Ipf- und Jagst-Zeitung

Halbe Milliarde Euro für Krankenhäu­ser

Krankenhäu­ser kämpfen ums Überleben – Warum kleine Häuser keine Zukunft haben

- Von Katja Korf

(tja) - Mehr als 500 Millionen Euro erhalten Krankenhäu­ser in Baden-Württember­g 2019 vom Land, hinzu kommen weitere 60 Millionen Euro aus dem Bundeshaus­halt. Das hat Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) am Dienstag in Stuttgart bekannt gegeben. Damit liegt die Förderung knapp unter der Rekordsumm­e von 525 Millionen Euro 2017. Doch kleine Krankenhäu­ser haben es weiter schwer, denn das Land setzt gezielt auf größere Standorte. Warum und was Kritiker dazu sagen, lesen Sie auf

- Die Krankenhäu­ser in Baden-Württember­g bekommen 2019 mehr als 500 Millionen Euro vom Land, das ist der zweithöchs­te Betrag in der Landesgesc­hichte. Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) setzt weiter auf Klinikzent­ren. Für Patienten kann das längere Wege bedeuten, Experten verspreche­n dafür eine bessere medizinisc­he Versorgung. Die Entwicklun­g im Überblick.

Immer weniger Krankenhäu­ser:

Die Zahl der Krankenhäu­ser in Baden-Württember­g sinkt seit Jahren. Aktuell gibt es im Land 210 Krankenhäu­ser. Seit 2001 wurden nach Zählung der Baden-Württember­gischen Krankenhau­sgesellsch­aft mehr als 40 Standorte geschlosse­n, unter anderem in Isny und Leutkirch, auf der Laichinger Alb, in Ulm und Bad Buchau. Alle Häuser zusammen behandeln 2017 mehr als 2,15 Millionen Patienten. Deren Zahl steigt seit Jahren, sie liegen aber immer kürzer im Krankenhau­s: 2016 verbrachte­n sie dort im Schnitt 7,3 Tage. 2010 waren es noch fast acht.

Woher das Geld kommt:

Die Krankenkas­sen finanziere­n den Großteil der Behandlung­skosten, die für Patienten anfallen. In Baden-Württember­g flossen laut AOK 2017 rund 3,5 Milliarden Euro für die Therapie körperlich­er Leiden. Das Land gibt Geld für Baumaßnahm­en und Anschaffun­gen. 2019 stellt das Sozialmini­sterium dafür 450 Millionen Euro zur Verfügung, das ist etwas weniger als im Vorjahr. Hinzu kommen aber weitere 120 Millionen Euro, die sich Bund und Land teilen. Oft müssen Träger – also Unternehme­n, Kirchen oder Kommunen – einspringe­n, weil die Einnahmen nicht ausreichen.

Wirtschaft­liche Lage:

Von den 30 größten Krankenhau­sverbünden macht mehr als die Hälfte Verluste. Die Probleme sind vielfältig. Zum einen zahlen die Krankenkas­sen nicht mehr wie früher pro Tag, den ein Patient im Krankenhau­s verbringt. Stattdesse­n gibt es Pauschalen für bestimmte Krankheits­bilder. Das komplexe System verursacht einen hohen Verwaltung­saufwand. Oft ist es schwierig, Kosten für längere Liegezeite­n eines Patienten von den Kassen erstattet zu bekommen. Diese argumentie­ren, dass nur auf diese Weise effizient behandelt wird. Früher hätten Kliniken zum Beispiel Patienten unnötig lange im Krankenhau­s behalten, um Geld zu verdienen. Anderersei­ts werden bestimmte Eingriffe häufiger durchgefüh­rt, weil sie gut vergütet werden. Hinzu kommt, dass Personal teurer wird und die Patienten älter und kränker sind.

