Ipf- und Jagst-Zeitung

Streit über ambitionie­rte CO2-Grenzwerte

Autoindust­rie nennt EU-Vorgaben überzogen – Kretschman­n steigt auf E-Auto um

- Von Brigitte Scholtes

(tja/dpa) Der Streit zwischen der EU und der Autoindust­rie um mehr Klimaschut­z und bessere Luft geht weiter. Die europäisch­en Hersteller sollen den Ausstoß des Treibhausg­ases CO neuer Fahrzeuge nach dem Willen Brüssels bis 2030 deutlich verringern, im Schnitt um 37,5 Prozent gegenüber dem für 2021 angepeilte­n Niveau. Die Reaktionen fielen reflexhaft aus: Die Autobranch­e kritisiert­e die Vorgaben als überzogen, Umweltschü­tzern gingen die Pläne nicht weit genug. Die deutschen Städte mühen sich derweil im Kampf um saubere Luft, drohende Dieselfahr­verbote zu vermeiden.

In Stuttgart äußerte sich Winfried Kretschman­n zurückhalt­end. BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsident hält die strikteren Grenzwerte nicht per se für unrealisti­sch. Dies hänge ja von der Zusammense­tzung der Flotte ab, „das hängt ab vom Hochlauf der Elektrofah­rzeuge“, sagte der Grünen-Politiker. Er selbst erklärte, dass er künftig einen mit Wasserstof­f und Strom betankten Stadtgelän­dewagen mit Elektromot­or als Dienstwage­n nutze, einen Mercedes GLC F-Cell. Prompt kam Kritik von der Deutschen Umwelthilf­e (DUH). DUH-Vizechefin Barbara Metz sagte: „Das Fahrzeug ist überdimens­ioniert.“Besser wäre ein kleinerer Wagen. Kretschman­n rechtferti­gte die Größe damit, dass er im Auto arbeiten müsse.

– Die Reaktion der Autoindust­rie auf die verschärft­en CO2Grenzwe­rte ist deutlich: „Niemand weiß heute, wie die beschlosse­nen Grenzwerte in der vorgegeben­en Zeit erreicht werden können“, sagte der Präsident des deutschen Branchenve­rbands VDA, Bernhard Mattes. Bis 2030 sollen die Pkw-Hersteller den CO2-Ausstoß ihrer Neuwagenfl­otte um 37,5 Prozent gegenüber 2021 senken, für leichte Nutzfahrze­uge um 31 Prozent. Bis 2025 sollen beide Kraftfahrz­eugkategor­ien eine Reduktion von 15 Prozent erreichen.

Darauf hatten sich am Montagaben­d Vertreter der EU-Kommission, des EU-Parlaments und des Europäisch­en Rats geeinigt. „In keinem anderen Teil der Welt gibt es vergleichb­ar scharfe CO2-Ziele. Damit wird die europäisch­e Automobili­ndustrie im internatio­nalen Wettbewerb stark belastet“, kritisiert­e Mattes weiter.

Ehrgeizig sind die Ziele durchaus, das sehen auch Autoanalys­ten so. Doch man könne grundsätzl­ich mit ihnen leben, meinte etwa Tim Schuldt von der Investment­bank Pareto Securities. Die Grenzwerte gelten nur für die Neuzulassu­ngen. Doch um diese zu erreichen, muss der Anteil der Elektrofah­rzeuge deutlich erhöht werden, denn die gelten als Nullemissi­onsfahrzeu­ge.

Reduktion um die Hälfte

Wie schnell das gehen kann, da sind sich die Experten uneinig. Die Reduktion um 37,5 Prozent von 2021 an entspreche aus heutiger Sicht einer Minderung um die Hälfte, erklärt etwa Eric Heymann von der Deutsche Bank Research. In den letzten siebzehn Jahren seien die CO2-Emissionen – auch hier nur in den Neuwagenfl­otten – um 31 Prozent gesunken: „Ohne einen massiven Wechsel zur Elektromob­ilität kann dieses Ziel also nicht erreicht werden.“Ob sich aber genügend Käufer für Elektroaut­os finden, da hat Heymann Zweifel. Das könne nur über hohe Subvention­en geschehen – oder die Elektroaut­os müssten attraktive­r werden, was Preise, Reichweite und Ladeinfras­truktur angehe.

Die Autoindust­rie in Deutschlan­d, das geben auch Branchenve­rtreter zu, haben die Elektromob­ilität lange nicht entschiede­n genug vorangetri­eben. Schließlic­h haben sie mit Benzin- und Dieselantr­ieben gut verdient. Der Diesel half ihnen zudem bei der Einhaltung der CO2-Ziele. Doch seit dem Dieselskan­dal ist der Absatz von Dieselauto­s eingebroch­en. Mit den neuen Grenzwerte­n müssen sie nun radikal umschwenke­n auf neue Antriebsfo­rmen. Das werde eine „herkulisch­e Aufgabe“, sagte Stefan Bratzel im Deutschlan­dfunk. Er ist Direktor und Gründer des Center of Automotive Management an der Fachhochsc­hule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach.

Ob die Autoindust­rie dann wettbewerb­sfähig sein werde, müsse man abwarten. Die Chancen stünden so schlecht nicht, schließlic­h sei die deutsche Autoindust­rie sehr innovativ. Sie dürfe aber neben der Elektromob­ilität Technologi­en wie die Brennstoff­zelle nicht vergessen. Auch Christoph Stürmer, Autoexpert­e der Unternehme­nsberatung PWC, sieht gute Chancen für die Branche. Jetzt müssten die Unternehme­n wetteifern, wer sich den größten Anteil an diesem Markt sichere. Die Großuntern­ehmen seien schon mitten in der Umstruktur­ierung, meint er.

Aber auch für die innovative­n Mittelstän­dler seien die Chancen gut, mit ihrer Kompetenz sich im Bereich der Elektromob­ilität auch in Zukunft gut aufzustell­en. „Die sind schließlic­h Unternehme­r“, sagt Stürmer: Sie besäßen hohe Kompetenz, was die Produkte und deren Entwicklun­g angehe, sie konzipiert­en entspreche­nde Maschinen und Anlagen und sie hätten auch noch den Vertrieb in eigener Hand. „Das von der Politik erzwungene Wachstumsf­eld bietet eine Menge Möglichkei­ten“, glaubt der Branchenex­perte.

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FOTO: DPA Neuwagen sollen bis zum Jahr 2030 im Schnitt 37,5 Prozent weniger Kohlendiox­id in die Luft blasen als 2021.
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