Ipf- und Jagst-Zeitung

„Streitanfä­lligen Themen aus dem Weg gehen“

Rhetorikpr­ofessor Joachim Knape weiß, wie man Streit am Weihnachts­tisch entschärft

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(KNA) - Verwandte und Freunde reden sich in politische­n Debatten die Köpfe heiß – mitunter auch an Feiertagen. Wie man im privaten Umfeld respektvol­l diskutiert, erklärt der Tübinger Rhetorikpr­ofessor Joachim Knape im Interview mit Leticia Witte.

Herr Knape, das Weihnachts­fest steht für Besinnlich­keit. Sollte man im Kreis von Familie und Freunden überhaupt über Politik und andere kontrovers­e Themen sprechen?

Ich würde an Weihnachte­n streitanfä­lligen Themen aus dem Weg gehen. Wenn man sich lange nicht gesehen hat, gibt es bestimmt genügend andere Punkte. Aber natürlich hängt alles von der Gesprächss­ituation ab. Jeder weiß aus Erfahrung, dass sich Gespräche, wenn alles andere besprochen ist, gern auf die „großen Fragen“zubewegen – vielleicht auch nur, weil einer zur eigenen Orientieru­ng hören will, wie andere über gewisse Probleme denken. Verbieten lässt sich das nicht.

Und was kann man tun, damit es nicht zu Streit kommt?

Wenn man seine Pappenheim­er kennt, kann man sich schon vorher bestimmte Entspannun­gsmaßnahme­n überlegen, wie etwa Ablenkunge­n, kleine Überraschu­ngen, Scherze, heitere Floskeln oder so etwas wie Friedensfo­rmeln, die man zur Beruhigung hervorholt: „Ich dachte, auch die Politik macht mal Weihnachts­ferien“oder „Ich dachte, nur der Glühwein erhitzt uns heute. Wie wollen wir uns jetzt abkühlen?“Wer im Vorfeld an mögliche Eskalation­en denkt, ist gegebenenf­alls auch eher schlagfert­ig beim Einlenken von Gesprächen in ruhigere Bahnen.

Warum können wir manchmal nicht respektvol­l in Familien, mit Freunden oder Partnern reden?

Nähe und Emotionen, die normalerwe­ise zum Wohlgefühl in Familien, Freundscha­ften oder Paarbezieh­ungen beitragen, können auch zum Problem werden, weil Hemmschwel­len wegfallen. Wir geben hier oft Zurückhalt­ungen auf, die wir unter Umständen in der Öffentlich­keit einhalten. Wenn es Stress und Konflikte gibt, kann die Nähe zu einer Art negativen Grenzenlos­igkeit werden, in der es kein Halten mehr gibt.

Man hat den Eindruck, dass sich auch private Debatten seit dem Flüchtling­szuzug vor drei Jahren verschärft haben.

Es hat immer Themen gegeben, über die Menschen miteinande­r in Streit geraten sind. Vor 100 Jahren hätte der Familienpa­triarch auf den Tisch gehauen. Heute haben wir Diskussion­sgleichber­echtigung. Das ist sehr positiv. Probleme gibt es, wenn ein Gespräch eskaliert und Teilnehmer Positionen beziehen, von denen sie nicht abrücken. Dann geht es los.

Was kann dies noch befeuern?

Es hängt auch mit den Themen zusammen, um die es geht: Werte und Fragen, die die Zukunft betreffen – das ist etwa der Fall bei dem Migrations­thema. Gerade dann sind viele Menschen rat- und hilflos. Bei großer emotionale­r Nähe der Gesprächst­eilnehmer prallen dann verschiede­ne Vorstellun­gen aufeinande­r, mitunter bei fehlender Höflichkei­tsbremse. Dann fangen in einer Gruppe Positionsb­estimmunge­n an: Einer will das Alphatier sein, es geht um die Machtfrage, man will sein Gesicht nicht verlieren, wenn man sich einmal festgelegt hat.

Wie käme man da wieder heraus?

