückt erklärt hat. Sein Recht auf Aufenthalt in Deutschland als Christ aus dem ehemaligen Kalifatsland schien so sicher zu sein wie die nächste Krise im Irak. Und da packt Yousif seinen Koffer, leiht sich Geld von der Familie im Irak und küsst Frau und Kind zum Abschied. „Die beiden werden nachkommen, wenn ich sie überzeugt habe“, sagt er.
Die Fahrt geht weiter auf dem Highway in Richtung Osten. Eine Ausfahrt führt zu einem Checkpoint. Er bewacht die Stadt Karakosch. Soldaten der „Ninive Protection Unit“(NPU), einer christlichen Miliz, verbergen sich mit ihren Maschinengewehren hinter Sandsäcken, als würde der IS jeden Moment aus seinen Gräbern in Mossul steigen. Sie erkennen Yousif und winken ihn durch. Der Blick fällt auf ein meterhohes Holzkreuz einige Hundert Meter hinter dem Wachposten an einer Kreuzung. Dahinter weht an einem etwa doppelt so hohen Mast die rot-weiß-schwarze Trikolore des Irak. Bauscht ein Windzug die Flagge zu voller Größe auf, steht das Kreuz unter dem Schriftzug auf der Fahne: Alla hu Akbar, Gott ist am größten. Vielleicht ist es ein Zufall. Die Christen im Irak verwenden die Takbir genannte Formel allerdings genauso häufig wie die Schiiten und Sunniten.
„Auch meine Geschäfte haben sie angezündet. Ich war mal reich.“Mohanad Hanna Yousif, Rückkehrer aus Deutschland
Verlorener Reichtum
Das Auto hält vor einem Modegeschäft im Zentrum von Karakosch. In einem benachbarten Haus gähnen die Fenster rußverschmiert und leer in der Fassade. Der IS hat die Christenstadt geplündert und gebrandschatzt, bevor die neunte Division der irakischen Armee die Terroristen im Oktober 2016 aus der Stadt vertrieben hat. „Auch meine Geschäfte haben sie angezündet. Ich war mal reich“, sagt der Christ. Er schiebt den Rollladen hoch und schließt das Geschäft auf. Es ist wieder erstanden. Jacketts aus feinem Stoff hängen an den Kleiderstangen. Yousif führt mit einer Handbewegung in den Laden, als wolle er sagen: „et voilá“.
Eigentlich seien es deutsche Freunde gewesen, die ihn auf den Gedanken der Rückkehr in den Irak gebracht haben, meint er. „Wir saßen mal abends zusammen, und sie haben vom Zweiten Weltkrieg erzählt. Wie Deutschland damals in Trümmern lag und die Deutschen das Land wieder aufgebaut haben. Die Deutschen sind damals nicht abgehauen, habe ich mir gesagt“, sagt der Christ. Er könne die schlimmen Folgen der Massenflucht für den Irak ganz einfach erklären, sagt er. Bisher sei rund die Hälfte der Bevölkerung, die 2014 vor den IS-Kämpfern geflohen ist und sich dann in alle Welt verstreut hat, nach Karakosch zurückgekehrt. „Wenn die Hälfte der Stadt fehlt, wird sich mein Geschäft hier nicht lohnen. Dann wird sich überhaupt kein Geschäft in Karakosch lohnen“, sagt Youssif.
Die irakischen Christen würden in drei bis fünf Jahren sehen, was das Exil bei den Glaubensbrüdern in Europa aus ihnen macht, meint Yousif. „Ich bin ein gebildeter Mann, ich hatte Geld, und in Deutschland hätte ich in meinem Alter vielleicht noch putzen gehen können“, sagt er. Er möchte nicht falsch verstanden werden, betont er. „Ich bin Deutschland dankbar für das, was es 2014 für die Iraker getan hat.“Die irakischen Christen, die nach der Vertreibung des IS zögern mit der Rückkehr, zerstörten aber nun ihre eigene Kultur. Das wichtigste Band, das die Christen im Irak verbindet, sei die Familie, sagt er. „Die Eltern in Deutschland, das eine Kind in Australien, das andere in Amerika, das macht uns kaputt“, sagt er.
Der IS wurde im Juni 2014 von den Sunniten in der Provinzhauptstadt Mossul beklatscht, als er die Stadt einnahm. Zwei Monate später eroberte der IS auch die 50 000 Einwohner zählende Stadt Karakosch, das zu mehr als 90 Prozent von syrisch-katholischen und syrisch-orthodoxen Christen bewohnte Zentrum der Ninive-Ebene. Insgesamt 120 000 Christen flohen damals aus ihrem Stammland in der Ninive-Ebene in die kurdischen Gebiete im Nordosten. Darunter war auch Yousifs Familie. Ewa die Hälfte ist laut Schätzungen der Kirchen vor Ort nun wieder in den Heimatorten. Die Flucht in das Autonome Kurdengebiet oder von dort weiter in ein westliches Land ersparte Christen in den Jahren 2014 bis 2017 die Rechtlosigkeit im Kalifat. Der IS säuberte sein Herrschaftsgebiet nach religiösen Kriterien. Für Jesiden und Schiiten bedeutete das den Genozid. Christen, deren Glaube im Koran Religion des Buches genannt wird, konnten konvertieren oder ihre völlige Entrechtung hinnehmen. Aber sie wurden nicht systematisch ermordet. Wenn der Christ Yousif von den Verbrechen des IS spricht, hört er sich an wie ein Sunnit aus Mossul. Er rechtfertigt das Verhalten der Bevölkerung, als gehöre er dazu. Den Beifall der lokalen Sunniten für die Terrormiliz habe es 2014 nur gegeben, weil die schiitische Regierung in Bagdad die Sunniten so schlecht behandelt habe, meint er zum Beispiel. Dabei geht der Hass zwischen Sunniten und Schiiten schon auf die Gründerzeit des Islam zurück. Er weigere sich, jetzt die Sunniten über einen Kamm zu scheren, sagt er. Yousif nimmt ein Jackett aus besonders feinem Stoff vom Kleiderbügel und streichelt den Stoff zärtlich. „Als sich herumgesprochen hat, dass ich aus Deutschland zurückkehre, haben mir meine Freunde in Mossul ihre beste Ware für meinen neuen Laden geschickt, obwohl es ihnen selbst schlecht geht. Das sind alles Muslime“, sagt er.
