„Historisch Handelnde sind immer Kinder ihrer Zeit“
„Brauner Conrad“contra „Bekennerbischof“: Gespräch mit Edwin Ernst Weber über Bischöfe in der NS-Zeit
- Die Kirche und ihre Vertreter haben sich in der Zeit des Nationalsozialismus sehr unterschiedlich gegenüber den Machthabern verhalten. Zwei Beispiele dafür gibt es im Südwesten mit dem Freiburger Erzbischof Conrad Gröber (1872 – 1948) und dem Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll (1870 – 1949). Die Gesellschaft Oberschwaben hat zusammen mit den beiden Diözesangeschichtsvereinen Freiburg und Rottenburg-Stuttgart diesen beiden Protagonisten eine historische Fachtagung in Meßkirch gewidmet. Wir haben mit Edwin Ernst Weber, Kreisarchivar und Leiter des Kreiskulturamtes Sigmaringen sowie Organisator der Tagung, über einige Ergebnisse gesprochen.
An Bischof Conrad Gröber scheiden sich bis heute die Geister. In seiner Heimatstadt Meßkirch gibt es Stimmen, die eine nach ihm benannte Straße umbenennen möchten. Was wird Gröber vorgeworfen?
Tatsächlich scheiden sich am Freiburger Erzbischof Conrad Gröber die Geister, übrigens auch in der Wissenschaft. Den einen gilt er als der „braune Conrad“, der aus einer deutschnationalen und antibolschewistischen Grundüberzeugung heraus unverblümt mit den Nazis paktiert hat. Und zwar von der Machtergreifung bis in die Kriegsjahre hinein. Er ist mit weiteren Angehörigen seines Domkapitels sogar Fördermitglied der SS geworden. Und bis in die Zeit der Juden-Deportationen in den Holocaust hat er Predigten mit wüsten antisemitischen Tiraden gehalten. Außerdem hat er angeblich regimekritische Diözesanpriester wie Max Joseph Metzger in der Verfolgung im Stich gelassen.
Aber was kann angesichts dessen für Gröber vorgebracht werden?
Es gibt schon Anhänger, die Gröber als überzeugungsstarken und wortgewaltigen Glaubensstreiter sehen, der mutig für die Freiheit seiner Kirche eingetreten sei. Sie verweisen darauf, dass er früh und entschieden in seinen Predigten die Morde an Behinderten verurteilt habe. Außerdem habe er Gertrud Luckner, die christliche Widerstandskämpferin, ideell und finanziell bei der Rettung von Juden unterstützt.
Eine schwierige Figur.
Ja, man muss eine Ambivalenz bei ihm konstatieren.
Joannes Baptista Sproll hat sich gegenüber der NS-Macht anders als Gröber verhalten. Was hat ihn bewegt, sich gegen die Nationalsozialisten dermaßen zu exponieren?
Im Unterschied zu Conrad Gröber scheint der Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll keine taktischen Zugeständnisse an den Nationalsozialismus gemacht zu haben, um die kirchliche Freiheit zu sichern. Auch während der Zeit des von den Nazis propagierten nationalen Aufbruchs 1933 und den Folgejahren nicht. Sproll beharrt in seinen Predigten und in seinem persönlichen Verhalten auf der Unvereinbarkeit von Christentum und Nationalsozialismus. Offen geißelt er die Verstöße des Regimes gegen die kirchliche Freiheit und gegen die Gebote der christlichen Humanität.
Was hat seine Verbannung ausgelöst?
Sprolls unverblümte Ablehnung des glaubensfeindlichen Regimes gipfelt in seiner Wahlenthaltung bei der Volksabstimmung über den „Anschluss“Österreichs und der Pseudowahl zum „Großdeutschen Reichstag“und zur „Liste unseres Führers“im April 1938. Die Nazis reagieren darauf mit inszenierten gewalttätigen Demonstrationen und Ausschreitungen in Rottenburg und schließlich der Verweisung Sprolls aus seiner Diözese.
Die Rolle Gröbers wie Sprolls wurde zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich bewertet. Welche Entwicklungen gab es in den Beurteilungen?
Die strittige Bewertung Gröbers zieht sich in wechselnder Intensität vom Kriegsende 1945 bis zur Gegenwart durch die wissenschaftliche wie auch die öffentliche Diskussion. Besondere Brennpunkte der kontroversen Debatte sind die Städte Meßkirch, Konstanz und Freiburg. Die hatten aufgrund biografischer Verbindungen den Erzbischof zum Ehrenbürger ernannt und mit Straßennamen und anderen Gedenkstätten geehrt.
Die Kontroverse um Gröber ist kürzlich weiter angefacht worden.
Der Sozialwissenschaftler Wolfgang Proske hat in seiner verdienstvollen Reihe „Täter – Helfer – Trittbrettfahrer“zu NS-Belasteten in Südwestdeutschland auch Conrad Gröber einen Beitrag gewidmet. Dort wirft er ihm auch noch die Denunzierung seiner angeblichen früheren jüdischen Freundin bei den NS-Behörden vor.
Doch die These wurde auf der Tagung nicht gestützt.
Das von Proske herangezogene Gröber-Dossier aus dem französischen Besatzungsarchiv in La Courneuve wird von dem Würzburger Kirchenhistoriker Dominik Burkard ganz anders gedeutet. Er hat den Text quellenkritisch analysiert. Demnach ist der Kirchenmann vielmehr von den Nazis denunziert worden. Und nach dem Krieg hätten kircheninterne Gegner Gröbers NS-Unterlagen benutzt, um den Erzbischof bei den französischen Besatzungsbehörden zu diskreditieren. Die NS-Verstrickung wurde instrumentalisiert im damaligen Streit um die (süd-) badische Verfassung und die vom Erzbischof abgelehnte Konfessionsschule.
Hat es bei Bischof Sproll gedauert, bis seine Verdienste gewürdigt wurden?
Beim eher spröden und im Unterschied zu Gröber wenig charismatischen und wortgewaltigen Rottenburger Bischof gibt es verschiedene Phasen, bis er als „Bekennerbischof“breiter wahrgenommen wurde – in der Öffentlichkeit und in der Kirche. Aktuell will die Diözese RottenburgStuttgart durch ein Seligsprechungsverfahren den mutigen Glaubenszeugen noch stärker in das Zentrum der Wahrnehmung rücken.
Die Tagung hat sich auch mit der Frage beschäftigt, wie die Erinnerung an den Nationalsozialismus in Zukunft aussehen kann oder muss.
Diesem Thema war eine eigene Sektion gewidmet. Der Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen, JensChristian Wagner, zum Beispiel plädierte für „Erkenntnis statt Bekenntnis“. In der Diskussion waren wir uns einig, dass historisch Handelnde immer Kinder ihrer Zeit sind, mit all den jeweiligen Begrenzungen und Pathologien. Gleichwohl müssen wir nach den Handlungsspielräumen fragen. Auch bei den beiden Bischöfen Gröber und Sproll. Beide stammten aus bescheidenen ländlichen Verhältnissen, aus dem badischen Meßkirch der eine, aus dem württembergischen Schweinhausen der andere. Prägend war zumal für Gröber die Erfahrung des Kulturkampfs in seiner Heimatstadt. Sie waren ganz ähnlich sozialisiert, auch kirchlich. Und doch haben sie ihre Spielräume gegenüber dem Nationalsozialismus in markant unterschiedlicher Weise genutzt.