„Die Lebensversicherung ist nicht tot“
R+V-Chef Rollinger über die liebste Geldanlage der Deutschen und Dürre-Policen für Bauern
- So gehetzt R+V-Chef Norbert Rollinger zum Interview im fünften Stock der Wiesbadener Konzernzentrale erscheint, so entspannt reagiert er auch auf kritische Fragen nach der bei vielen Deutschen beliebten und in Zeiten von niedrigen Zinsen immer unattraktiver werdenden Lebensversicherung. Benjamin Wagener hat nach dem Grund für die Gelassenheit gefragt und sich mit dem Manager darüber unterhalten, was die Bundesregierung machen müsste, damit sich Bauern gegen Dürreschäden versichern können.
Im Vergleich zu Konkurrenten stehen Sie als Anbieter von Lebensversicherungen sehr gut da. Woran liegt das?
Das liegt nicht zuletzt an unserer konservativen Geschäftspolitik, die sich insbesondere auch in der Finanzkrise bewährt hat. Uns nützt, dass wir zum genossenschaftlichen Finanzverbund gehören und daher mit dem Thema Kollektiv sehr gut umgehen können: Wir betrachten die Lebensversicherung nicht als Renditeinstrument, sondern als kollektive Altersversorgung über einen langen Zeitraum.
Ist die Lebensversicherung also nicht tot?
Nein, ganz und gar nicht. Die Lebensversicherung ist nicht tot. Aber sie wird seit Jahren totgeredet. Als wir hohe Zinsen hatten, hieß es, wer kauft denn noch Lebensversicherungen mit vier Prozent Garantiezins. Die Kritiker sagten damals: Es gibt doch Bundesanleihen, die bringen sieben Prozent. Die Käufer von damals lachen sich jetzt ins Fäustchen, denn sie bekommen für ihre Lebensversicherung auch heute ihren Garantiezins von vier Prozent. Wir stehen zu unseren Versprechen – egal zu welcher Zeit.
Wie erwirtschaften Sie die dafür erforderlichen Renditen?
Uns fällt es natürlich auch schwer, rentierliche Anlagen zu finden. Aber das ist die Kunst der Kapitalanlage: Wir legen professionell an, diversifizieren stark und gehen zunehmend auch in etwas exotischere Anlagen – zum Beispiel Infrastruktur-Investments, bei denen man in Häfen, in Flughäfen, in Leitungssysteme oder andere langfristige Infrastrukturmaßnahmen investiert, die auch entsprechende Renditen bieten.
Was tun Sie, wenn die EZB die Zinsen aber weiterhin auf dem aktuellen Niveau belässt?
Unser Portfolio ist darauf ausgelegt, dass wir über Jahrzehnte die Garantieverzinsung halten können. Aber ganz klar: Wir halten die Entwicklung für schlecht, weil sie Altersarmut produzieren wird. Für den Bürger ist es nicht mehr verständlich, warum er heute auf Konsum verzichten sollte für eine Anlage, die sich immer weniger rentiert. Damit werden Fehlanreize gesetzt. Deshalb gibt es zunehmend Forderungen, zu einem vernünftigen, marktgerechten Zins zurückzukommen. Und unsere Erwartung ist, dass das auch passiert.
Das Image der Lebensversicherer ist schlecht. Spüren Sie das?
Natürlich macht es uns nicht froh, dass ein Drittel der Lebensversicherer unter der Aufsicht der Regulierungsbehörde Bafin steht und dass diese bei einem langfristigen Niedrigzinsszenario wohl tatsächlich in Solvenz-Schwierigkeiten kommen könnten. Aber diese Unternehmen haben Produkte mit einem Garantiezins verkauft – und wenn man verantwortungsbewusst agiert, muss man auch ein langfristiges Niedrigzinsszenario in die Überlegungen einbeziehen und im schlimmsten Fall Eigenkapital nachschießen.
Oder an eine sogenannte Run-offGesellschaft verkaufen.
Wenn diese Unternehmen sagen, wir sind pessimistisch und gehen weiter von niedrigen Zinsen aus und stoßen das Lebensversicherungsgeschäft lieber ab, dann ist das zumindest rechtlich ein einwandfreies Geschäft.
Sie haben gesagt, dass die R+V einen solchen Schritt auf keinen Fall gehen wird.
Richtig, dazu stehen wir auch. Das Lebensversicherungsgeschäft lebt vom Vertrauen. Die Volks- und Raiffeisenbanken genießen hohes Vertrauen. Wir als Bestandteil der genossenschaftlichen Finanzgruppe ebenfalls – und wir kämen nicht auf die Idee, dieses Vertrauen der Kunden zu enttäuschen. Die Kunden haben bei uns abgeschlossen und sind davon ausgegangen, ihre Rente auch von uns zu bekommen.
Wenn Ihre Schwiegermutter eine Lebensversicherung bei einem Anbieter abgeschlossen hätte, der den Vertrag verkauft – müsste Ihre Schwiegermutter Angst haben?
Sie braucht keine Angst zu haben, dass die garantierte Verzinsung über die Laufzeit des Vertrages nicht bezahlt wird. Dafür sorgt die Finanzaufsicht Bafin. Sie prüft den Aufkäufer und macht ihm Auflagen, damit genügend Kapital da ist und dieser Vertrag mit der garantierten Verzinsung auch ausgezahlt wird. Punkt. Ob sie alle Überschüsse so bekommt, wie mit dem ursprünglichen Unternehmen vereinbart oder ob da nun mehr zum neuen Eigentümer verlagert wird, das kann ich nicht beurteilen.
