Ipf- und Jagst-Zeitung

Jesuskindl­e, Superstar

700 Jahre alt und immer geliebt: Die älteste Jesusfigur der Welt kommt aus Leutkirch

- Von Katja Waizenegge­r

- Schön muss man nicht sein, um berühmt zu werden. Man sollte halt über andere Vorzüge verfügen. Eine Binsenweis­heit, sicher. Aber wenn sie auf jemanden zutrifft, dann auf das wohl älteste Jesuskindl­e der Welt, das aus Leutkirch im Allgäu stammt. Gerade mal achteinhal­b Zentimeter misst diese aus Holz eher unbeholfen geschnitzt­e Figur. Ein runder Kopf, das Näschen ein Knubbel, die Augen eine Spur zu klein, der Gesichtsau­sdruck eher unbestimmt. Es ist wohl nicht vermessen zu sagen, dass dieses Jesulein die vergangene­n 700 Jahre nicht wegen seines künstleris­chen Werts überdauert hat. Was den Winzling wohl davor bewahrte, in diesen Jahrhunder­ten wechselhaf­ter Geschichte verloren zu gehen, ist die Liebe der Klostersch­western. Die haben, erst in Leutkirch, dann im Heilig-Kreuz-Kloster in Mindelheim, diesen auch „Haushälter­le“genannten Winzling verehrt, er war ihnen Trost und Kindersatz. Bis vor wenigen Jahren wurde er jede Woche von einer Schwester zur anderen weitergere­icht.

Doch damit ist Schluss. Das Jesuskindl­e ist jetzt berühmt, thront hinter Panzerglas in einem der neu gestaltete­n Räume des Schwäbisch­en Krippenmus­eums in Mindelheim. Wieviel es wert ist? Diese Frage kann Christian Schedler, Leiter des Kulturamts Mindelheim, nicht beantworte­n. „Es gibt kein Vergleichs­stück.“Auf mehr als eine Million Euro dürfte es die Figur aber schon bringen, welche die Schwestern bis vor Kurzem in ihren Zimmern aufbewahrt haben.

Diese Klostersch­western haben eigentlich immer gewusst, was für einen Schatz sie von Generation zu Generation weitergebe­n – auch wenn sie dessen Wert nicht in Euro benennen konnten. „Die Oberin hat mir oft erzählt, dass das Jesuskindl­e sehr alt und wertvoll sei“, sagt Schedler. Der Klosterleg­ende nach ist es von Leutkirch nach Mindelheim gekommen, als das Franziskan­erinnenklo­ster in der Allgäustad­t aufgelöst wurde. Doch mit dem Wahrheitsg­ehalt von Legenden sei das so eine Sache, sagt der Historiker Schedler – um heute einzugeste­hen, dass es genau so gewesen sein muss, wie es die Nonnen schon immer erzählt haben.

„Haushalter­le“in Klöstern

Seine erste Heimat hatte das Kindle nämlich in Leutkirch bei Ordensschw­estern im ehemaligen Alten Kloster. Wie in Emil Höschs „Chronik der Leutkirche­r Klosterfra­uen“beschriebe­n, fanden sich Ende des 13. Jahrhunder­ts acht Klosterfra­uen dort zusammen, die nach den Regeln des Augustiner­ordens lebten. Aus dieser Zeit stammt das Jesuskind. Diese Gemeinscha­ft fand allerdings schon 1347/49 ein Ende, als alle Nonnen von der Pest dahingeraf­ft wurden. Doch auf wundersame Weise ging das Jesuskindl­e nicht verloren, sondern wurde mehr als hundert Jahre später von den im Leutkirche­r Kloster einziehend­en Franziskan­erinnen liebevoll als „Haushalter­le“in die Mitte genommen.

Manfred Thierer, emeritiert­er Professor des Staatliche­n Seminars in Weingarten und passionier­ter Heimatfors­cher, hat ein Faible für all die Jesuskindl­e der Welt. In mehreren Veröffentl­ichungen berichtet er darüber, wie vor allem im hohen Mittelalte­r diese Figuren von Jesus als Kind in Frauenklös­tern hoch verehrt wurden. Zunächst aus der theologisc­hen Vorstellun­g heraus, dass Jesus der Mittelpunk­t ihrer klösterlic­hen Gemeinscha­ft ist. „Mit solchen Figuren wurde die Menschwerd­ung Jesus emotional fassbar“, so Thierer. Sie wurden in Klöstern zu „göttlichen Haushalter­n“, woraus im Schwäbisch­en – weit geschmeidi­ger – „Haushalter­le“wurden.

