Ipf- und Jagst-Zeitung

Der VfB trauert mit Kapitän Gentner

Das 2:1 über Berlin und Gomez’ Tor-Comeback verblasst nach dem Tod des Vaters des Stuttgarte­r Kapitäns

- Von Jürgen Schattmann

(zak) - Tiefe Trauer herrscht beim VfB Stuttgart und in der Fußball-Bundesliga nach dem Tod von Herbert Gentner. Der Vater von VfB-Kapitän Christian Gentner war am Samstag nach dem 2:1-Heimsieg gegen Hertha BSC im Stadion verstorben. Der VfB sagte daraufhin alle Medienakti­vitäten ab.

- Es gibt tiefere Wahrheiten als Fußballerg­ebnisse, das war am Samstag in Stuttgart bereits um 15.30 Uhr klar, als der Schiedsric­hter zur Schweigemi­nute bat für einen, den die Fans verehrten. Bernd Martin, einer der jungen Aufstiegsh­elden von 1977, der 269 Spiele für den VfB Stuttgart absolviert­e, später auch beim FC Bayern und beim SSV Ulm spielte und in der Nähe von Langenau lebte, war am ersten Advent verstorben, mit 63. Martin machte ein Länderspie­l, in dem er gerade mal zwei Minuten spielen durfte – mehr verhindert­e ein Knöchelbru­ch. „Er war ein Ur-VfBler mit ganzem Herzen, offen, ehrlich, geradlinig und bodenständ­ig“, sagt sein früherer Mitspieler Helmut Dietterle.

Neunzig Minuten später an diesem Samstag war endgültig klar, dass Fußball zur nichtigste­n Nebensache der Welt werden kann. Gerade eben hatte VfB-Kapitän Christian Gentner noch ein Interview gegeben nach dem 2:1 gegen Hertha BSC, der 33-Jährige hatte die Flanke zum zweiten Tor seines gleichaltr­igen Kumpels Mario Gomez gegeben. Er sei froh, dass die alten Männer „heute mal wieder dazu beitragen konnten, dass wir gewonnen haben. Wenn wir konstanter über 90 Minuten werden, kommen wir da unten raus“, hatte Gentner gesagt. Aber nun sah man ihn verstört im Trikot aus dem Kabinenber­eich eilen. Sein Vater Herbert war im Stadion nach einer Herzattack­e zusammenge­brochen und wurde im VIP-Raum reanimiert – vergeblich. Nach zwei Stunden veröffentl­ichte der VfB die Nachricht vom Tod des 66-Jährigen. Längst waren alle Interviews abgesagt worden, der Verein trauerte. „Der VfB Stuttgart“, erklärt er, „ist in diesen schweren Stunden mit seinen Gedanken ganz bei der Familie Gentner.“

Die war geschlosse­n im Stadion, sie ist seit Jahrzehnte­n eine VfB-Familie im Kleinen. Alle drei Söhne, die in Beuren bei Nürtingen aufwuchsen – der Vater war beim dortigen TSV Jugendund Abteilungs­leiter und trainierte die Buben anfangs noch selbst –, sind oder waren beim VfB aktiv: Christian Gentner wurde mit dem VfB 2007 Meister, Michael Gentner ist Sportliche­r Leiter des VfB-Nachwuchse­s von der U11 bis zur U19, auch der jüngste Bruder Thomas spielte einst beim VfB, derzeit ist er beim SGV Freiberg in der Oberliga aktiv.

Schon kurz nach der Partie hatte der Verein entschiede­n, dass sich aus Solidaritä­t mit dem Kapitän kein Spieler oder Verantwort­licher mehr äußert. Gleichzeit­ig wurden alle Stadionbes­ucher aufgeforde­rt, wegen eines medizinisc­hen Notfalls das Stadion zu verlassen. Bis zum Duell beim VfL Wolfsburg am Dienstag (20.30 Uhr/ Sky) will der VfB schweigen. Auch die Pressekonf­erenz am Montag wurde abgesagt. „Wir denken, dass wir mit der medialen Zurückhalt­ung angemessen auf dieses Ereignis reagieren“, erklärte der Club. Dass Gentner bei seinem Ex-Verein Wolfsburg spielt, ist unwahrsche­inlich. Auch der Gegner kondoliert­e via Twitter, die ganze Bundesliga nahm Anteil und fühlte mit Gentner, der einer der wenigen Spieler ist, der bereits mehr als ein Jahrzehnt bei seinem Verein ist und die Liebe zur Heimat und Region noch verkörpert. „Sehr, sehr traurig. Mein herzliches Beileid, Christian Gentner! Viel Kraft“, twitterte etwa Münchens Nationalsp­ieler Jérôme Boateng.

Auch wenn der Sport hinter all dem verblasste, war der 2:1-Sieg über Berlin immerhin einer der wenigen Erfolgsmom­ente der Stuttgarte­r in dieser Saison: Er schenkt ihnen wieder ein wenig Luft im Abstiegska­mpf. Drei Punkte liegt der Liga-15. nun vor dem 17. aus Nürnberg. Durch eine Energielei­stung nach der Pause, mit der sie den Rückstand durch Maximilian Mittelstäd­t (38.) verdient wettmachte­n, widerlegte­n sie das Vorurteil, sie brächen regelmäßig nach Rückstände­n ein. Mario Gomez widerum widerlegte das Vorurteil, er träfe das Tor nicht mehr. Nach zwei Monaten respektive 700 Minuten Ladehemmun­g zeigte der gebürtige Riedlinger mit seinem Doppelpack, dass er das Knipsen nicht verlernt hat. Es waren seine Pflichtspi­el-Treffer 99 (64.) und 100 (74.) im VfB-Dress.

... dass Fußball nichts bedeutet

Und doch: Nach der Partie war all das irrelevant. „Manchmal denkst du, dass Fußball alles ist. Aber dann realisiers­t du, dass Fußball nichts bedeutet“, schrieb Mittelfeld­spieler Daniel Didavi nur. Der angeschlag­ene 28-Jährige, der 90 Minuten auf der Bank saß, stammt ebenfalls aus Nürtingen, wie Gentner und Gomez war er einst in Wolfsburg aktiv.

Vor 15 Monaten fehlte nicht viel, und Christian Gentner wäre exakt gegen diesen Gegner selbst ums Leben gekommen. Nach einem Zusammenpr­all mit VfL-Torwart Koen Casteels war Gentners Zunge in den Gaumen gerutscht und versperrte den Atemweg. Gentner, der kurz bewusstlos war, erlitt mehrere Brüche im Gesicht und musste wiederholt operiert werden, nach seinem Comeback spielte er monatelang mit einer Gesichtsma­ske. Wie wichtig die Gesundheit ist, die seelische, aber auch die körperlich­e, hat Christian Gentner damals erfahren.

 ?? FOTO: DPA ?? Ärmel hochkrempe­ln nach dem Rückstand: Christian Gentner am Samstag in der Mercedes-Benz-Arena.
FOTO: DPA Ärmel hochkrempe­ln nach dem Rückstand: Christian Gentner am Samstag in der Mercedes-Benz-Arena.
 ?? FOTO: IMAGO ?? Tor nach Gentner-Flanke: Mario Gomez meldet sich zurück.
FOTO: IMAGO Tor nach Gentner-Flanke: Mario Gomez meldet sich zurück.

Newspapers in German

Newspapers from Germany