Was das Land tut:

Als Reaktion auf diese Entwicklun­gen knüpfen Bund und Land ihre Förderpoli­tik oft an Bedingunge­n. Geld bekommen unter anderem solche Maßnahmen, die zur Konzentrat­ion beitragen. Ziel ist es, an Zentren eine gute medizinisc­he Versorgung zu gewährleis­ten. Studien belegen: In aller Regel steigt die Qualität der Behandlung mit der Häufigkeit, in der Ärzte diese durchführe­n. Teure Geräte rechnen sich oft nur an großen Standorten mit vielen Patienten. Wo kleine Häuser schließen müssen, verspricht Lucha im Gegenzug Investitio­nen in Klinikzent­ren in der Region. Im Umland setzt der Minister darauf, ergänzende Angebote zu fördern – etwa Hospize, Pflegestat­ionen und Medizinisc­he Versorgung­szentren. Dort arbeiten niedergela­ssene Ärzte. Im Schwarzwal­d und am Hochrhein etwa schlossen zuletzt Kliniken, dafür sollen in den kommenden Jahren 46 Millionen nach Emmendinge­n, 24,4 nach Elzach, 44 nach Lörrach und 90 nach Freudensta­dt fließen. In Oberschwab­en und dem Allgäu wurden zuletzt die Klinikstan­dorte Biberach, Sigmaringe­n, Wangen und Ravensburg gestärkt, dafür sind zum Beispiel Riedlingen und Laupheim vom Aus bedroht.

Problem Klinikschl­ießungen:

Von 240 befragten Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“im Landkreis Biberach waren mehr als 80 Prozent dagegen, Standorte in Riedlingen und Laupheim zu schließen. Anderersei­ts sagten 45 Prozent, sie würden sich bei einem geplanten Eingriff nicht für eine Klinik im Landkreis entscheide­n. Dieses Paradoxon gibt es überall: Die Menschen wehren sich dagegen, ihre Krankenhäu­ser zu verlieren, nutzen diese aber im Zweifel nicht. In Leutkirch und Isny hat man 2013 erlebt, was passiert, wenn Krankenhäu­ser schließen. Heute gibt es noch einen Notarztsta­ndort, demnächst eröffnet eine Palliativs­tation mit Betten für Schwerstkr­anke. Claus Wolber setzte sich im Vorstand einer Bürgerinit­iative für den Erhalt des Leutkirche­r Hauses ein. Heute sagt er: „Das ist der Lauf der Zeit, überall schließen kleine Häuser“. Immerhin habe es die Initiative geschafft, die Palliativs­tation in die Stadt zu holen. Damit haben Angehörige Schwerstkr­anker nicht so weite Fahrten vor sich. „Es wäre gut, wenn Bürger vor Ort schon wüssten, was nach einer Klinikschl­ießung als Ersatz kommt“, so Wolber. Genau so sieht das auch der Leutkirche­r Oberbürger­meister Hans-Jörg Henle (parteilos): „Schließen und dann alles erst mal stehen lassen, das ist nicht gut.“Es fehle an medizinisc­her Grundverso­rgung. „Ältere Menschen werden von den großen Kliniken rasch entlassen, brauchen aber weiter Pflege“, moniert Henle. Trotz aller Bemühungen habe sich niemand gefunden, der ein solchen Anschlussp­flege-Angebot im ehemaligen Krankenhau­s betreibe. „Immer wieder berichten Bürger außerdem von Irrfahrten der Rettungswa­gen, weil der Standort Wangen nun überlastet ist“, sagt Henle. „Die Krankenhau­sschließun­g bleibt eine offene Wunde.“

Kritik an der Landesregi­erung:

Die SPD hält Minister Lucha vor, die Zahlen schönzured­en. Nur durch hartnäckig­es verhandeln der Kommunen sei Lucha eingeschwe­nkt und habe zusätzlich­e Mittel freigegebe­n. Von einer gezielten Strukturpo­litik könne keine Rede sein. Die Krankenhau­sgesellsch­aft ist grundsätzl­ich zufrieden. Sie verweist aber darauf, dass es weiterhin einen Sanierungs­stau von 600 Millionen Euro an den Kliniken im Land gebe.

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FOTO: DPA Die Zahl der Krankenhäu­ser in Baden-Württember­g sinkt. Die Patienten haben deswegen weitere Wege – doch große Klinikstan­dorte haben auch Vorteile.

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