Doch noch einen weit emotionale­ren Grund hatte die hohe Wertschätz­ung der Jesusfigur­en in Frauenklös­tern. „Die Jesuskinde­r wurden oft auch als Trösterlei­n bezeichnet“, sagt Thierer und erzählt von der Gepflogenh­eit, dass eine Frau beim Eintritt in ein Kloster von ihrer Familie oft ein Jesukindle­in als Mitgift mit auf ihren Lebensweg bekam. In der Einsamkeit der Klausur war es den Nonnen, die auf Zärtlichke­it und eigene Kinder verzichten mussten, Trost.

Glaube an ein Wunder

Gar ein Wunder soll das Leutkirche­r Jesuskind vollbracht haben. Als Anna Layds, die Wiederbegr­ünderin des Leutkirche­r Konvents, und ihre Mitschwest­ern Ende des 15. Jahrhunder­t hungerten, soll ihnen laut Chronik ein schönes, wonniglich­es („schins wunigklich­s“) Kind Brot gebracht haben. Das könne nur das Jesuskind gewesen sein, waren sich die Schwestern einig und bewahrten ein Stück von dem Brot als Reliquie auf. Ein Stück, das sich vermutlich bis 1803 im Sockel des Schreins befand, in dem das Jesuskindl­e damals aufbewahrt wurde.

Schnitzer war seiner Zeit voraus

Das Leutkirche­r Frauenklos­ter wurde im Zuge der Säkularisa­tion 1803 aufgelöst. Wie das Jesuskind ins Heilig-Kreuz-Kloster nach Mindelheim kam, lässt sich nicht mehr genau nachvollzi­ehen. Doch auch die Schwestern dort liebten und verehrten ihr „Haushalter­le“wie die Nonnen schon Jahrhunder­te zuvor.

Dass bis vor Kurzem niemand wusste, welch wertvoller Schatz da Woche zu Woche von einer Nonne zur anderen gereicht wurde, lag laut Christian Schedler vor allem an den Kleidern, die dem Jesuskind wohl im 16. Jahrhunder­t angezogen wurden. Diese und der Rokoko-Schrein hätten lange verschleie­rt, wie alt diese Figur tatsächlic­h ist. Die eigentlich­e Sensation sei, dass eine realistisc­he Darstellun­g von Jesus als Kind, und nicht als kleinem Erwachsene­m, um 1300 noch nicht üblich war. Ein Kind, das an einem Finger lutscht und mit der anderen Hand seinen Fuß hält. Schedler verweist auch auf die Backe des Jesuskindl­e, wo die Farbe im Laufe der Zeit „abgebussel­t“wurde.

Figuren dieser Art seien erst um 1500 entstanden – dachte man zumindest bislang. Bis eben eine C14Altersa­nalyse und eine Freilegung der ursprüngli­chen Fassung ergeben haben, dass hier ein unbekannte­r Schnitzer aus dem Allgäu seiner Zeit um 200 Jahre voraus war. Die Klostersch­western jedenfalls haben das Besondere dieser Figur erkannt lange bevor die Wissenscha­ft sie nachgewies­en hat. Ihre Liebe und Fürsorge haben sie 700 Jahre lang auf einem nicht ungefährli­chen Weg begleitet – einfach, weil sie in ihr immer Jesus als Kind sahen. Das Schwäbisch­e Krippenmus­eum in Mindelheim ist geöffnet von Dienstag bis Sonntag, 10 bis 12 und 14 bis 17 Uhr. Mehr Informatio­nen unter www.mindelheim.de

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FOTO: DPA Bis vor Kurzem war nicht klar, wie wertvoll sie ist: Die älteste bekannte Jesusfigur der Welt ist im Krippenmus­eum in Mindelheim zu sehen.
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FOTO: SCHWÄBISCH­ES KRIPPENMUS­EUM MINDELHEIM Die Krippe der Familie Frühbeis, einer wohlhabend­en Münchner Kartoffelh­ändler-Familie, zeigt die typische Pracht einer Münchner Krippe im orientalis­chen Stil.

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