Schuld sind für Putin immer die anderen
Russlands Präsident nutzt seine Jahrespressekonferenz für Breitseiten gegen den Westen
- Wladimir Putin ist immer trefflich gelaunt, wenn er sich der Öffentlichkeit stellt. Er bringt meist auch gute Kondition und Ausdauer mit. Die 14. Jahrespressekonferenz im Moskauer Internationalen Handelszentrum brach zwar nicht den Rekord von vier Stunden und mehr als 40 Minuten aus dem Jahr 2008. Mit drei Stunden vierzig war es für den 66-Jährigen doch ein Achtungserfolg. Für Rekorde sorgten hingegen die Korrespondenten: 1702 hatten sich angemeldet, das waren so viele wie nie zuvor. Das Bild ist stimmig, zumindest für den Präsidenten. Wladimir Putin hat in letzter Zeit nichts eingebüßt von seiner Anziehungskraft. Auch wenn Wahlergebnisse und Proteste in manchen russischen Regionen andere Interpretationen zumindest nahelegen.
Putin will in die Top 5
Putin nutzte die Jahrespressekonferenz für eine massive Breitseite gegen den Westen. Der Westen fühle sich von einem immer mächtiger werdenden Russland bedroht, sagte der Präsident. Er wolle Russland in seiner Entwicklung bremsen, auch Sanktionen stünden „in Zusammenhang mit Russlands zunehmender Macht“. Den Russen sagte er indes zu, das Land in die Top fünf der stärksten Volkswirtschaften befördern zu wollen. „Ein mächtiger Player tritt in Erscheinung, der ernst genommen werden muss“, sagte der Staatschef. „Bis zuletzt dachte man, dass es so ein Land nicht länger gibt.“
Spionagevorwürfe des Westens gegen sein Land bezeichnete Putin als Vorwände, mit denen der Westen Russlands Entwicklung bremsen wolle. Mit Blick auf die Vergiftung des russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter in Großbritannien sagte Putin: „Wenn es nicht die Skripals gewesen wären, hätten sie sich was anderes ausgedacht. Das Ziel ist simpel: die Entwicklung Russlands zu behindern, das als möglicher Konkurrent gesehen wird.“
Putin warnte zudem vor der wachsenden Gefahr eines Atomkriegs. Der könne zur „Vernichtung der ganzen Zivilisation führen, wenn nicht gar des ganzen Planeten“, warnte Putin – und ergänzte: „Gott behüte“. Ganz so, als hätte Russland mit der Verschärfung der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland selbst nichts zu tun. Außerdem bedauerte er, dass nach der Aufkündigung des INF-Vertrags zur Vernichtung von Mittelstreckenraketen keine Gespräche mehr stattfänden, die die Raketenrüstung eingrenzten. Dafür seien vor allem die USA verantwortlich. Und noch etwas stimme nachdenklich: die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen sinke, klagte der Kremlchef. Nun ist es aber Russland, das die Möglichkeit eines lokalen Einsatzes nuklearer Waffen geringer Reichweite zumindest theoretisch erwog. Die konventionelle Rüstung Russlands ist der des Natobündnisses nicht mehr gewachsen.
Auch in Sachen Demokratie sieht Putin Probleme nur im Westen: Dort werde, sagte der Präsident, der Wählerwillen nicht respektiert. So wolle das politische Establishment im Westen weder den Wahlsieg von USPräsident Donald Trump noch das Brexit-Referendum anerkennen. „Sie wollen Trumps Sieg nicht anerkennen, das ist eine Missachtung von Wählern“, sagte Putin. „Es ist das Gleiche in Großbritannien: Der Brexit ist geschehen, aber niemand will ihn umsetzen. Sie erkennen Wahlergebnisse nicht an, demokratische Abläufe werden abgeschwächt.“
Begonnen hatte der Kremlchef die Konferenz wie immer mit einem Vortrag über die statistischen Erfolge der russischen Wirtschaft. Insgesamt zeige sie ein positives Bild. Die Realeinkommen der Bevölkerung seien 2018 um ein halbes Prozent gestiegen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) verspreche gegen Jahresende ein Wachstum von 1,8 Prozent. Auch die Arbeitslosigkeit sei auf einem Rekordtief. Mit der Arbeit der Regierung, die dafür verantwortlich ist, war der Kremlchef zufrieden.
Eine geschönte Wahrnehmung
Nächtelang wäre bei Wladimir Putin das Licht nicht ausgegangen, berichteten kremlnahe Medien. Stundenlang hätte sich der Staatschef durch Akten und Berichte der Ministerien gegraben, um ein richtiges Bild des Landes zu erhalten.
Was auf den ersten Blick herauskam, war zumindest eine geschönte Wahrnehmung der Wirtschaft. Wladimir Putins Persönlichkeit lässt es nicht zu, Verschlechterungen zuzugeben. Das wäre ein Eingeständnis eigener Schwäche. Weder das Realeinkommen der Bevölkerung wächst noch sieht die Zukunft rosig aus, meldeten andere russische Medien. Auch die Auswirkungen der Sanktionen anderer Staaten auf Russlands Wirtschaft – die aus Sicht des Kreml wie Wachstumsmotoren wirken – stellen sich näher besehen nicht nur vorteilhaft dar.
Doch der Präsident blieb jener Maxime treu, das Positive herauszustreichen. Er kann sich das auch erlauben, weil ihn selten jemand mit der Differenz zur Wirklichkeit konfrontiert.