Mission Klimarettung
Wie eine Familie 30 Prozent CO im Jahr eingespart hat
- Ist das Klima noch zu retten? Während Politiker bei der UN-Klimakonferenz noch debattieren und die US-Delegation die Vorzüge von Kohle propagiert, ist vielen Bürgern längst klar, dass es so nicht weitergeht. Petra Pinzler und Günther Wessel haben in ihrer Familie die Reißleine gezogen und ein Jahr lang versucht, CO2neutral zu leben. Ihre teils ernüchternden Erfahrungen haben die beiden Journalisten in ein unterhaltsames Buch gepackt. „Nur, weil die Politiker ihren Job nicht richtig machen, ist das kein Grund, nicht selbst aktiv zu werden“, sagt Petra Pinzler der „Schwäbischen Zeitung“. Das Experiment war nicht nur nachhaltig, sondern auch lustig, erzählt sie. Immerhin 30 Prozent CO2 hat die Familie in dem Jahr eingespart.
Am leichtesten taten sich die Kinder. „Franziska war schnell klar, dass sie mit dem Rad zum Pferdehof fahren müsste“, sagt Mutter Petra. Die damals Zwölfjährige hatte den Anstoß für das Klimaexperiment gegeben. Im Ethikunterricht hatten die Schüler die Hausaufgabe bekommen, den ökologischen Fußabdruck ihrer Familie zu berechnen.
Das Ergebnis war ernüchternd. Im Klimabilanzrechner des WWF schlug der Lebensstil der vier mit 42 Tonnen CO2 pro Jahr zu Buche. Das ist mit 10,5 Tonnen pro Person im Jahr zwar etwas besser als der bundesdeutsche Durchschnitt, doch klimaverträglich wären aber nur etwas mehr als zwei Tonnen pro Person (siehe Interview). Den Eltern wurde schnell bewusst, dass zwischen Wissen und Tun auch bei ihnen eine große Diskrepanz liegt.
Das sollte sich ändern. „Wir wurden von Klugscheißern zu Besserwissern“, sagt die Journalistin. Klimasünden passieren hin und wieder trotzdem noch. Der Raki beim Griechen, der Rotwein aus Chile, neulich der Flug zu einem Geschäftstermin nach Berlin. „Wir sind keine Heiligen“, räumt die Journalistin ein und das wollen die Vier wohl auch gar nicht werden.
Den CO2-Ausstoß ein Drittel reduzieren, ist gar nicht einfach. Der Energieberater war schnell bestellt und mit 20 Euro nicht einmal teuer. Die neuen Fensterdichtungen, die der Berater empfahl, schlugen dafür mit 1313,84 Euro fürs ganze Haus zu Buche. Doch einmal eingebaut, sparen sie bares Geld.
Schwieriger war es, lieb gewordenen Gewohnheiten über Bord zu werfen. Franziska ist vom Elterntaxi aufs Rad umgestiegen. Die Eltern ließen das Auto immer öfter stehen und überlegten schließlich, es ganz abzuschaffen. Für Großeinkäufe wurde ein Fahrradanhänger angeschafft.
Jakob fiel es schwer, nicht mehr so lange heiß zu duschen. Für ihn war der Schritt wie für viele Teenager fast eine Höchststrafe. Als Vegetarier stand er dafür beim Fleischkonsum gut da. Auch das spart CO2. Vor allem Kühe und Rinder produzieren durch ihr Rülpsen und Pupsen schädliches Treibhausgas. Insgesamt kommt bei der Familie Pinzler-Wessel heute deutlich weniger Fleisch auf den Tisch und wenn, dann eher Schwein und Huhn. Eine echte Entdeckung seien die heimischen Wildschweine. Denn die müssten ja eh geschossen werden.
