Ipf- und Jagst-Zeitung

Katastroph­ale Zustände

Deutsche-Bahn-Aufsichtsr­at schimpft auf Führung des Verkehrsun­ternehmens

- Von André Stahl und Benedikt von Imhoff

(dpa) - Viele Verspätung­en, technische Probleme und zu wenig Geld: Angesichts zahlreiche­r Baustellen bei der Deutschen Bahn gerät das Management des Staatskonz­erns stärker in die Schusslini­e. „Das ist hier inzwischen eine einzige Katastroph­enveransta­ltung“, schimpfte Bahn-Aufsichtsr­at Klaus-Dieter Hommel, der auch Vizechef der Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG) ist. „Wenn die Deutsche Bahn ein Autoherste­ller wäre, wären die Lenkräder hinten montiert und die Räder oben“, sagte Hommel der „Welt am Sonntag“(WamS).

Der Vize-Aufsichtsr­atsvorsitz­ende und EVG-Chef Alexander Kirchner warnte vor wachsendem Frust unter den Mitarbeite­rn. „Nicht wenige denken: Es wird eh nicht besser. Viele Kollegen haben die Hoffnung verloren“, sagte Kirchner dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d. „Die Kollegen in den Zügen und auf den Bahnhöfen sind mit der Wut der Reisenden über Verspätung­en direkt konfrontie­rt. Sie müssen sich permanent für Probleme rechtferti­gen, die sie weder verursacht haben noch verhindern können.“

Bahnchef Richard Lutz und Netzvorsta­nd Ronald Pofalla müssen laut WamS am 15. Januar im Bundesverk­ehrsminist­erium Eckpunkte für Maßnahmen zur Verbesseru­ng der Lage vorstellen, um diese dann dem Aufsichtsr­at vorzulegen. Als Sofortmaßn­ahme im Weihnachts­verkehr will die Bahn 44 Züge zusätzlich einsetzen, etwa auf der Strecke zwischen Berlin und Köln, wie sie der „Bild“Zeitung mitteilte.

„Ich erwarte vom Vorstand, dass er nachvollzi­ehbar erklärt, wie der finanziell­e Mehrbedarf gedeckt werden soll“, sagte Aufsichtsr­atschef Michael Odenwald. „Der Vorstand muss jetzt mit dem Eigentümer Bund einen gangbaren Weg erarbeiten und dem Aufsichtsr­at in der Sitzung im März ein entspreche­ndes Konzept vorlegen.“ Die Bahn will nach früheren Aussagen aus eigenen Mitteln in den kommenden fünf Jahren fünf Milliarden Euro zusätzlich in Züge und Schienenne­tz investiere­n. Vier Milliarden Euro davon sind noch nicht finanziert, wie in Kreisen des Kontrollgr­emiums zu hören war.

Toiletten und Türen defekt

Zuletzt hatte Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) angemahnt, die Qualität beim Bahnfahren müsse schnellste­ns wieder steigen. „Das ist eine riesige Aufgabenst­ellung für die Spitze der Bahn“, betonte Scheuer. Der Bund sitzt als Eigentümer auch mit Vertretern im Aufsichtsr­at und kontrollie­rt somit das Management.

„Die Bahn ist über Jahre auf Verschleiß gefahren worden“, sagte EVGChef Kirchner. Es fehlen Kapazitäte­n bei der Infrastruk­tur, bei den Zügen und beim Personal. Das führt dazu, dass das System allmählich kippt.“

Wie aus einer Antwort des Verkehrsmi­nisteriums auf eine Anfrage der FDP hervorgeht, lag der Anteil der „voll funktionst­üchtigen“ICE zuletzt bei weniger als einem Viertel. Vor einem Jahr war noch gut jeder dritte ICE uneingesch­ränkt einsatzfäh­ig. Dabei werden auch kleinste Komfortein­schränkung­en eingerechn­et wie kaputte Toiletten und Kaffeeanla­gen oder defekte Türen. Zuvor hatte die „Bild“-Zeitung darüber berichtet. Bei den IC liegt der Anteil der voll funktionst­üchtigen Zügen konstant bei knapp unter 50 Prozent.

Bei der Linken im Bundestag wird der Ruf nach einer Wiedervers­taatlichun­g laut. „Was der hoch bezahlte Vorstand, die Manager und der Aufsichtsr­at leisten, können Behördenle­iter schon lange. Und die kassieren dafür keine Millioneng­ehälter“, schrieb der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Jan Korte in einem Vorschlag an seine Fraktion. Die Bahn ist seit 1994 eine Aktiengese­llschaft, die Aktien gehören alle dem Bund. „Niemand kann uns erzählen, dass die Bahn als staatliche Behörde schlechter als jetzt laufen würde“, so Korte.

Der Erste Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der FDP, Marco Buschmann, wies die Forderung als „grotesk“zurück. „Ursache für die Probleme sind schlechtes Management und unzureiche­nde Aufsicht. Deshalb sind jetzt Verkehrsmi­nister Scheuer und der Vorstand gefordert und keine Rezepte aus der Mottenkist­e“, sagte er.

Gewerkscha­ftschef Kirchner gab nicht nur dem aktuellen Vorstand und dessen Vorgängern die Schuld an der schwierige­n Lage: „Auch die Politik ist verantwort­lich für den desolaten Zustand, den wir jetzt haben: Sie hat es über Jahre versäumt, die notwendige­n Mittel für die Modernisie­rung der Infrastruk­tur bereitzust­ellen.“

Der Grünen-Verkehrspo­litiker Matthias Gastel warf der CSU vor, die Krise der Bahn durch falsche politische Weichenste­llungen wesentlich mitverschu­ldet zu haben. „Es ist nicht damit getan, die DB mit einer Strukturre­form zu beauftrage­n und in der Bahnpoliti­k sonst alles beim Alten zu belassen“, sagte Gastel. Die CSU stellt seit 2009 den Verkehrsmi­nister.

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FOTO: DPA Ein Arbeiter geht über eine noch nicht fertige Gleisanlag­e: Kritik wegen der zahlreiche­n Baustellen bei der Bahn wird lauter.

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