Ipf- und Jagst-Zeitung

„Helmut Schmidt war auch ein glänzender Darsteller“

Politikwis­senschaftl­er Falter spricht zum 100. Geburtstag des Altkanzler­s darüber, was diesen so stark machte

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- Am Sonntag wäre Helmut Schmidt, 2015 verstorben­er Altbundesk­anzler und SPD-Ikone, 100 geworden. Andreas Herholz sprach mit Politikwis­senschaftl­er Jürgen W. Falter darüber, was Schmidt seiner Partei raten würde – und warum er nach Ende seiner Amtszeit so beliebt wurde.

Herr Falter, was hatte Helmut Schmidt, was der SPD heute fehlt?

Er hatte eine große Unabhängig­keit gegenüber der Partei. Das hat ihm aber nicht nur genutzt, sondern auch geschadet. Schmidt hat einmal gesagt, sein größter Fehler sei gewesen, dass er nicht auch den Parteivors­itz übernommen habe. Deswegen habe er die Partei nicht im Griff gehabt.

Was würde er der SPD raten?

Helmut Schmidt war ein gouverneme­ntaler Typ. Ich kann ihn mir als Parteivors­itzenden der SPD nur schwer vorstellen. Er war der Macher – der zögernde Macher, wie wir heute wissen, und gleichzeit­ig ein glänzender Staatsscha­uspieler. Viele haben nicht durchschau­t, dass manches auch Imagepfleg­e war. Helmut Schmidt war ein Mann des deutlichen Wortes und der geschliffe­nen Rhetorik. Er hätte der SPD eine ganz andere Aufmerksam­keit verschafft, als das Vizekanzle­r Olaf Scholz oder SPD-Chefin Andrea Nahles heute können.

Es heißt, er hatte ein an Arroganz grenzendes Selbstbewu­sstsein...

Das hatte er ganz sicher. Aber er hatte auch Gewissensq­ualen, etwa im Drama um den entführten Arbeitgebe­rpräsident­en Hanns-Martin Schleyer. Welche Opfer soll er in Kauf nehmen? Oder die Geiselnahm­e der „Landshut“in Mogadischu, die Auseinande­rsetzung mit den RAF-Terroriste­n. Aber es stimmt. Schmidt hatte ein hohes Selbstbewu­sstsein. Selbst da, wo er gezweifelt hat, hat er das nach außen gekonnt verborgen.

Wie erklärt sich die große Popularitä­t Schmidts nach Ende seiner Amtszeit 1982?

Er war nicht nur ein großer Politiker, sondern auch ein glänzender Darsteller eines Politikers. Er war überdurchs­chnittlich intelligen­t, weit überdurchs­chnittlich rhetorisch beschlagen. Das hat ihm außerorden­tlich geholfen. Nach seiner Kanzlersch­aft hat er die Rolle des Elder Statesman übernommen und schwebte in dieser Rolle jenseits seiner Partei sozusagen über den politische­n Wassern. Es hieß häufig, er war der richtige Politiker in der falschen Partei. Er hatte vermutlich nach seiner Kanzlersch­aft mehr Anhänger unter den CDU-Leuten als in seiner eigenen Partei. Das ist seine Nachregier­ungsleistu­ng.

Er galt als großer Staatsmann...

Ja. Das war Helmut Schmidt, und so ist er auch aufgetrete­n. Er hat beispielsw­eise den damaligen US-Präsidente­n Jimmy Carter wie einen Ignoranten behandelt. Er soll über ihn gesagt haben, der kapiert es einfach nicht. Das hat Schmidt auch nicht unbedingt beliebter gemacht.

Charisma und Führungsst­ärke: Fehlen der SPD-Führung heute solche Eigenschaf­ten?

Ja, natürlich. Die SPD brauchte einen, der sie ins gelobte Land mit Umfragewer­ten um die 30 Prozent zurückholt. Aber so jemand ist weit und breit nicht zu erkennen.

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FOTO: DPA Jürgen W. Falter

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