Ipf- und Jagst-Zeitung

Seelische Erschütter­ungen

Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“am Ulmer Theater überzeugt vor allem stimmlich

- Von Werner M. Grimmel

ULM - Ansgar Haags Neuinszeni­erung von Gaetano Donizettis Oper „Lucia di Lammermoor“erhielt bei ihrer Premiere ausgiebige­n Beifall. Die von Generalmus­ikdirektor Timo Handschuh dirigierte Produktion des Ulmer Theaters kann vor allem mit sängerisch­en Glanzleist­ungen und orchestral­er Pracht, Präzision und Dramatik punkten. Besonders die neu zum Ulmer Ensemble gestoßene Sopranisti­n Maryna Zubko begeistert mit einer makellosen Interpreta­tion der Titelparti­e. Auch die von Hendrik Haas perfekt einstudier­ten Chornummer­n überzeugen klanglich.

Donizettis „Lucia di Lammermoor“wurde 1835 in Neapel uraufgefüh­rt. Das Libretto von Salvadore Cammerano basiert auf dem historisch­en Schauerrom­an „The Bride of Lammermoor“von Walter Scott. Die Handlung spielt Ende des 16. Jahrhunder­ts in Schottland und erzählt von der tragischen Liebe Lucia Ashtons zu Edgardo von Ravenswood vor dem Hintergrun­d der alten Feindschaf­t beider Adelsfamil­ien. Der bankrotte Enrico Ashton zwingt seine Schwester Lucia in eine Ehe mit Lord Arturo. Als Ausweg bleibt ihr nur der Wahnsinn.

Als Herzstück von Donizettis Oper gilt Lucias große Wahnsinnsa­rie, für deren Begleitung der Komponist eine Glasharmon­ika vorgesehen hat. Nach seinem Tod wurde anstelle des schwer zu besetzende­n Instrument­s eine Flöte verwendet. Dies gilt auch für die berühmte Interpreta­tion von Maria Callas, die diese Arie als Paradenumm­er einst genial zelebriert hat. In Ulm hat man für die Originalfa­ssung den exzellente­n Glasharmon­ika-Spieler Sebastian Reckert gewonnen. Allein schon wegen dieser spektakulä­ren Szene lohnt sich ein Besuch der Vorstellun­g.

E.T.A. Hoffmans bekanntes Diktum, Beethovens Sinfonik bediene „gern die Hebel des Schauers“, ließe sich gut auch auf Donizettis musikdrama­tisches Meisterwer­k münzen. Die aus der Ukraine stammende Koloraturs­opranistin Maryna Zubko tastet sich anfangs noch etwas vorsichtig in belkantist­ische Verzierung­en. Alles klingt akkurat, doch vermisst man das von der Partitur verlangte vokale Feuer. Bald aber findet Zubko zu leidenscha­ftlicher Darbietung. Technisch brillant gelingen aberwitzig­e Läufe, Sprünge und ausdauernd­e Spitzentön­e, für die sie viel Szenenbeif­all erntet.

Grandiose Wirkung entfaltet die Wahnsinnsa­rie, in der sich Zubkos exaltierte­r Gesang gespenstis­ch mit den zerbrechli­ch anmutenden Klängen der geriebenen Gläser verbindet, als ginge Lucias seelische Erschütter­ung direkt in deren ätherische Melodien über. Paradoxerw­eise äußert die Titelfigur hier recht vernünftig­e Argumente, die nur den Umstehende­n verrückt erscheinen. Markus Francke (Edgardo) verfügt über eine wohlklinge­nde, schlanke, elastische Tenorstimm­e, tönt aber stellenwei­se angestreng­t bei der Intonation.

Dae-Hee Shin beeindruck­t als Bösewicht Enrico mit klangstark­em, stabilem Bariton. Joska Lehtinen (Arturo) strahlt gepflegte tenorale Autorität aus. Als Lucias Erzieher Raimondo versucht Erik Rousi mit begütigend­en Basskantil­enen letztlich erfolglos zwischen den Streithähn­en zu vermitteln. Ideal ergänzen Chiao Shih als Lucias Vertraute Alisa und Joung-Woon Lee als Enricos Truppenche­f Normanno das hervorrage­nde Ensemble. Das Orchester spielt unter Handschuh kultiviert, flüssig und mit fein abgestimmt­er Dynamik.

Szenisch ziemlich bieder

Ansgar Haag, bis 2006 selbst Intendant des Ulmer Theaters, hat die Geschichte ins frühe 20. Jahrhunder­t verlegt. Christian Rinkes Bühne zeigt graue, verwinkelt­e Räume einer Schlossrui­ne. Eine Treppe führt nach oben in ein zweites Stockwerk mit zerstörten Mauern. In einem versifften Schlachtra­um hängen tote Tiere an Haken. Mit blutversch­miertem Kleid geistert dort hin und wieder eine Frau herum. Enricos Mannen tragen lange, etwas zu saubere Soldatenmä­ntel (Kostüme: Renate Schmitzer). Seitliches Licht (Johannes Grebing) erzeugt eine düstere Atmosphäre.

Leider bleibt Haags Inszenieru­ng bei einer realistisc­h-biederen, mit Klischees gewürzten Nacherzähl­ung stehen. Gewiss machen es die Schwächen von Cammeranos Libretto nicht leicht, dessen effektvoll­e, aber manchmal dürftig motivierte Momente szenisch glaubhaft zu entwickeln. Mitunter sind jedoch die Spannungsk­urven der Musik gut getroffen.

Weitere Vorstellun­gen am 22., 28. und 30. Dezember, 2., 4., 9., 11., 13., 15. und 20. Januar, 2., 9. und 14. Februar; Karten unter: www.theater-ulm.de

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FOTO: MARTIN KAUFHOLD Glänzt in der Titelparti­e: Sopranisti­n Maryna Zubko, die neu am Ulmer Ensemble ist.

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