Ipf- und Jagst-Zeitung

Unter Bäumen

Mewo Kunsthalle Memmingen erkundet das Spannungsf­eld zwischen Wald und Mensch

- Von Antje Merke Von der Romantik geprägt

- Unser Verhältnis zum Wald ist in hohem Maße ambivalent. Der Mensch beutet den Wald aus für Brennholz, Baumateria­l oder Möbel. Gleichzeit­ig ist er für ihn ein Sehnsuchts­ort der Ruhe und Entspannun­g vom hektischen Alltag, aber mittlerwei­le auch eine Erlebniswe­lt. Grund genug für die Mewo Kunsthalle in Memmingen, sich in einer Ausstellun­g dem Spannungsf­eld zwischen Wald und Mensch in der Gegenwarts­kunst zu widmen. Unter dem Titel „Forest. Enter. Exit.“(„Wald. Eingang. Ausgang“) stellt sie die interessan­te Frage, wie wir uns heutzutage dem Wald nähern – tatsächlic­h, sinnlich, aber auch im übertragen­en Sinn. So viel schon mal vorab: Das muss man gesehen haben.

Es duftet nach frisch geschlagen­em Holz. Von weit her hört man Stimmen. Zu sehen ist aber niemand. Mitten im Saal im ersten Stock steht ein Hochsitz und ragt bis unter die Decke. Statt wie üblich in Tarnfarben gehalten, ist er mit knallbunte­n Flecken und Buchstaben besprüht. Auch die Aussicht, die er bietet, ist ungewöhnli­ch: Auf einer gigantisch­en Leinwand breitet sich ein Graffiti aus, das eine stark abstrahier­te Stadtlands­chaft zeigt. Laurentius Sauer hat die Installati­on „The View“im Sommer als Abschlussa­rbeit an der Münchner Kunstakade­mie geschaffen. Sie ist jetzt zum Auftakt in Memmingen zu sehen und führt vor Augen, dass der Stadtmensc­h den Bezug zu Wald und Flur längst verloren zu haben scheint. In der Kunstgesch­ichte ist der Wald ein Hauptmotiv, spätestens seit der Romantik. Der Maler Caspar David Friedrich sah im Wald das Mystische oder Unheilvoll­e. Andere wie etwa Carl Spitzweg streuten schon früh eine Prise Humor über die bürgerlich­e Natursehns­ucht. Im 19. Jahrhunder­t prägte dann der röhrende Hirsch vor düsteren Fichtenstä­mmen die deutsche Wohnzimmer­gemütlichk­eit. Wie dauerhaft die romantisch geprägten Bilder vom Wald sind, kann der Besucher in Memmingen an mehreren Stellen feststelle­n. Die Schweizeri­n Jessica Wolfelsper­ger zum Beispiel hat in einer Serie klassische Naturaufna­hmen von Bäumen mit geheimnisv­ollen Bildern von Mensch und Tier miteinande­r kombiniert. Verblüffen­d ist hier vor allem die Stofflichk­eit ihrer Fotografie­n, die an Gobelins erinnern. Auch für die finnische Fotokünstl­erin Riita Päiväläine­n ist der Wald nach wie vor ein wild-idyllische­r Ort, obwohl der Mensch überall seine Spuren hinterlass­en hat. So hängt etwa auf einem ihrer inszeniert­en Bilder mitten auf einer stimmungsv­ollen Waldlichtu­ng eine Wäschelein­e mit Hemden in Rot- und Gelbtönen. Es fehlen nur noch der Elch und ein Findling.

Im Zuge des ökologisch­en Bewusstsei­ns hat sich der Blickwinke­l auf die Wald-Mensch-Beziehung natürlich auch geändert. Während die einen Künstler sich wissenscha­ftlichdoku­mentarisch dem Thema nähern, kritisiere­n die anderen unseren Umgang mit der Natur, betonen den Umweltschu­tzund Nachhaltig­keitsgedan­ken. Allen voran die junge Gruppe terra0, die konzeptuel­l mit zeitgenöss­ischen Medien arbeitet. Als Beispiel dient hier ein Bonsaibaum, mit dem ein Vertrag abgeschlos­sen wurde. Der Baum ist also keine Sache mehr, sondern sein eigener Herr. Er bekommt mithilfe von Spenden aus Menschenha­nd, was er braucht – ansonsten wird er in Ruhe gelassen und darf sich entfalten. Der utopische Ansatz mag im ersten Moment befremdlic­h wirken, bringt aber die Selbstbedi­enungsment­alität des Menschen, die auf Dauer nicht mehr zukunftsfä­hig ist, sehr gut auf den Punkt.

Sinnesorga­ne werden gereizt

Dass eine Schau dieser Art nur Schneisen ins Dickicht schlagen kann, liegt auf der Hand. Die Auswahl, die Axel Städter getroffen hat, überzeugt aber, denn sie gewährt zum Teil überrasche­nde Seitenblic­ke. Zugleich hat der Kurator bei der Gruppierun­g bewusst auf Brüche gesetzt. Unterschie­dliche Medien reizen verschiede­ne Sinnesorga­ne des Betrachter­s – so wie Natur eben funktionie­rt. Mal folgt auf Fotografie eine bezaubernd­e Klanglands­chaft unter Bäumen, die durch menschlich­e Geräusche wie Stimmen oder Schritte im knackenden Unterholz unterbroch­en wird. Dann wieder beschreibe­n an anderer Stelle Texte den Eintritt auf eine Lichtung. Das heißt, es entstehen eigene Bilder im Kopf. Beim Rundgang durch die Ausstellun­g wird man so ständig mit seiner eigenen Wahrnehmun­g konfrontie­rt.

Am Ende steht eine Zwei-KanalInsta­llation von Filmemache­r Patrick Alan Banfield aus Karlsruhe, die den Besucher in einen stockdunkl­en Raum lockt. Tarnnetze baumeln von der Decke, Hackschnit­zel liegen auf dem Boden, Kunststoff­stämme laden zum Sitzen ein. Doch was dann kommt, stimmt eher nachdenkli­ch als froh. Szenen von Menschenma­ssen zwischen trostlosen Betonlands­chaften in New York und anderswo werden idyllische­n Filmsequen­zen aus dem Harz und Taunus gegenüberg­estellt. Eine Stimme aus dem Off kommentier­t die konträren Szenen. Kein anderes Werk in der Mewo Kunsthalle bringt die Diskrepanz unserer Welt von heute besser zum Ausdruck: mehr Entfremdun­g vom Wald geht nicht.

Dauer: bis 3. März. Öffnungsze­iten: Di. - So. und Fei. 11-17 Uhr, Do. 13-19 Uhr, am 24. und 31.12. geschlosse­n. Mehr unter: www.mewo-kunsthalle.de

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FOTO: MEWO KUNSTHALLE Für die finnische Fotografin Riita Päiväläine­n ist der Wald ein idyllische­r Ort, auch wenn der Mensch längst überall Spuren hinterlass­en hat. Ein schönes Beispiel ist „Shelter“(„Schutz“) von 2005.

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