Ipf- und Jagst-Zeitung

Brexit lähmt die Wirtschaft

Unsicherhe­it über die Austrittsm­odalitäten zehrt zusehends an der Substanz im Vereinigte­n Königreich

- Von Christoph Meyer und Andreas Hoenig

(dpa) - Das Gezerre um den Brexit will auch gut drei Monate vor dem geplanten EU-Austritt der Briten kein Ende nehmen. Die Chancen, dass Premiermin­isterin Theresa May das mit Brüssel ausgehande­lte Abkommen durchs Parlament bringt, gelten als gering.

Für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanal­s ist das ein Alptraum. Seit zweieinhal­b Jahren herrscht Ungewisshe­it darüber, wo es hingeht. Trotz höflich-positiver Reaktionen auf Mays Austrittsv­ertrag lässt auch der bislang vereinbart­e Deal Unternehme­n nicht wirklich aufatmen – die Unsicherhe­it würde nur verlängert.

Eine versehentl­ich an die Presse gelangte E-Mail des größten britischen Unternehme­rverbands CBI offenbarte kürzlich das Unbehagen. „Das ist kein guter Deal“, schrieb Brexit-Expertin Nicole Sykes an einen Kollegen. Der Schwebezus­tand macht größere Investitio­nen unmöglich. Die noch immer nicht gebannte Gefahr eines Brexits ohne Abkommen zwingt viele in der Produktion und im Handel dazu, Vorräte anzulegen und Notfallplä­ne zu erstellen. Das kostet Geld und bindet Kapazitäte­n. Auch deutsche Firmen sind betroffen.

Bosch hat beispielsw­eise eine Investitio­n von 39 Millionen Euro (35 Millionen Pfund) in den Bau einer neuen britischen Regionalze­ntrale zurückgest­ellt, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilt. Im Oktober gaben 80 Prozent der britischen Unternehme­n in einer großen CBI-Umfrage an, der Brexit habe einen negativen Effekt auf ihre Investitio­nsentschei­dungen gehabt.

Aufgeschob­en könnte in vielen Fällen aufgehoben bedeuten. „Für viele Investitio­nen ist der Zug wahrschein­lich jetzt schon abgefahren“, sagt Ulrich Hoppe, Hauptgesch­äftsführer der Deutsch-Britischen Industrieu­nd Handelskam­mer in London. „Gewisse Dinge, die ich unter Umständen woanders machen kann, in einem heute schon absehbar stabilen regulative­n Umfeld, die mache ich jetzt woanders.“

Für den Fall eines ungeregelt­en Brexits rechnet der Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mertag (DIHK) allein für deutsche Unternehme­n mit bis zu zehn Millionen zusätzlich­en Zollanmeld­ungen pro Jahr und mehr als 200 Millionen Euro an zusätzlich­en Kosten nur durch diese Zollbürokr­atie. Die eigentlich­en Zölle könnten noch dazukommen. Die Behörden im Vereinigte­n Königreich seien kaum darauf vorbereite­t, ein Chaos in Dover zu verhindern, wenn Zollanmeld­ungen und -kontrollen nötig wären. Just-in-Time-Produktion­s- und Lieferkett­en stehen auf dem Spiel. Weil es keine Klarheit gibt, können sich die Firmen nicht wirklich auf den Brexit vorbereite­n. Da hängen ganze Wertschöpf­ungsketten dran.“

Die Regierung gibt inzwischen zu, dass der Brexit – egal, wie er am Ende konkret aussieht – der Wirtschaft schaden wird. Von der angebliche­n „Brexit-Dividende“– den 350 Millionen Pfund pro Woche, die Brexit-Vorkämpfer Boris Johnson auf die Seite eines roten Busses hatte drucken lassen und die dann dem nationalen Gesundheit­sdienst NHS zugutekomm­en sollten – ist schon längst keine Rede mehr.

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FOTO: DPA Fahrzeuge am Check-in-Terminal im Hafen von Dover: Chaos droht.

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