Emotionaler Abschied von der Steinkohle
Viele Tränen bei der Schließung der letzten deutschen Zeche – „Historischer Moment“
(dpa/epd/AFP) - Das schwarze Gold in der Tiefe hat das Ruhrgebiet wie kaum eine andere Region Deutschlands geprägt. Zu Hochzeiten in den 1950er-Jahren arbeiteten in den Zechen gut 600 000 Menschen, 1960 holten die Bergleute in 146 Zechen 142,3 Millionen Tonnen Kohle aus der Erde. Am Freitag endete nun nach mehr als 200 Jahren eine Ära: Die letzte Steinkohlezeche Deutschlands, Prosper-Haniel in Bottrop, wurde feierlich und für immer geschlossen. „Wir sind hier, auf Prosper-Haniel, Zeugen eines historischen Augenblicks“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Festakt.
Der sichtlich bewegte Reviersteiger Jürgen Jakubeit hatte dem Staatsoberhaupt zuvor das etwa sieben Kilogramm schwere letzte Kohlestück aus der Schachtanlage im nördlichen Ruhrgebiet überreicht. Für die Bergleute sei das „ein Tag der Trauer“, sagte Steinmeier bei dem emotionalen Schlussakt am Förderturm der Zeche. Viele der versammelten Bergleute hatten Tränen in den Augen. „Heute ist ein schwarzer Tag“, erklärte auch Peter Schrimpf, der Chef des Bergbaukonzerns RAG. Die Steinkohleförderung in Deutschland werde „endgültig und unwiderruflich“eingestellt. „Diesen Schlusspunkt zu setzen, fällt jedem Bergmann schwer“, sagte Schrimpf.
Mit dem Abschied von der Steinkohle ende ein „wichtiges und wesentliches Stück deutscher Geschichte“, betonte auch Bundespräsident Steinmeier. Die große Wirtschaftsmacht, zu der Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts geworden sei, wäre ohne die Kohle und den Bergmann undenkbar gewesen. Auch die Wurzeln der Europäischen Gemeinschaft lägen im Bergbau, sagte Steinmeier mit Blick auf die 1952 gegründete Montanunion, einem wichtigen Vorläufer der EU. Der Bundespräsident erinnerte aber auch daran, dass Kohle und Stahl aus dem Ruhrgebiet eine Kriegsmaschinerie befeuert hätten, die ganz Europa mit Tod, Vernichtung und Zerstörung überzogen habe.
Bei aller Emotionalität bleiben für die Region große Probleme zurück: Allein 2019 werden einige Hundert Kumpel unter Tage mit der Abwicklung und Beseitigung der Folgeschäden beschäftigt sein. Auch wird es im Zuge des Anstiegs von Grubenwasser im gesamten Ruhrgebiet zu Geländeanhebungen kommen. Langfristig wird mit Gebäudeschäden in zweistelliger Millionenhöhe gerechnet.
BOTTROP (dpa) - Viele Politiker, Manager, Gewerkschafter sind an diesem Tag zur Zeche gefahren, um Abschied zu nehmen von einer Ära, einem der wichtigsten Kapitel deutscher Industriegeschichte: Nach rund 200 Jahren industriellem Steinkohlebergbau stellt die letzte deutsche Zeche offiziell ihre Förderung ein.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist gekommen. Ebenso EU-Kommissionspräsident JeanClaude Juncker und NordrheinWestfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Direkt am Förderturm von Schacht Haniel stehen sie in einer Halle zusammen mit mehreren Hundert weiteren Ehrengästen und warten auf den letzten symbolischen Akt.
Die Stimmung ist gedämpft. Wenige sprechen miteinander. Die Gesichter sind ernst und angespannt. In seiner Rede erinnert der RAG-Vorstandsvorsitzende Peter Schrimpf an den Toten in Ibbenbüren und an die 13 Toten vom Donnerstagabend bei einem Grubenunglück in Tschechien, eine Schlagwetterexplosion in 880 Metern Teufe, wie der Bergmann sagt, wenn er Tiefe meint. Es ist ganz still, als sich dann das armdicke Stahlseil im Schacht in Bewegung setzt und einen Förderkorb nach oben zieht. Es scheppert und rasselt und dauert ein bisschen, bis die acht Bergleute in dem Korb über Tage sind. Zuletzt tritt Reviersteiger Jürgen Jakubeit aus der Kabine, ein stattliches, sieben Kilogramm schweres Stück Kohle in der Hand, das allerletzte in Deutschland geförderte Stück. Um 16.19 Uhr übergibt er es an Steinmeier.
Der Bundespräsident hebt den Zusammenhalt und die Solidarität unter Tage hervor und spricht von dem Respekt, der den Bergleuten gebühre, die auch für einen Teil des Wohlstandes in Deutschland gesorgt hätten. Er hoffe, dass dies auch in den revierfernen Regionen nicht vergessen werde. In seiner Festrede fragt Steinmeier später rhetorisch, ob sich in den Milliarden Steuergeldern für den Bergbau nicht auch so etwas wie der Dank des Vaterlandes ausdrücke. Für die, die 1000 Meter unter der Erde in Hitze, Dreck und ständiger Gefahr Gesundheit und Leben riskiert haben.
Steinmeier erinnert an die vielen Zugewanderten aus Deutschland und Europa, aus Nordafrika und Korea, die im Steinkohlenbergbau Arbeit fanden. Und er erinnerte an die Frauen der Bergleute, die „unbesungene Heldinnen“seien, deren Arbeit nicht weniger hart war. „Denken wir nur an die ewige, tagtägliche Mühe, die Wohnung und die Fenster und Kleidung sauber zu halten, inmitten des schwarzen Staubs.“
Und jetzt? „Es gibt hier viele, viele Voraussetzungen für eine gute Zukunft hier in der Region. Das Wichtigste sind die Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen, die in jedem Abschied auch einen neuen Anfang sehen“, sagt der Bundespräsident.