Der nächste Testfall für die Große Koalition
Streit um den Kompromiss beim Werbeverbot für Abtreibungen geht bei der SPD weiter
- Nach monatelangem Streit hat sich die Große Koalition auf einen Kompromiss beim Werbeverbot für Abtreibungen geeinigt – und damit neues Ungemach ausgelöst. Werbung für Schwangerschaftsabbrüche steht laut dem Paragraphen 219a des Strafgesetzbuches weiter unter Strafe, allerdings sollen sich Frauen leichter informieren können. Die Kritik daran, auch aus der SPD daran, ist massiv. Von einem „Misstrauensvotum gegen die Ärzteschaft“, spricht Hilde Mattheis, die Ulmer Parteilinke und Bundesvorsitzende des Forums Demokratische Linke 21. Der Vorschlag der Bundesregierung schaffe „keine Klarheit, sondern erschwert die Situation der Ärztinnen und Ärzte und in der Folge der betroffenen Frauen“. Die einzige Möglichkeit, den Paragraphen 219a noch zu streichen, sei „eine Gewissensentscheidung im Bundestag“, sagte Mattheis am Donnerstag der „Schwäbischen Zeitung“.
Eine solche mögliche Gewissensentscheidung könnte der nächste Testfall für Parteichefin Andrea Nahles und die GroKo werden. Im Bundestag hätte die SPD die sichere Unterstützung von Linken, Grünen und FDP – noch für den Donnerstagabend etwa hatten die Liberalen einen eigenen Antrag für die sofortige Streichung des Paragraphen in den Bundestag eingebracht. Die SPD steckt in der Zwickmühle: Macht sie bei der Streichung mit, wäre das nicht nur das Ende der Koalitionsdisziplin, sondern womöglich das der Koalition.
Zeichen standen auf Annäherung
Dabei standen die Zeichen auf Annäherung. Das am Mittwoch vorgestellte Eckpunktepapier wird getragen von Innenminister Horst Seehofer (CSU), Justizministerin Katarina Barley (SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Kanzleramtschef Helge Braun (CDU).
Der Kernpunkt: Der 219a inklusive seiner Strafandrohung von zwei Jahren Gefängnis soll erhalten bleiben, die Beratung für Schwangere jedoch gestärkt werden. „Staatlichen oder staatlich beauftragten Stellen“wie der Bundesärztekammer oder der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung soll es erlaubt sein, neutrale Informationen bereitzustellen. „Diesen Informationsauftrag wollen wir gesetzlich verankern“, so Braun. Im Januar will die Koalition den Paragraphen 219a ergänzen und das Schwangerschaftskonfliktgesetz ändern. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, begrüßte den Kompromiss. „Wir müssen heute Informationen auch über webbasierte Internetdienste anbieten dürfen“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. Die Bundesärztekammer sei dazu bereit. Auch CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer lobte den Kompromiss. „Der Schutz des Lebens, ungeborenes und geborenes, hat für die CDU überragende Bedeutung“, schrieb sie bei Twitter. Deshalb sei es „gut, dass das Werbeverbot bleibt“. Über das Ergebnis „freuen wir uns“, erklärte auch SPD-Chefin Andrea Nahles. Man werde nun den Gesetzestext abwarten und im Januar beraten. Widerspruch kommt aus ihrer eigenen Partei. Der Vorsitzende der SPD Nordrhein-Westfalen, Sebastian Hartmann, erklärte: „Der Paragraf 219a wirkt wie ein Entmündigungsgesetz und ist aus der Zeit gefallen.“Hartmann befürwortet ebenfalls die Gewissensfrage, will aber zunächst den konkreten Gesetzentwurf abwarten. Matthias Miersch, Chef der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, forderte mehr Beinfreiheit für künftige Koalitionen: „Wir werden sicher über neue Regierungsformen reden müssen, gerade bei möglichen Dreier-Bündnissen“. Seine Idee einer „Koko“, einer Kooperationskoalition, hatte Miersch schon vor der Bildung der Großen Koalition vorgeschlagen und dafür teils heftige Kritik geerntet.
Die Gießener Frauenärztin Kristina Hänel zeigte sich von dem Kompromissvorschlag „entsetzt“und „empört“. „Aus politischem Machtkalkül und aus Angst vor rechts“würden Frauenrechte „verraten und wir Ärztinnen weiterhin kriminalisiert“, erklärte sie in einer Stellungnahme mit zwei Kolleginnen. Hänel war zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilt worden, weil sie auf ihrer Webseite auf das Angebot von Abtreibungen hingewiesen hatte.