Mama Petra plagte vor allem beim Blick auf den Kleiderschrank das schlechte Gewissen. Sechs Kilogramm CO2 fallen für Produktion, Transport und Entsorgung eines Damenshirts an. Viel zu viel, als dass man sich ständig neue kaufen kann. Die Mutter greift hier zu einem Selbstbetrug: Im Winter kommen die Sommersachen in den Keller, im Sommer die warmen Klamotten. So macht sie regelmäßig Neuentdeckungen. „Beim Einkaufen gehe ich heute immer noch einmal um den Laden herum. Dann ist es viel leichter, Nein zu sagen“, sagt Petra Pinzler. Ein großer Verzicht sei das nicht. „Wenn man nur lange genug wartet, wird früher oder später eh alles wieder modern.“
Genervte Freunde
Allzu missionarisch sollte man bei so einem Experiment nicht vorgehen. Das hat die Familie schnell gemerkt. Selbst aufgeklärte Freunde verließen bei Partys genervt den Raum, weil sie den Klimakram nicht mehr hören können. Überhaupt, auf den erhobenen Zeigefinger reagieren die Leute allergisch. Spricht man dagegen die eigenen Gewissenskonflikte bei Konsumentscheidungen an, ist man schnell im Gespräch. „Wenn man so etwas machen will, sollte man sich Freunde und Bekannte suchen, die mitmachen“, rät Petra Pinzler rückblickend. Als großen Verzicht fand sie die CO2-Diät nicht. Man überlegt, was wirklich wichtig ist.
Ein ungelöstes Problem bleibt das Februargefühl, das einen beschleicht, wenn man dem nasskalten Wetter gerne entfliehen und in den Süden fliegen würde, sagt Petra Pinzler. Vor allem Papa Günther wäre im Frühjahr gerne einfach nach Griechenland geflogen. Preislich dank Billigfliegern kein Problem. Für die Klimabilanz eine Katastrophe. Aber nach Griechenland kommt man nun einmal nicht mit dem Rad.
Für solche Notfälle hält die Familie einen Ablasshandel für akzeptabel – die Kompensation bei Atmosfair, die das Geld für den kompensierten Flug oder eine Kreuzfahrt in Klimaprojekte investiert. Der Flug nach Kreta und zurück hätte die vierköpfige Familie 112 Euro gekostet. Bei 14 Tagen zwei Euro am Tag. Durchaus zu verschmerzen. Am Ende ging es dann doch mit dem Auto in die Alpen.
Das Experiment hat die Familie verändert. „Wir müssen uns politisch viel stärker einmischen“, findet Mutter Petra. Ihrer Meinung nach gehört vor allem das Steuersystem reformiert, das nach ihrer Ansicht unökologisches Verhalten belohnt und ökologisches bestraft. „Warum wird auf ein Bahnticket Mehrwertsteuer erhoben, auf ein Flugticket nicht? Warum wird Strom von Privathaushalten besteuert, Kerosin dagegen nicht?“
Die Klimakonferenz hat Jakob, der inzwischen studiert, eher am Rande mitverfolgt. In Sachen Klimaschutz macht er sein eigenes Ding. In seiner Freizeit geht er mit einem Klimakoffer des BUND an Schulen und wirbt für den Klimaschutz.
Franziska dagegen ärgert sich richtig, dass es auch bei dieser Konferenz voraussichtlich keinen Durchbruch gibt. „Sie findet Politik nur noch doof und versteht diese riesige Kluft zwischen dem ständigen Reden und Verhalten der Politiker nicht“, meint Mutter Petra. Resignieren wolle ihre Tochter allerdings nicht. Im Gegenteil: Aktuell will Franziska selbst Politikerin werden. Irgendjemand muss es schließlich besser machen.
„Nur, weil die Politiker ihren Job nicht richtig machen, ist das kein Grund, nicht selbst aktiv zu werden.“Petra Pinzler
Das Buch „Vier fürs Klima“von Petra Pinzler und Günther Wessel wurde gerade mit dem Umwelt
Medienpreis ausgezeichnet. Es ist 2018 im Droemer Verlag erschienen und kostet 18 Euro. Günther Wessel kommt auch auf Lesereise in die Region. Am 8. März nach Singen, am 19. März nach Tuttlingen und am 22. März nach Rottweil.