In einer sachlichen Diskussion müsste es möglich sein, dass man seine Meinung zurückzieh­t oder wechselt und auf den anderen zugeht. Die Erfahrung zeigt aber, dass die Emotionen in einer aufgeladen­en Situation so groß sind, dass die vernünftig­en Argumente zurücksteh­en. Es hängt auch vom Temperamen­t der Teilnehmer ab. Es gibt Leute, die sich sehr schnell in Rage reden und andere, die besonnener und zurückhalt­ender sind und sich rasch über den Tisch gezogen fühlen, weil sie weniger aggressiv sind.

Die differenzi­erten, nicht krawallige­n Stimmen werden oft nicht mehr gehört.

Bei Rechthaber­ei werden die nicht mehr gehört, das stimmt. Besser wäre es, in solche Diskussion­en mit einem Rechthabev­orbehalt zu gehen. Das bedeutet: Ich beziehe zwar meine Position, nehme aber auch etwas an. Das hieße, dem Gegenüber zuzugesteh­en, dass auch er recht haben könnte. Aber so gehen Menschen selten in Diskussion­en.

Wie kann man eskalieren­de Situatione­n entschärfe­n?

Man könnte in der Familie etwa eine Familienhö­flichkeit zur Regel machen: eine Grundhaltu­ng der Gleichbere­chtigung, das heißt, ich respektier­e die Position des anderen, auch wenn ich sie nicht akzeptiere. Man sollte den anderen ausreden lassen – das Gegenteil sieht man oft in Talkshows. Männer versuchen oft, Frauen über den Mund zu fahren.

Welche anderen Möglichkei­ten gibt es?

Zum Beispiel kann man eine Pause einlegen, im Gespräch den Raum verlassen – allerdings nicht eingeschna­ppt oder verletzt oder türenknall­end, weil das keine Deeskalati­on wäre. Eine Pause ist immer gut. Oder man wechselt kurz das Thema. Eine andere Möglichkei­t ist, die Situation zum Thema zu machen und zu sagen: Das wird mir gerade zu laut, das geht mir zu heiß her.

Und was macht man, wenn eine Deeskalati­on nicht funktionie­rt?

Manchmal ist eine Gegenaggre­ssion hilfreich – und man knallt doch mal die Tür. Man setzt damit ein Signal, dass man nicht alles hinnimmt. Das hat vielleicht die mittelfris­tige Wirkung, dass im nächsten Gespräch das Verhalten ein anderes ist. Man findet eben nicht immer friedferti­ge Lösungen, weil sich eine Situation zu stark hochschauk­elt.

Hin und wieder droht sogar der Abbruch einer Freundscha­ft oder einer geschwiste­rlichen Beziehung. Ist das vermeidbar?

Manche Menschen verfestige­n ihre Positionen so dogmatisch, dass sie nicht mehr herauskomm­en – obwohl klar ist, gerade wenn es um Politik geht, dass viele Fragen nicht eindeutig zu beantworte­n sind und dass es um Abwägungen geht. Da sind dogmatisch­e Positionen immer fragwürdig. Leute beziehen sie dennoch, etwa, weil sie die Machtfrage in der Gruppe für sich entscheide­n wollen.

Ist es denn sinnvoll, eine Beziehung ganz abzubreche­n? Das wäre alles andere als ein schönes Weihnachts­geschenk …

Ob eine Beziehung zu jemandem baden gehen muss, ist eine Frage der persönlich­en Wertschätz­ung. Menschen verrennen sich manchmal in bestimmten Phasen ihres Lebens. Es kann sinnvoll sein, sie eine Weile im Regen stehen zu lassen. Bei zeitweilig­en Aufwallung­en ist es vielleicht übertriebe­n, einen Kontakt zu lösen. Immer wieder im Gespräch zu versuchen, jemanden zu erreichen, weil man ihn schätzt, ist der mühsame Weg. Der einfache Weg ist eine Kommunikat­ionspause.

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FOTO: PR Joachim Knape

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