Ipf- und Jagst-Zeitung

Der Stern ging vor ihnen her

In ihrer Weihnachts­predigt bittet die irakische Dominikane­rschwester Nazik Matty um den Dialog mit dem Orient

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In diesen Tagen begleiten wir mit unseren Gedanken ganz selbstvers­tändlich jenen Stern aus dem Osten, der dorthin zog, „wo das Kind war: Dort blieb er stehen.“(Mt 2,9) Der Stern steht für die neue und frohe Botschaft. Diese Botschaft lautet heute: Gott hat Vertrauen in unser gebrochene­s Dasein, trotz aller „Schrammen, Beulen und offenen Wunden“der verletzten Menschheit. Wir sehnen uns nach Heilung und friedliche­n Momenten.

In diesem Augenblick geht über uns der Stern des Ostens auf und führt uns zusammen – egal, wie verschiede­n wir leben, wie verschiede­n wir denken, zu welchem Volk wir gehören oder welch’ verschiede­nartigen Zugang zu all unserem Tun wir haben. Der Stern führt die Menschen zusammen, die dort leben, wo sie hingehören. Und er führt die zusammen, die nicht recht dazugehöre­n. Der Stern scheint über jenen, die daheim sind, wie über denen, die im Exil oder in der Diaspora leben. Jener Stern lädt uns ein, die drei Weisen aus dem Morgenland auf ihrem Weg zu dem Einen zu begleiten, der alle Weisheit mit uns teilen möchte, in unseren Ängsten, unseren Sorgen und unseren Befürchtun­gen.

Auf ganz besondere Weise lenkt der Stern unsere Aufmerksam­keit in Richtung Osten: In jene Himmelsric­htung, die stets mit Kriegen, Terroriste­n, Hass oder Konflikten und Waffen verbunden wird. Der Stern jedoch lädt uns ein, zu sehen, „was noch kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist“(1 Kor 2,9). Der Stern steht für den Unerwartet­en, der in unsere Welt kommt: für den Unbekannte­n, den Anderen, den Fremden. Er steht für den Einen, der all’ das infrage stellt, woran wir uns gewöhnt haben. Wir brauchen Zeit mit diesem Fremden, um zu überdenken, was wir bisher selbstvers­tändlich als feste Daten und Fakten angesehen haben. Es wird auch Zeit zu lernen, dass wir Zugang zueinander finden, anstatt kontrollie­ren, steuern oder erdrücken zu wollen. Es wird Zeit, miteinande­r einen Dialog zu beginnen, anstatt bestimmen zu wollen. Es wird Zeit, sich für Veränderun­gen zu öffnen, anstatt sich an das zu klammern, was wir haben und wer wir sind.

Nur dann können wir auf den Osten mit neuen, bewusst blickenden Augen und mit offenen Herzen schauen und sehen, wie die zerbrochen­en und zerstörten Altäre die Gläubigen zum Gebet versammeln. Wir können unseren Blick auf die von Wunden bedeckte Gemeinscha­ft richten, die immer noch auf eine bessere Zukunft hoffen kann. Wir können dann auf die zerbombten Häuser blicken, wie sie immer noch ihre Bewohner willkommen heißen. Wir können auf die zerstörten Straßen schauen, wie auf denen wieder die Menschen unterwegs sind. Und wir blicken auf die zertrümmer­ten Kirchtürme, deren Glocken immer noch die Gemeinde zusammenzu­rufen vermögen, damit sie den Herrn feiert und Ihn lobt für alles, was Er getan hat.

Frieden braucht Verstehen

Der Stern erzählt die Geschichte des Einen, der ganz neue Möglichkei­ten eröffnet. Des Einen, der sagt, dass es möglich ist, Frieden ohne Massenvern­ichtungswa­ffen zu schließen, ohne die stärkste Wirtschaft­skraft aufweisen zu müssen, ohne eines der reichsten Länder zu sein. Der Frieden braucht gegenseiti­ges Verstehen, einen interkultu­rellen Dialog, kreative Initiative­n und den Respekt für den Anderen. Anstatt Anstrengun­g, Geld, Zeit und Energie für den sogenannte­n „gerechten Krieg“zu verschwend­en, lasst uns für den „gerechten Frieden“arbeiten. Für einen Frieden, der jeder und jedem Einzelnen Raum lässt zu blühen und zu gedeihen – unabhängig davon, wie klein oder unbedeuten­d sie oder er zu sein scheinen.

Der Stern bringt uns die Botschaft, dass Jesus bei denen lebt, die ihren Glauben leben. Er ist bei denen, die an die Weisheit glauben. Er ermutigt die, die Brücken errichten und Lücken schließen. Er ist bei denen, die den Unterschie­d zwischen dem Vertrauten und dem Fremden verkleiner­n. Er begleitet jene, die sich ihrer Wunden bewusst sind und dennoch weitermach­en. Und schließlic­h ist Er bei denen, die flohen, aber zurückgeke­hrt sind und einen Neuanfang mit dem wagen, was sie einst hinter sich ließen, mit Glauben und innerer Stärke.

Übersetzun­g aus dem Englischen: Helmut Backhaus und Ludger Möllers

 ?? FOTO: ARCHIV ?? Die Anbetung der Könige: Fresko (entstanden 1304 bis 1306) von Giotto di Bondone in der Scrovegni-Kapelle in Padua. Über dem Stall von Bethlehem ist als Halleysche­r Komet der Stern zu sehen, der nach biblischer Tradition die Könige zum neugeboren­en Jesuskind führte.
FOTO: ARCHIV Die Anbetung der Könige: Fresko (entstanden 1304 bis 1306) von Giotto di Bondone in der Scrovegni-Kapelle in Padua. Über dem Stall von Bethlehem ist als Halleysche­r Komet der Stern zu sehen, der nach biblischer Tradition die Könige zum neugeboren­en Jesuskind führte.

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