Dieser Sommer war ein Sommer mit extremer Dürre. Wie blicken Sie als Versicherer auf dieses Jahr und die zunehmenden Unwetter?
Wir sehen, dass wir seit einigen Jahren mehr Geld reservieren müssen für Naturkatastrophen – und zwar vor allem für Hagel und Starkregen. Sturmtiefs mit Hagel hat es schon immer gegeben. Das Neue ist, dass viele Leute plötzlich von Starkregen betroffen sind, wenn in kurzer Zeit 50, 60 oder bis zu 100 Liter auf den Quadratmeter fallen – das überfordert jede Kanalisation.
Würden Sie für Hausbesitzer gegen solche Gefahren eine Pflichtversicherung befürworten?
In Baden-Württemberg gab es bis 1994 eine Pflichtversicherung gegen Naturkatastrophen, die auch Überschwemmungen abgedeckt hat. Aber wir halten Pflichtversicherungen eigentlich nicht für sinnvoll, weil sie erst einmal eine Einschränkung der Freiheit sind. Es wirkt wie eine Steuer, die man einführt.
Wie ist das zu verstehen?
Wir befürchten Fehlverhalten beim Kunden, der sich denkt: Schützen brauche ich mich nicht gegen Naturgefahren, das zahlt ja die Versicherung. Und jede Pflichtversicherung muss eine Standardversicherung sein, denn anders geht es nicht. Wir wollen jedoch auch berücksichtigen, wie ein Haus dasteht, wie es gesichert ist, was der Kunde schon in Eigenregie zum Schutz gemacht hat – und das wollen wir natürlich in der Prämie berücksichtigen.
Das gilt für Hausbesitzer. Gegen welche Schäden können und sollten sich Landwirtschaftsbetriebe absichern, die im Sommer am ärgsten betroffen waren?
Bei Tierhaltung können Bauern eine Ertragsschadensversicherung abschließen, für den Fall, dass die Tiere zum Beispiel eine Seuche bekommen. Eine große Gefahr sind auch Hagelschäden, gegen die es Hagelversicherungen gibt. Gegen Frost oder Dürre gibt es in Deutschland keine Versicherungen. Wir könnten das zwar versichern, die Prämien für solche Policen wären aber wesentlich höher als für Hagelversicherungen, weil Dürre oder Frost großflächig auftreten, Hagel dagegen zumeist lokal. Die Preise für die Policen wären Bauern zu teuer, weil ihr gesamter Gewinn pro Hektar in die Versicherungsprämien fließen würde.
Der Bauernverband fordert nun, dass der Staat sich an den Prämien beteiligen sollte. Was denken Sie?
Wir begrüßen das sehr. Wir stehen als Versicherungswirtschaft bereit, hier einen Versicherungsschutz zu bieten. Wir halten das auch für sinnvoll im Hinblick auf die europäischen Nachbarländer, die solche Zuschüsse gewähren. Die müssten übrigens bei 50 bis 60 Prozent der Prämie liegen.
Gibt es da zurzeit Gespräche?
Kurz vor Weihnachten tagen wir immer mit den Spitzenvertretern der deutschen Landwirtschaft, und wir haben eine solche Mehrgefahrenversicherung als einen Punkt auf der Agenda.
Sprechen Sie auch mit der Politik?
Wir führen aktuell keine Gespräche mit der Politik darüber, sondern wir sehen uns da eher als Unterstützer der deutschen Bauern. Wir werden mit versicherungsmathematischen Methoden kalkulieren, was das Konzept kostet.
Was die Dürre für Bauernhöfe ist, sind Hackerangriffe für die Industrie. Ist die Wirtschaft gegen solche Attacken abgesichert?
Das ist wie bei den Naturgefahren, ich kann da nur an alle Unternehmen appellieren, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, frühzeitig mit uns Kontakt aufzunehmen und sich entsprechend beraten zu lassen. Man sollte heute als Unternehmen nicht nur gegen Feuer und Haftpflichtschäden, sondern auch gegen Cyber-Attacken versichert sein.
Für Sie das Geschäftsfeld der Zukunft?
Es ist ein hochinteressantes Feld mit großen Zukunftschancen für uns, weil der Bedarf steigt und weil Dienstleistungen damit verbunden sind. Die Angriffe sind dramatisch, die Gefahr groß. Heute raubt der Ganove keine Bank mehr aus, sondern geht ins Netz.
Wie groß ist denn die Gefahr?
So groß, dass wir die Gefahren nicht immer vollständig absichern und tragen können. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei auch die Prävention und Schadensbegrenzung. Bei Cyber-Attacken reicht eben nicht einfach eine Geldzahlung, sondern es kommt auch darauf an, das Unternehmen zu beraten, wie man die IT sicherer machen oder im Falle eines Angriffs den Schaden eindämmen kann. In dem Feld arbeiten wir mit Dienstleistern zusammen. Aber klar ist, bei Cyber-Angriffen sind gewisse Restschäden nicht versicherbar. Was Rollinger zu Auto-Policen sagt und wann er Dieter Zetsche anrufen würde, um zu prüfen, ob der Daimler-Chef für einen Unfall verantwortlich ist, lesen Sie unter www.schwaebische.de/rollinger