Steinmeier wirbt für respektvollen Streit
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fordert in seiner Weihnachtsansprache, wieder mehr miteinander zu reden und die demokratische Debatte zu wagen. „Mehr noch als der Lärm von manchen besorgt mich das Schweigen von vielen anderen“, so das Staatsoberhaupt laut seinem Manuskript für die Rede, die am ersten Weihnachtsfeiertag ausgestrahlt wird. „Wir müssen wieder lernen zu streiten, ohne Schaum vor dem Mund, und lernen, unsere Unterschiede auszuhalten.“
Smartphones, E-Mails, Chats per WhatsApp oder Facebook sind in Deutschland allgegenwärtig geworden. Dennoch, trotz dieser permanenten Kommunikation, vermisst der Bundespräsident den Austausch untereinander. „Ich habe den Eindruck, wir Deutsche sprechen immer seltener miteinander. Und noch seltener hören wir einander zu.“Dass dies auch als Kritik an den Online-Foren zu verstehen ist, daran lässt Steinmeier keinen Zweifel. „Wo immer man hinschaut, erst recht in den Sozialen Medien: Da wird gegiftet, da ist Lärm und tägliche Empörung.“
Für Steinmeier, der seit seinem Amtsantritt im Schloss Bellevue den Einsatz für unsere Demokratie zu seinem Thema gemacht hat, ist damit auch eine politische Botschaft verbunden. Ihm geht es um den inhaltlichen Diskurs, den harten, aber fairen Streit um die Sache, den eine lebendige Demokratie braucht. „Immer mehr Menschen ziehen sich zurück unter ihresgleichen, zurück in die eigene Blase, wo immer alle einer Meinung sind – auch einer Meinung, wer nicht dazugehört.“
Familie als positives Beispiel
Als positives Beispiel nennt das Staatsoberhaupt die politische Diskussion beim Familienbesuch über die Feiertage, auch wenn es da unter Verwandten schon einmal zu Konflikten kommen könne. „Wie gut, dass wir diskutieren. Wie gut, dass wir miteinander reden. Wenn ich mir für unser Land eins wünschen darf, dann: mehr davon!“
„Sprachlosigkeit heißt Stillstand“– lautet die Warnung des Bundespräsidenten. Und so richtet er eine ganz direkte Aufforderung an jeden Einzelnen, die er als seinen „Weihnachtswunsch“bezeichnet: „Sprechen Sie mit Menschen, die nicht Ihrer Meinung sind. Sprechen Sie bewusst mal mit jemandem, über den Sie vielleicht schon eine Meinung haben, mit dem Sie aber sonst kein Wort gewechselt hätten.“
Trotz aller Sorgen aber steht Deutschland mit seiner demokratischen Kultur im internationalen Vergleich alles andere als schlecht da – auch dies hebt Steinmeier hervor. Und er erinnert an Gesellschaften, die auseinanderdriften, weil „eine Seite mit der anderen kaum noch reden kann, ohne dass die Fetzen fliegen“. Beispiele dafür seien die brennenden Barrikaden in Paris, die tiefen politischen Gräben in den USA, die Sorgen in Großbritannien vor dem Brexit und die Zerreißproben für Europa in Ungarn, Italien und anderswo. Auch hierzulande gebe es Ungewissheit, Ängste, Wut. Aber Steinmeier betont auch: „Unsere Demokratie ist stark.“