Hoffen und zweifeln vor dem zerbrochenen Altar
Die irakische Dominikanerschwester Nazik Matty über die schwierige Lage der Christen in Kurdistan
ERBIL - Die Dominikanerschwestern in der kurdischen Hauptstadt Erbil haben Angst: „Angst vor der Rache der Terrormiliz IS“, sagt Schwester Nazik Matty, „darum ist unser Konvent völlig unauffällig in einem Reihenhaus untergebracht, nichts deutet daraufhin, dass hier sieben Ordensschwestern leben.“Über das Trauma von Flucht und Vertreibung im Jahr 2014, als der IS die seit fast zwei Jahrtausenden von Christen besiedelte Ninive-Ebene überfiel, Dörfer niederbrannte, Frauen und Mädchen verschleppte und die Männer ermordete, spricht die 43-jährige promovierte Theologin mit leiser, aber klarer Stimme. Und sie resümiert: „Wir haben das Vertrauen in die Regierung und in unsere Nachbarn komplett verloren, wissen nicht, wer uns schützt, wohin wir gehören oder wohin wir gehen sollen.“
Etwa 120 000 Christen mussten 2014 fliehen. Viele von ihnen fanden rund um die kurdische Stadt Erbil Zuflucht. In den Folgejahren gingen viele Christen ins Ausland. Der IS war vor über einem Jahr aus der nordirakischen Stadt Mossul und der benachbarten Ninive-Ebene vertrieben worden.
73 Dominikanerschwestern lebten vor dem IS-Überfall in sieben Häusern in der Ninive-Ebene, allein in der von Christen geprägten 60 000-Einwohner-Stadt Karakosch gab es drei Niederlassungen des Ordens: „Doch jetzt ist alles kaputt“, sagt Nazik Matty, „wir alle brauchen Geduld, wenn es um die Rückkehr geht.“
Konkret beschreibt Schwester Nazik: „Unsere muslimischen Nachbarn, mit denen wir früher friedlich zusammengelebt haben, stehlen uns jetzt alles!“Es gebe nach wie vor Spannungen zwischen Muslimen und Christen: „Wir werden gefragt, warum wir wieder da sind! Sogar Kinder schreien uns hinterher und beleidigen uns: ,Ungläubige!‘ Dabei sind wir Christen seit fast 2000 Jahren in der Ninive-Ebene zuhause!“
Ende Juli 2018 waren zwar 45 Prozent der einstigen Bewohner in die Ninive-Ebene zurückgekehrt und über ein Drittel der über 11 000 ganz oder teilweise zerstörten Gebäude waren wieder instand gesetzt. Viele christliche Assyrer, Chaldäer und Aramäer könnten aber nicht in ihre Heimat zurückkehren, weil die Mittel „für den Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser fehlen“, sagt Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker. Wenn die Menschen nicht zurückkehrten, bestehe allerdings die Gefahr, dass leer stehende Gebäude und Grundstücke von anderen in Besitz genommen würden, so Sido.
Kirchenvertreter vor Ort berichteten, dass weitere 2000 Familien gern zurückkehren würden, aber dringend mehr Hilfe und Sicherheitsgarantien benötigten. Insgesamt sei die Zahl der Christen im Irak von 275 000 im Jahr 2015 auf etwa 150 000 zurückgegangen, heißt es.
IS versteckt „Schläfer“
Immer noch vermuten Sicherheitskreise 3000 bis 4000 sogenannte „Schläfer“im Nordirak: IS-Terroristen, die unter der Zivilbevölkerung leben und bei Bedarf wieder aktiv werden. Wie Matty beklagen daher auch die Bischöfe des Landes große Sicherheitsmängel: „Ohne Sicherheit und Arbeitsplätze wird kein Christ im Irak bleiben“, sagte Timothy Mosa Alshamany, syrisch-orthodoxer Erzbischof von Antiochien, der Hilfsorganisation „Kirche in Not“. Alshamany appelliert an die Weltgemeinschaft, ihrer Verantwortung nachzukommen: „Es sollte eine internationale Friedenstruppe in der Ninive-Ebene stationiert werden. Wir wollen eine Garantie, dass unsere Freiheit und Sicherheit gewährleistet werden.“
Doch können Streitkräfte das friedliche Zusammenleben im Alltag garantieren? Wohl nicht: „Wir Christen werden, auch nach unserer Rückkehr, schon wieder zu Opfern, unsere Schritte zur Versöhnung werden von den muslimischen Nachbarn einfach nicht akzeptiert“, berichtet Schwester Nazik von Erfahrungen, „uns wird auch von der Regierung immer wieder gesagt, wir bräuchten Geduld: Aber wir sind doch die Verwundeten! Unsere Altäre wurden zerbrochen und zerstört, unsere Kirchtürme gesprengt!“
Westliche Hilfe ist gefragt
Die Dominikanerordensfrau ist skeptisch, wenn sie an die Zukunft denkt: „Ohne Garantie werden die Christen weiterhin versuchen, ins Ausland zu kommen.“Mattys neun Geschwister sind über die ganze Welt verteilt: „Sie leben in Kanada, den USA, in Schweden, Deutschland oder in Australien“, berichtet sie, „und ich kann sie verstehen.“Die christliche Identität sei zutiefst getroffen: „Und umso größer ist die Herausforderung, christliches Leben hier zu erhalten.“Ohne westliche Hilfe lebe „in 50 Jahren hier kein Christ mehr“.
Materielle Hilfe wie durch die Weihnachtsspendenaktion „Helfen bringt Freude“der „Schwäbischen Zeitung“sei wichtig und weiterhin notwendig, sagt Schwester Nazik: „Und dafür danken wir sehr!“Gleichzeitig aber bittet sie darum, „dass ihr im Westen uns als Glaubensschwestern und Glaubensbrüder seht, dass ihr nicht sofort an Gewalt, Blut und Terror denkt, wenn ihr vom Orient hört!“Und die Ordensfrau fügt hinzu: „Der Westen ist nicht immer das Paradies, der Osten ist nicht immer die Hölle!“