Das Schweigen der Alten
Pater Duraid Barber Arihbula zeigt auf die Einschusslöcher an den Wänden Karakoschs, um zu zeigen, was er von den irakischen Muslimen hält. „Das macht der Islam“, sagt der syrisch-katholische Priester. Er ist unterwegs auf den von Kämpfen und IS-Besatzung gezeichneten Straßen. Sein Ziel sind die Alten der Stadt. Der Pater besucht Häuser, in denen die Stimmen hallen. Denn es leben dort nur noch alte Ehepaare und keine Großfamilien mehr. Die alten Leute schweigen sich an und denken an ihre an die Diaspora verlorenen Kinder und Enkel.
Der Pater gibt den Alten von Karakosch die Kommunion, wenn sie nicht mehr zur Messe gehen können. Er würde seinen Glaubensbruder Yousif sicher einen naiven Laien nennen. Als Theologe wisse er, was im Koran stehe, und das sei nichts Gutes, sagt er. Insh’allah würden die Christen im Irak überleben. „Aber nur, wenn sie die Lehren aus der Vergangenheit ziehen“, sagt der Priester. Nach den Sunniten und dem IS bereite jetzt die schiitische Volksgruppe der Schabak Probleme. „Sie sagen, die Schiiten aus Bagdad hätten uns befreit. Deshalb sollen wir ihnen nun unser Land verkaufen.“
Soldaten der NPU stehen mit dem Maschinengewehr im Anschlag vor dem Büro des Bischofs in Karakosch. Anschläge hat es seit dem Fall von Mossul im Juli 2017 in der Stadt nicht mehr gegeben. Aber der syrisch-katholische Bischof Boutros Moshe ist einer der wichtigsten christlichen Religionsführer des Irak. Die Anzahl der Christen hat sich vom Jahr der US-Invasion 2003 von rund 1,3 Millionen auf etwa 250 000 verringert. Boutros Moshe lädt in den Salon und nimmt Platz unter einem Bild von Papst Franziskus. Der Bischof lässt einen Rosenkranz durch seine Finger gleiten. Ohne Kreuz und Kollar könnte er auch als Muslim durchgehen, der seine Gebetskette keinen Moment aus der Hand legt. Bischof Moshe würde sich an dem Vergleich wohl nicht stören. Er spricht von der gemeinsamen Kultur aller Iraker und klingt eher wie der Modeverkäufer Yousif als der ihm unterstellte Priester. Angesprochen auf die Äußerungen seines Priesters winkt er ab und spricht von Einzelmeinungen. Die anderen Religionsführer und er wollten die Jugend mobilisieren, aufeinander zuzugehen, erzählt er. Es klingt nach einer schönen Vision in einem Land, in dem jede Volks- und Religionsgruppe die andere zumindest des Verrats, wenn nicht Schlimmerem verdächtigt. Der Bischof ist stolz darauf, dass fast jeden Tag Christen aus westlichen Ländern in Karakosch und anderen Städten der Ninive-Ebene ankommen. Offenbar fürchtet er, dass seine Schäfchen besonders in Europa dem Säkularismus anheimfallen könnten. „Es gibt dort viele Gefahren. Die Menschen gehen nicht mehr in die Kirche“, sagt er.
Die Schiiten in Kauflaune
Solange er mit Gottes Segen Einfluss auf den Machtklüngel in Bagdad nehmen könne, werde er dafür kämpfen, dass den Christen ihre von der Verfassung gewährten Rechte gewährt werden, versichert der Bischof. Doch weder er noch der Heilige Geist haben es leicht mit den Intrigen spinnenden Politikern in der Hauptstadt. „Einige nutzen unsere Notlage aus, um mit viel Geld und Druck an unser Land zu kommen“, sagt er. Das ist seine Antwort auf die Frage nach der Kauflaune der Schiiten, die sich für Grundbesitz von Christen interessieren. Mit Notlage meint der Bischof die Abwesenheit vieler Bewohner in einer halb entvölkerten Stadt und Region. Kämen alle Haus- und Landbesitzer zurück, gebe es ja nichts, was die Schiiten kaufen könnten.
Am Abend läutet die Glocke über der Mar Benham Kirche. Sie kündigt die Abendmesse an. Die ersten Gläubigen stehen zurechtgemacht auf dem Innenhof der Kirche und tratschen. Der IS hat im Hof und im Kirchenraum sämtliche Abbildungen heruntergerissen und Statuen zerschossen. Ein Sprengkörper halbierte den Kirchturm. Das Gotteshaus gleicht einer Ruine. Die Gläubigen von Karakosch haben sich dennoch herausgeputzt oder vielleicht auch deshalb. Denn ihr Kreuz wurde wieder errichtet auf den Trümmern des Kalifats. Sie beten, dass es bleibt.
„Die Eltern in Deutschland, das eine Kind in Australien, das andere in Amerika, das macht uns kaputt.“Mohanad Hanna Yousif