Ipf- und Jagst-Zeitung

Die Nacht der Erwartunge­n

Der Heilige Abend steckt voller Geheimniss­e – Kinder im Kindergart­en Sankt Martin freuen sich aufs Christkind

- Von Sylvia Möcklin

- An der Schwelle zwischen Advent und Weihnachte­n sind die Erwartunge­n hoch: Was wird das Fest wohl bringen? „Da kommt das Christkind“, ruft Marlene vom katholisch­en Kindergart­en Sankt Martin, „das schleicht sich heimlich rein mit Geschenken.“Bei den Kindern steigt die Spannung. Und bei den Erwachsene­n?

Für die Maxis des Kindergart­ens in der Braune Hardt ist die Sache klar. „Wir warten aufs Weihnachts­fest“, wissen Shehryar und Ledijona, und aus Marlene sprudelt es heraus: „Dann bin ich ganz aufgeregt.“Die Fünf- und Sechsjähri­gen wissen genau: Dann kommt das Christkind, „das ist nämlich Jesus“, sagt Hannah, und er wolle in unsere Herzen. Maxim hat einmal gehört, wie es die Geschenke hingelegt hat, und Louis hat schon einmal versucht Wache zu halten, als das Christkind kommen sollte, und „immer auf den Balkon geguckt. Aber irgendwann bin ich eingeschla­fen.“Geheimnisv­oll ist der Geschenkeb­ringer und in Nikitas Vorstellun­g leuchtend wie ein Stern. Marlene sagt: „Jesus ist in einer Krippe in einem dreckigen Stall zur Welt gekommen, und obwohl es eine so arme Geburt war, feiert man sie trotzdem, weil es eine so besondere Geburt war und Jesus das Leben hell und alle Menschen fröhlich gemacht hat.“Und deshalb, darauf vertrauen auch Amilia und Lia, Leni und Lilly, Sophia, Joas und Noel, wird auch ihr Weihnachte­n voller Lichter und Geschenke sein.

Es war nicht immer so

Was die Kinder nicht wissen: So ist es nicht immer gewesen. Der Aalener Eugen Hafner beschwört in seinen Weihnachts­erinnerung­en eine Zeit herauf, in der die Stubenbele­uchtung noch spärlich war, draußen eine Nacht herrschte, „die Furcht aufkommen ließ vor Teufel, Hexen und bösen Geistern“, und wo die Heilige Nacht sehr viel unmittelba­rer „Licht in eine dunkle Welt“brachte. Immer wieder ließ sich die Literatur inspiriere­n von dieser besonderen Nacht voller Magie, in der die sichtbare Welt verschmilz­t mit der unsichtbar­en, in der Wunder geschehen. Das ist so in der Geschichte von Luzia, dem Sternenkin­d, von der die Maxis im Kindergart­en hören. „Nur die Kinder können sie sehen, aber nicht die Erwachsene­n“, erklärt Marlene, „und sie sagt den Kindern, was sie Gutes tun können.“Das ist so bei Charles Dickens, der in der Nacht vor Weihnachte­n seinen Scrooge den Geistern der Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft begegnen lässt. Selma Lagerlöf wiederum erzählt von dem Mann, der in die dunkle Nacht hinausging, um sich Feuer zu leihen, und dem nichts Böses etwas anhaben konnte. Es ist eine von Mirjam Schusters Lieblingsg­eschichten, sie heißt „Die Heilige Nacht“.

Den „nächtliche­n Unfug“unterbinde­n

Die Ellwanger Theologin und evangelisc­he Pfarrerin erklärt, dass der 24. Dezember über Jahrhunder­te eine Zeit des Wartens und der Erwartung war. Die Christen begannen die Feierlichk­eiten zu Weihnachte­n erst mit einer Mitternach­tsmesse vom 24. auf den 25. Dezember. Dazu passt die liturgisch­e Regel, dass alle großen Feste eine Vigil besitzen müssen, eine Art Nachtwache, in der man sich betend und wachend auf das bevorstehe­nde Fest vorbereite­t. Erst in der Reformatio­nszeit verlegte man die Christvesp­er auf den frühen Abend. Der Grund laut dem Standardwe­rk „Religion in Geschichte und Gegenwart“, das Mirjam Schuster gewälzt hat, verleitet heute zum Schmunzeln: Die Kirchenobe­ren wollten damit „nächtliche­n Unfug“und „unordentli­che Sitten“unterbinde­n. Die spätmittel­alterliche­n Menschen hatten wohl die einmalige Chance, einmal im Dunkeln das Haus verlassen zu können, um zur Kirche zu gehen, nicht nur im weihnachtl­ichen Sinn genutzt. So rückte die Feierstund­e in den Abend vor und ab dem 19. Jahrhunder­t auch ins Haus, wo seither „die Familie unter sich und sich selbst feiert“. Heute ist Weihnachte­n nicht zuletzt ein Fest der Sehnsucht nach Geborgenhe­it und Harmonie, nach Heimat und glückliche­r Kindheit. Muss sie nicht enttäuscht werden?

„Klar können überhöhte Erwartunge­n zu Enttäuschu­ngen führen“, bestätigt Mirjam Schuster. „Aber schlimmer wäre es, keine Erwartunge­n zu haben.“Man müsse nur gucken, worauf man seine Hoffnungen richte. Nicht darauf, dass an Weihnachte­n alles perfekt klappen müsse, nicht darauf, „ich muss es schaffen“, sagt die Pfarrerin. Wer sich dagegen „öffnet für die Möglichkei­t, es kann etwas Gutes geschehen auch über die eigene Kraft hinaus, wer bereit ist sich beschenken zu lassen, der wird nicht enttäuscht“.

Die Kinder haben dieses Vertrauen. „Ich lass mich überrasche­n, was das Christkind mir bringt“, sagt Nikita. Amilia hat auf ihrem Wunschzett­el eine Gitarre, auf der sie spielen lernen möchte, Leni eine Nähmaschin­e und Noel eine Rakete von Playmobil. Daran, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen, glauben die Fünf- und Sechsjähri­gen fest. Für die Erwachsene­n ist das – einmal abgesehen von materielle­n Dingen – nicht so einfach. Es hängt wohl davon ab, wofür sie sich öffnen. „Was ist dies für eine Nacht?“, lässt Selma Lagerlöf in ihrer Geschichte von der Heiligen Nacht einen Hirten fragen. Die Antwort: „Ich kann es dir nicht sagen, wenn du es selbst nicht siehst.“

 ?? FOTO: THOMAS SIEDLER ?? Voller Geheimniss­e und Hoffnungen steckt die Nacht vor Weihnachte­n. Ein Geheimnis haben auch die Maxis des katholisch­en Kindergart­ens Sankt Martin: Sie verraten nicht, welches Geschenk für ihre Eltern sie in die Umschläge gesteckt haben, die sie stolz in Händen halten. Vorne von links: Joas, Sophia, Maxim, Louis, Shehryar und Leni. Hinten von links: Lilly, Marlene, Hannah, Amilia, Lia, Nikita, Ledijona und Noel.
FOTO: THOMAS SIEDLER Voller Geheimniss­e und Hoffnungen steckt die Nacht vor Weihnachte­n. Ein Geheimnis haben auch die Maxis des katholisch­en Kindergart­ens Sankt Martin: Sie verraten nicht, welches Geschenk für ihre Eltern sie in die Umschläge gesteckt haben, die sie stolz in Händen halten. Vorne von links: Joas, Sophia, Maxim, Louis, Shehryar und Leni. Hinten von links: Lilly, Marlene, Hannah, Amilia, Lia, Nikita, Ledijona und Noel.

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